Samstag, 10. Mai 2025

Ein leeres, weißes Blatt

 



„Was wäre wenn…?“, denken… bezieht sich auf eine ungewisse Zukunft. „Was hätte sein können …“, denken …bezieht sich auf die unveränderbare Vergangenheit. "Was jetzt ist..", das ist die Gegenwart.
Die meisten von uns leben gedanklich irgendwo zwischen Vergangenheit und Zukunft, aber selten vollkommen präsent in der Gegenwart. Würde uns das gelingen, wäre das Leben einfacher. Wir wären all das Alte los, was da mal war, wir hätten keine Angst vor einer Zukunft, die vollkommen ungewiss ist, wir würden uns keine Gedanken darüber machen, was wird. Wir würden nicht mehr leiden, an dem, was schmerzhaft war und wir würden an nichts anhaften, wir würden nichts sein wollen, nur SEIN.
Aber so einfach ist es nicht. 
 
Alles ist eins. Und wenn alles eins ist, dann sind auch wir alles in Einem - unsere Vergangenheit, unsere Gegenwart und unsere Zukunft.
Die Vergangenheit prägt uns, die Gegenwart erleben und gestalten wir mit diesen Prägungen und die Zukunft ist ein Konglomerat aus dem, was uns geprägt hat, dem, was wir im Jetzt erleben und aus dem, was wir aus dem Handeln im Jetzt erschaffen und säen, denn damit beeinflussen wir die Zukunft.
Also alles andere als einfach, immer im Jetzt zu sein und es zu bleiben.
Würde es gelingen, was wäre anders?
Ich würde zu Beispiel niemals ein Buch über meine Erfahrungen schreiben. Ich wäre präsent im Jetzt, hätte alles Alte losgelassen und würde mich damit nicht mehr beschäftigen. Ich würde nicht aus meinen Erfahrungen lernen, sie nicht weitergeben wollen, ich würde nicht auf sie zurückgreifen und meine Lektionen ignorieren, ich wären ja stets präsent im Jetzt und würde nur den Moment wahrnehmen, beachten und in ihm leben. Was schert mich dann die Vergangenheit?
Ich hätte keine Visionen, würde keine Pläne für die Zukunft machen, hätte keine Ziele. Ich würde alles Vergangen und alles Zukünftige gedanklich loslassen und meinen Geist leeren, ich würde mich mit nichts identifizieren und nur beobachten, ich wäre frei von mir selbst, von meinen Gedanken und meinen Gefühlen. 
Und was wäre dann?
Ich würde jeden Morgen aufstehen und nur das wahrnehmen was jetzt ist, Moment für Moment und jeder Tag in meinem Leben wäre ein unbeschriebenes weißes Blatt, das sich mit dem füllt, was in jedem Augenblick geschieht und es dann sofort wieder löschen.
Ich frage mich: Wäre das ein besseres Leben?
So ein leeres weißes Blatt an jedem neuen Morgen und den Rest des Buches, den gäbe es nicht, weil ich ja alles loslasse, gestern, heute, morgen. Nur jeden Morgen eine neue leere Seite. Alles einfach nur geschehen lassen. Und dann gibt es nichts mehr zu tun und dann bleibt letztlich nur noch dieser Augenblick übrig.
Und täglich grüßt das Murmeltier! Nur anders als in dem gleichnamigen Film, nämlich: Und täglich grüßt das reine Jetzt. Der reine, klare Geist auf das gerichtet, was ich im Jetzigen Augenblick wahrnehme.
Das klingt nach Erleuchtung. Das klingt verlockend.
Das übe ich auch, ich bin achtsam bei dem, was ich wahrnehme und dem, was ich im Jetzt tue. Und in den Momenten, wenn ich meditiere, erlebe ich das auch manchmal, diese reine Präsenz im Jetzt. Das tut gut, dieses Versenken in mich selbst und keine Gedanken und keine Gefühle, die ich festhalte, nur geschehen lassen - Stille und Ruhe.
Aber will ich diesen Zustand dauerhaft?
Wie fühlt sich das an?
Seltsam fühlt sich das an, sehr begrenzt fühlt sich das an. Irgendwie leer fühlt sich das an.
In Wahrheit bin ich voll innen, voll mit Erinnerungen, voll mit Erfahrungen, voll mit Gedanken an gestern, heute und morgen. Ein ganzes Leben sitzt da vor diesem leeren Blatt im Jetzt. Und das ist okay so für mich. Das will ich auch nicht ändern, weil ich noch viele Bücher schreiben will, über die Dinge die waren, die sind und die sein könnten.
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

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