Dienstag, 26. August 2014

Der rote Faden



Anna wusste, es war falsch immerzu an die Vergangenheit zu denken, aber etwas in ihr konnte nicht anders, auch wenn sie sich dagegen wehrte. Für kurze Zeit gelang es ihr sich abzulenken, aber dann war sie wieder da, die Erinnerung. Sie lief wie ein Film in ihrem Kopf ab. Zum hundertsten Mal schaute sie sich Szene für Szene an und suchte nach einer Erklärung, warum alles so gekommen war und nicht anders. Sie war überzeugt davon, dass es für jedes Leben einen Plan gab, ein Drehbuch, das man nicht selbst schrieb, basierend auf den Gaben, die man besaß und die es zu entfalten galt. Solange man dem Plan folgte verlief das Leben ohne Hindernisse und ohne Katastrophen. Sobald man aber vom Plan abwich griff das Schicksal ein, es traf einen gewissermaßen wie eine Korrektur. Dann war der Plan unterbrochen, der Film stand still, das Drehbuch funktionierte nicht mehr. Übrig blieb Chaos und die geringe Chance den roten Faden wieder zu finden. 

Anna hatte den Faden endgültig verloren. Dem ersten Verlust folgten der zweite und der dritte. Sie hatte aufgehört zu zählen. Sie nahm es hin wie man das Wetter hinnimmt. Anna wusste, dass sie so nicht denken sollte. Sie wusste vieles und tat nicht, was sie hätte tun sollen. Manchmal glaubte sie, dass sie aus Angst nicht mehr handelte, aber wenn sie das Gefühl von Angst suchte fand sie es nicht. Was sie fand war eine bleierne Müdigkeit, eine Unlust an allem und jedem, eine unüberwindbare träge Gleichgültigkeit. Gleichgültigkeit ist das Gegenteil von Liebe, dachte Anna und dass sie die Liebe verloren hatte, zu sich selbst oder diese Liebe niemals wirklich gefühlt hatte. Eine ungelebte Liebe tut weh. Was blieb war die Sehnsucht, eine schmerzhafte unstillbare Sehnsucht. Unerfüllte Sehnsucht verzehrt die Seele. Angst frisst sie auf. Sie wusste nicht was besser war oder schlechter. Also war es gleichgültig.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen