Donnerstag, 21. August 2014

Aus der Praxis: Über Sex spricht man nicht – oder doch?


Gemälde: Angelika Wende

Über Sex spricht man nicht, den hat man oder man hat ihn nicht. Es ist ein heikles Thema diese schönste Nebensache der Welt, so heikel, dass Menschen genauso wenig darüber sprechen wie über das Geld, das man hat oder eben nicht. Jedes Gespräch über Sex ist bei den meisten Menschen, so modern und aufgeklärt sie sich auch glauben oder geben, mit Gefühlen von Unsicherheit, Angst bis hin zu Scham besetzt und auch die, die so frei tun, sind von diesen Gefühlen nicht frei, wenn man sie fragt, was macht eigentlich dein Sexualleben? Ja, wie es darin aussieht geht niemand was an. Nicht einmal den Partner in den meisten Fällen und das ist fatal.
Viele Paare, besonders Paare die lange zusammen sind, spielen den mangelnden Sex in ihrer Beziehung herunter. Viele Paare haben keinen Sex mehr oder nur noch sehr selten. Solange Beide kein Problem damit haben und solange Zärtlichkeit und liebevolle Berührungen stattfinden, ist das kein Problem. Aber es gibt es Paare, die wie Geschwister miteinander leben, oder wie beste Freunde. Sie lieben sich, sind vertraut miteinander, haben eine große Schnittmenge an gemeinsamen Interessen, aber manchmal seit Ewigkeiten keine sexuelle Begegnung mehr. Das kann ein Leben lang gut gehen. Virginia Woolf und ihr Ehemann Leonard Woolf führten, glaubt man den Aufzeichnungen der Schriftstellerin, eine glückliche Ehe ganz ohne Sex. In Leonard fand Virginia sie einen Mann, der sie nicht nur liebte, sondern auch ihre sexuellen Beziehungen zu Frauen mit Gelassenheit hinnahm und ihre Frigidität ihm gegenüber ertrug. Was Leonard allerdings tat um seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen, ist nirgendwo nachlesbar. Nun sind die meisten Menschen aber so nicht gestrickt.

Die Basis für eine befriedigende Partnerschaft ist nicht nur eine geistige und seelische Verbindung, es sind Emotionen und die stecken eben auch im Körper.

Weil eine Liebesbeziehung auf Eros basiert und sie ohne den Pfeil Amors erst gar nicht zustande käme, und der zielt und trifft in erster Linie auf körperliche Anziehung, kommt naturgemäß die körperliche Lust ins Liebesspiel. Nicht nur die Verbindung zweier Seelen auch die Verbindung zweier Körper baut eine intime Gemeinschaft auf. Nur so kommt es zu dem von vielen Menschen so tief ersehnten „Wir-Gefühl“, das Sicherheit, Halt und Geborgenheit schenkt und eben auch das unvergleichlich schöne Gefühl mit dem anderen körperlich zu verschmelzen. Der Mensch ist eben nicht nur Geist, er hat eine Seele und einen Körper. Und auch mit ihm will er geliebt und begehrt werden.

Was gibt es Schöneres als dieses Schmetterlinge-im-Bauch-Gefühl, das uns im ersten Verliebtsein beflügelt. Wir sprühen vor Lebensfreude und die Glückshormone prickeln im Bauch und anderswo. Einem Rausch gleich schweben Hirn, Herz und Körper in anderen Sphären. Nicht umsonst spricht man von Wolke 7. Der Absturz allerdings folgt unabwendbar. In der Regel beendet unser Hirn den hormonalen Drogenrausch der Verliebtheit ziemlich genau nach 36 Monaten, dann folgt, glaubt man den Statistiken, bei den meisten der Beziehungskater, sprich - die Blase im Kopf löst sich auf und die Realität zeigt ihr wahres Gesicht, nämlich den Partner wie er wirklich ist ohne den rosa Nebel des Glückshormoncocktails. Und puff, der gute Sex ist weg. 

Warum? Weil guter Sex nur mit Spannung spannend bleibt. Weil sich ein Übermaß Harmonie, Gewohnheit und auf Kuscheln im Jogginganzug nicht mit aufregendem Sex verbinden lassen. Das ist das eine. Das andere: Der Partner wird, nachdem wir erschöpft vom positiven Selbstdarstellungsmarathon sind, nicht selten zum seelischen Mülleimer, der sich all unseren alten und neuen Gefühlsmüll reinziehen muss. Mal ehrlich, wer will schon mit jemanden leidenschaftlichen Sex haben, der einem ständig seine Probleme überkippt, die er sehr gut auch selbst lösen kann, der einem ständig erzählt wie verletzt sein inneres Kind ist oder wie beschissen es seiner Ex geht, wie erniedrigend sein Chef ihn wieder mal behandelt hat und wie dröge der Tag war?

Das Problematische, das Dröge, Frust und miese Laune machen nicht sexy. Die gemeinsamen Nächte im Doppelbett inklusive aller Körpergeräusche des anderen übrigens auch nicht wirklich. Sich gehen lassen, was wir alle nur zu gerne tun, wenn wir endlich in einer Beziehung den rettenden Hafen in unserer einsamen Meer gefunden haben, macht unattraktiv. Damit verblasst sogar der kostbare Erinnerungswert all des Schönen, was da am Anfang war, als sich beide noch Mühe gaben dem anderen zu gefallen. 
 
Richtig problematisch wird es, wenn nur einer von beiden über einen längeren Zeitraum keine Lust hat. Das kann viele Ursachen haben.
Fakt ist, um Lust zu spüren muss unser Kopf in Stimmung kommen, denn sexuelle Lust ist die körperliche Reaktion auf lustmachende Gedanken und Fantasien. Unser Hirn spielt also wieder mal die entscheidende Rolle. Es ist unmöglich, sexuell erregt zu sein und uns gleichzeitig in Gedanken mit Problemen und Sorgen beschäftigen. Aus diesem Grund funktioniert es bei Männern auch nicht, wenn sie Versagensängste haben und bei Frauen nicht, wenn sie ihren Körper ablehnen und es geht auch nicht, wenn der Körper des Partners nicht mehr als attraktiv empfunden wird. 

Versagensängste, Ablehnung, Widerwillen gegenüber dem eigenen Körper oder dem des Anderen sind enorme Lustkiller. Lust will nämlich Genuss und zwar mit allen Sinnen, so entsteht sexuelle Begierde. Die Libido entsteht zudem im Kopf oder etwas platter ausgedrückt: If you don´t fuck my brain, you never fuck my body. Und letzterer muss eben auch begehrenswert auf die Libido wirken, nur dann passt es. Voraussetzung dafür, Lust auf Sex zu haben, ist, dass wir uns und unseren Körper akzeptieren und mögen, unseren Partner sexuell attraktiv finden, uns begehrenswert und begehrt fühlen und gerne fantasieren, wie schön es ist, Sex miteinander zu haben.

Lust lässt sich nicht erzwingen. Alles, was uns in eine negative Gefühlslage bringt, lässt die Libido erst gar nicht aufkommen.
Gefühle wie Angst, Wut, Trauer und Depressionen, führen zu Libidoverlust. Aber auch existentielle Sorgen, Lebenskrisen, Dauerbelastung, Burn-Out, Arbeitslosigkeit, ständiger Streit, Stress, Konflikte, Eifersucht, ein klammernder Partner, ein Partner der sich gehen lässt oder zu viel trinkt, Betrug und Kränkungen in der Beziehung setzen die Lust Schachmatt. 

Besonders intensive Lustkiller sind negative Gedanken wie: Ich müsste häufiger Lust auf Sex haben, ich muss mit ihm/ihr schlafen, ich bin nicht gut im Bett, ich kann meinen Partner nicht befriedigen, ich habe abnorme sexuelle Bedürfnisse, ich muss dafür sorgen, dass er /sie einen Orgasmus bekommt. Unbewusste destruktive Glaubensmuster aus der Kindheit wie „ alle Männer sind Schweine“ oder“ Frauen sind wie meine (verhasste) Mutter“ lassen eine befriedigende Sexualität erst gar nicht aufkommen. Daneben sind auch Medikamente wie etwa Betablocker, Antidepressiva, Blutfettsenker, Kortison und bestimmte Kombinationen von Gestagen und Östrogen Lustkiller. Vor allem aber negativen Gedanken führen dazu, dass wir uns unter Druck fühlen, uns selbst oder den anderen ablehnen und Frust statt Lust empfinden. Zwingen wir uns trotzdem den mit dem Partner zu schlafen, dann ist der Akt eine halbherzige Pflichtübung und die sichere Garantie, dass er null Freude macht und wahrscheinlich kaum noch oder nicht mehr vorkommen wird.

Wenn wir mit dem Sex unangenehme Erfahrungen verbinden, Sex als Pflichtübung ansehen und unsere Bedürfnisse nicht aussprechen, wirkt das lusthemmend.
 
Zum Sex gehören zwei, im Normalfall jedenfalls. Der Partner trägt viel dazu bei, ob wir uns nach Sex sehnen oder ob uns die Lust vergeht. Ist er unaufmerksam, nicht zärtlich, behandelt er uns beim Sex wie ein Objekt für seine Befriedigung, geht er nicht auf unsere sexuellen Bedürfnisse ein, obwohl er sie kennt, ist er unromantisch und will immer dann, wenn wir nicht in Stimmung sind, ist er mechanisch unterwegs, fordert er eine bestimmte Menge an Sex oder will er eine Technik, die wir nicht mögen, spult er den Akt routinemäßig ab, oder hat er eine sexuelle Dysfunktion, oder bei Frauen in den Wechseljahren, schmerzt der Sex? All das sind Dinge, die die Libido hemmen und letztlich abtöten, wenn wir nicht darüber sprechen. Das Ende vom Lied ist, dass wir uns sowohl die Chance auf ein erfülltes Sexualleben rauben, als auch der körperlichen Nähe. Aus Angst davor, dass der andere mehr will, lassen wir nicht einmal mehr eine Berührung oder einen Kuss zu. Oder aber wir verfallen in Selbstverurteilung und schämen uns für unsere sexuellen Wünsche und Bedürfnisse. 

Die große Leidenschaft ist selten dauerhaft. Nach langen Jahren schläft sie ein. Dann kommen Gedanken wie: Ich könnte es doch mal mit jemand anderem probieren. 
Das wir den anderen ein ganzes Leben Lang begehren ist möglich, aber selten. Und ob wir, egal ob Mann oder Frau, zur Monogamie wirklich geschaffen sind? Ich wage es zu bezweifeln, wenn ich meinen Klienten zuhöre. Sex ist wichtig. 
Guter Sex ist etwas wunderbares, aber ob er ein langes Beziehungsleben überlebt? Die Erfahrung zeigt: selten. Vielleicht ist das etwas womit sich auch Romantiker abfinden müssen. Alles, alles ist vergänglich - eben auch die Leidenschaft füreinander. Sollte man deshalb die Beziehung in Frage stellen oder sogar beenden oder gibt es anderes was sie wertvoll und wichtig macht? Oder wird Sex gar überbewertet? Das sind Fragen, die jeder und jedes Paar für sich selbst klären sollte. Wenn sich keine Antworten finden lassen, ist der Gang zum Paartherapeuten ein guter Ansatz.


Lets talk about Sex.
Es so wichtig in der Beziehung auch über Sex zu sprechen. Denn nur so besteht die Möglichkeit herauszufinden, warum wir keine Lust mehr haben und was helfen kann um wieder mehr Lust zu verspüren. Auch wenn das Thema schambesetzt ist, was wir nicht aussprechen, schlucken wir runter, im Zweifel so lange, bis wir daran emotional zu ersticken drohen. Dann kann es passieren, dass wir immer noch nicht sagen, was uns fehlt oder worunter wir leiden und uns schließlich einen anderen suchen, der dieses Leid beenden soll. Damit sind der Seitensprung oder das Ende der Beziehung vorprogrammiert. Wir sind schließlich nicht alle eine Virginia oder ein Leonard Woolf. Übrigens, auch bei den beiden bin ich mir nicht so sicher, was da wirklich der Lustkiller war.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen