Samstag, 8. März 2025

Aus der Praxis: Die Krankheitsangst - mehr als die Suche nach Aufmerksamke

 

                                                            

                                             Der eingebildete Kranke, Honoré Daumier


Besonders diffuse Angst wird als verstörend erlebt, weil wir sie nicht verstehen. 
Doch innerseelisch folgt sie ihrer eigenen Logik.
Diese Angst hat eine Funktion und einen Sinn. Diese Funktion und ihren Sinn gilt es herauszufinden. Das ist essenziell, denn erst, wenn wir den Sinn und Funktion der Angst erkennen, gelingt es heilsame Verarbeitungswege zu finden.
 
Angst ist gebundene Energie im Körper.
Daher führt sie nicht nur zu psychischen Symptomen, sondern sucht sich Ausdruck auf der körperlichen Ebene. So zum Beispiel die Krankheitsangst, auch Hypochondrie genannt.
Ungefähr sieben Prozent der Deutschen leiden darunter. Das ergaben Untersuchungen am Psychologischen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Hypochonder werden oft belächelt und vor allem - nicht verstanden. Hypochonder gelten als hysterisch. Für die meisten Menschen ist es nicht nachzuvollziehen, dass sie sich selbst grundlos verrückt machen. Sogar Therapeuten tun sich damit schwer. Neulich sagte ein befreundeter Therapeut zu mir: „Lieber behandle ich einen Alkoholiker als einen Hypochonder, die sind extrem anstrengend und denen ist nicht zu helfen.“ 
 
Bis heute ist die Krankheitsangst wissenschaftlich kaum untersucht. Oft geht sie mit Depressionen, Angst, Panikattacken, Zwangs- und Somatisierungsstörungen einher.
Betroffenen wird unterstellt es ginge ihnen vor allem um Aufmerksamkeit, Fürsorge und Zuwendung, die sie über ihre eingebildeten Krankheiten von ihrem Umfeld erreichen wollen, leider auf selbstschädigende Weise, weil ihnen andere, gesunde Mittel dazu fehlen. Das ist jedoch ziemlich beschränkt gedacht.  
Um Krankheitsangst wirklich zu verstehen, muss man tiefer in die Psyche eintauchen.
In der Krankheitsangst werden unbewusste innere Konflikte, verdrängte Gefühle, misslungene Bindungserfahrungen und nicht integrierte Traumata im eigenen Körper verortet. Krankheitsangst, könnte man sagen, ist der unbewusste Versuch das Unbewältigte, die Angst oder das Unaushaltbare im Körper zu manifestieren, also jenseits der Psyche.
Der Körper fungiert gewissenmaßen als Schauplatz für das Unbewältige, was aber den Betroffenen nicht bewusst ist. Das unbewusste Problem wird auf die Körperebene verschoben. Es kommt zu vegetativen Symptomen, die bei der Krankheitsangst zu übermäßigen Gefühlen von Bedrohung führen und mit einer dauerhaften Angst vor Krankheit, Leiden, Sterben und Tod einhergehen. Die Betroffenen beschäftigen sich beharrlich mit der Möglichkeit, dass sie an einer oder mehreren schweren und fortschreitenden körperlichen Krankheiten leiden. Sie erleben normale Körperwahrnehmungen und Symptome als abnorm, verstärkt, belastend und bedrohlich. Manche empfinden Krankheit an sich als lebensfeindlich. 
 Betroffene fokussieren ihre ganze Aufmerksamkeit auf verschiedene und wechselnde Organe des Körpers. Die ständige Sorge um die Symptome bzw. die feste innere Überzeugung krank zu sein oder es zu werden, führt zu einer stark ausgeprägten Fehlinterpretation körperlicher Symptome. Diese führt zu Verhaltensweisen, die einen neutralisierenden Charakter besitzen, wie z.B. eine zwanghafte Selbstuntersuchung, das endlose Befragen von Dr. Google, das Einholen von Rückversicherungen, ständige Arztbesuche oder das Vermeiden von Arztbesuchen aus Angst vor einer schlimmen Diagnose.
All diese Strategien führen zu einer kurzfristigen Angstreduktion, aber zu keiner Er-Lösung, sondern vielmehr zu einem sich selbst verstärkenden andauernden Leiden. Die sich ständig wiederholenden Denk- und Verhaltensmuster führen dazu, dass sich die Toleranz für körperliche Missempfindungen verringert und sich die Aufmerksamkeit auf den Körper erhöht, was zu einer massiven Beeinträchtigung des alltäglichen Lebens führen kann. 
 
Deshalb ist die entscheidene Fage: Was ist der Sinn dieser Angst? Was für eine Funktion hat sie?
Die Antwort geht weit über die These: „Diese Menschen suchen Aufmerkamkeit“, hinaus.
Krankheitsangst ist zugleich ein Abwehrmechanismus, als auch ein Bewältigungsmechanismus, eine Art Überlebensstrategie, die aus frühen Bindungsstörungen, Traumata, Enttäuschungen, Trauer, Einsamkeit oder belastenden und/oder Missbrauchs- und/oder Gewalterfahrungen aus zwischenmenschlichen Beziehungen entstanden ist. Es findet ein Rückzug auf den eigenen Körper statt, durch den Betroffene eine Entlastung von den wahren Gefühlen erleben, die dahinterstehen, ihnen aber in ihrer Gestalt nicht bewusst sind. Die intrusiven Gedanken oder Vorstellungen bezüglich des Körpers sind so stark und belastend, dass die dahinterliegende, eigentliche Angst, bzw. das eigentliche Thema nicht gegriffen, bzw. begriffen werden. Das wahre Problem verbleibt im Behältnis des Körpers. Dort ist die Angst dann nicht mehr diffus, sondern in eine fassbare Form gebunden.
Krankheitsangst ist ein Abwehrmechanismus, der sich tragischerweise zerstörerisch gegen die eigene Person wendet. Heißt: Zerstörerische Impulse werden gegen das eigene Selbst gerichtet und treffen so nicht das Objekt, die Erfahrung oder die Situation, der sie eigentlich und ursprünglich gelten - der eigene Körper wird quasi zum Ersatzziel.
Darum ist es so wichtig nach den individuellen Ursachen zu forschen, die der Krankheitsangst zugrunde liegen um dann, mittels einer Verhaltenstherapie, den Betroffenen Werkzeuge an die Hand zu geben um alternative Deutungen für ihre körperlichen Missempfindungen zu finden, das Kontrolle und Sicherheit suchende Verhalten zu reduzieren und die im Körper gebundene Energie freizusetzen, so dass sie mit der Zeit angemessener und bewusster mit ihren Symptomen und ihrer Angst umgehen können und lernen dem eigenen Körper wieder zu vertrauen. 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de
 

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