Freitag, 1. Januar 2021

Weiter üben ...

 

                                                                         Foto: www


Es war eine stille Silvesternacht. Zum ersten Mal seit Jahren habe ich sie allein verbracht. Ich habe mir etwas Gutes zu Essen gekocht und das alte Jahr noch einmal Revue passieren lassen. Ich habe eine große Müdigkeit verspürt und mich mit einem Buch ins Bett gelegt. Ich hatte nicht das Bedürfnis etwas anderes zu tun als mich auszuruhen. Heute nehme ich mir Zeit und höre in mich hinein, wie ich mein Leben 2021 ausrichten will, was ich in mein Leben einladen will und wovon ich mich verabschieden will. Natürlich würde ich mich am Liebsten von Corona verabschieden und dem Virus sagen: Du, es reicht jetzt, wir haben alle genug von dir. Ich will endlich wieder Menschen nahe sein, ihnen in ihr unverhülltes Gesicht sehen, meine Praxisarbeit live machen und nicht virtuell. Ich will frei sein von der Enge, die mir das Herz zuschnürt und mich an manchen Tagen traurig macht. Ich will reisen und endlich zu meinem Sohn nach Berlin fahren und ihn ganz lange im Arm halten. Geht nicht. Ich weiß, das Virus wird uns auch in diesem Jahr begleiten. Auch in diesem Jahr wird es unser Leben, unseren Alltag, unsere Entscheidungen, unsere Pläne, unsere Möglichkeiten und unsere Beziehungen beeinflussen. 
 
Es wird wieder kein leichtes Jahr, auch wenn wir das alle hoffen und es uns von Herzen wünschen. Wir müssen uns weiter dem anpassen, was es mit uns macht und weiter das Beste aus dem machen was ist. Ach, ich bin so müde davon. Ich möchte nichts mehr davon hören und lesen, aber was nützt mir das? Nichts. Es ist wie es ist. In diesem Istzustand fallen mir die Worte des amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr ein:
"Gott, gib mir die Gelassenheit,
Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden."
Und genau das ist auch in diesem Jahr die Herausforderung. 
 
Hinnehmen was ist, ändern und gestalten, was möglich ist und weise das eine vom anderen unterscheiden. Dieses Unterscheiden ist nicht einfach. Ich könnte in meinem Leben so einiges ändern, wäre es nicht wie es ist. Es wäre einfach Veränderungen vorzunehmen, wenn die Grenzen des Außen mich nicht beschränken würden. Inmitten dieser Grenzen ist das Mögliche klein geworden und beeinflusst von Dingen, die ich nicht in der Hand habe.
Was also habe ich noch in der Hand? Was kann ich ändern?
 
Irwin Yalom, der amerikanischer Psychotherapeut und Bestsellerautor stellt seinen Patienten zu Beginn der Therapie folgende Frage: „Wenn Sie in einem Jahr wieder hier säßen, was müssten sie dann heute anfangen zu tun, damit es Ihnen an dem Zeitpunkt besser geht und Sie das Gefühl hätten, Ihre Zeit voll ausgenutzt zu haben?“
 
Mir gefällt diese Frage. Sie impliziert, dass wir selbst eigentlich ganz gut wissen, was uns gut tut, was wir tun müssen, damit es uns gut geht, wenn wir auf unsere innere Stimme hören und ihr vertrauen.
Meine innere Stimme sagt: Tu was du immer getan hast. Mach deinen Job, hilf Menschen. Und wenn es so wie es war nicht mehr geht, such dir Wege wie du es weiter tun kannst, aus dem menschenleeren Praxisraum heraus. Und was dich selbst angeht: Halte dich stabil. Verschwende deine Kräfte nicht an Dinge, Gewohnheiten, Menschen und Gedanken, die dich schwächen, halte durch und hab Geduld. Bleib in deiner Mitte und nutze alle Möglichkeiten, die du hast um die innere Balance zu halten.
Des Weiteren animiert Yaloms Frage darüber nachzudenken, ob wir wirklich das Leben leben, das wir wollen. Klares Nein! Natürlich nicht, denn so wie ich es will, ist es gar nicht mehr möglich. Und das macht es schwierig, das stellt eine Frage in Frage, die ich, die wir, vor Corona so viel leichter hätten beantworten können. Ich lebe nicht mehr wie ich will, wir alle nicht. Wir leben stark beeinflusst von einem unkontrollierbaren Außen. Wir MÜSSEN müssen und das in so vielen Bereichen. Und vor allem müssen wir verzichten in vielen Bereichen. 
 
C.G. Jung sagte einmal: „Das einzig lebenswerte Abenteuer kann für den modernen Menschen nur noch innen zu finden sein."
Wie stimmig das ist angesichts unseres Jetzt. Nach Innen gehen. Das Abenteuer Leben im Innen suchen und finden. Welch eine Herausforderung. Aber genau darum, genau dahin geht es jetzt - nach Innen weil das Außen nicht mehr in dem Maße vorhanden ist, wie es das einmal war. Innen in unseren Wohnungen, in unseren Herzen, in unseren Seelen, da ist jetzt Raum zu finden und Raum zu füllen. Mein Bauch grummelt ein wenig, während ich das schreibe. Puh, das ist nicht leicht. Aber es ist weise. Und weil ich Weisheit mag, werde ich das tun – mich weiter meinem Inneren zuwenden. Geübt habe ich ja schon im vergangenen Jahr. Aber mit anderen Gedanken, mit dem Gedanken - wir werden das Virus schon besiegen und bald ist es vorbei. Es ist nicht bald vorbei. Weiter üben ist angesagt. Weiter Wege suchen, die das Innere erfüllen. Heilsame Wege finden und sie gehen, weiter leben und das Leben in all seiner Schönheit, in allem was es ausmacht mit einem kraftvollen TROTZDEM lieben, auch wenn so vieles Liebenswerte wegfällt. Weiter arbeiten an dem, was wir lieben und es in die Welt geben. Weiter Träumen. Die Zeit ausnutzen, die wir haben und dankbar sein, dass wir diese Zeit überhaupt haben. Es wird eine andere Zeit kommen, denn es bleibt nichts wie es ist und im besten Falle begegnen wir ihr weiser als vorher. 
 
Ein heilsames 2021 wünsche ich uns.

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