Mittwoch, 13. Januar 2021

Sinngebung in der Krise

 

                                                                     Foto: www

Irgendwie haben viele von uns den Halt und den Kompass verloren. In der Krise finden wir keine verbindlichen und tragfähigen Antworten mehr, weder was eine Lösung angeht, noch was wir in Bezug auf unsere Lebensentwürfe noch realisieren können. Wir stecken fest in einem nicht enden wollenden Lockdown. Lebensidealismus und Hoffnung aufrecht zu erhalten ist eine mühsame tägliche Herausforderung für viele von uns geworden. Auch die, denen es existentiell noch gut geht, deren Existenzen nicht auf der Kippe stehen oder noch nicht vernichtet sind, fragen sich: Ist es nur noch eine Frage der Zeit bis zum kollektiven Kollaps?
 
Ein zunehmend wachsendes Lebensgefühl der Skepsis, der Verunsicherung, der Demoralisierung und der Resignation ist nicht verwunderlich. Waren wir einst ein reiches, hoch entwickeltes Land in dem Freiheit, Demokratie und Menschenwürde hohe Werte waren, so erleben wir wie diese Werte zusehends bröckeln.
Viele Menschen ziehen sich in der Folge aus einer Welt zurück, von der nicht mehr viel zu erwarten ist, und verpuppen sich in ihren privaten Kokon. Sie versuchen, so gut es geht, mit dem was ist fertig zu werden und stoßen dabei an die Grenzen der Belastbarkeit. Überforderung allerorten, in der Politik, in der Wissenschaft in den Seelen.
Wo soll man noch Halt und Orientierung finden in einer Welt die scheinbar machtlos einer Krise ausgeliefert ist und nur in kleinen Schritten, von denen nicht einmal gewiss ist, ob sie denn die Lage radikal zum Bessern verändern, dem Kollaps entgegenzuwirken versucht? Wie soll man anderen Halt bieten, wenn man selbst am wackeln ist? 
 
Die Verdunkelung zeigt sich auf allen Ebenen des Seins weltweit.
Der moderne Mensch ist in eine Existenzkrise gestürzt, die von Außen auf ihn eingebrochen ist und damit ist er an einem Punkt angelangt wo es ums bloße Überleben geht. Jeder ist bedroht, jeden kann es treffen, das Virus, der Verlust geliebter Menschen, der Verlust der Existenz, das materiell abgesicherte Sein, der Verlust des eigenen Lebens.
Zurückgezogen in eine fatalistische und provisorische Erwartungshaltung eines unbestimmten Endes lebt es sich nicht gut. Kein Grund alarmistisch zu werden? Meines Erachtens ein nachvollziehbarer Grund. 
 
Man kann diesen Zustand nicht dramatischer machen als er es schon ist. Er ist für die Mehrzahl der Menschen kaum noch erträglich. Ihre akute Not ist an alle Ecken und Enden sichtbar und spürbar. Das Lebensgefühl hat sich verändert. Einerseits ist es der Boden auf dem sich weitere Resignation ausbreitet, andererseits ist es eine Prüfung für den menschlichen Geist. Hat man ihm die Normalität des Alltags genommen und ist sie zusätzlich mit einer unsichtbaren, kaum bremsbaren Bedrohung infiziert, trudelt er dem Gefühl der Bodenlosigkeit entgegen. Die vertraute Wirklichkeit einer nahen Vergangenheit ist verschleiert durch eine Verarmung des Jetzt. Verarmt an Möglichkeiten, verarmt an Freiheit, verarmt an Freude, verarmt an Sicherheit, an Planbarkeit, verarmt an Nähe, verarmt an so vielem, was dem Leben Sinn gab.
 
Die Existenzkrise führt direkt in die Sinnkrise.
Eine Verflachung der Affekte, die als trüber Unterton den Alltag begleitet, macht müde und immer müder. Müdigkeit macht träge. Die Unfähigkeit aktiv am Leben teilzunehmen zu können, führt zu immer mehr Mangelerscheinungen, die durch wenig zu kompensieren sind. Ein Mangel an Begeisterungsfähigkeit, ein Mangel an Zuversicht, ein Mangel an Sicherheit, ein Mangel an Halt, an Gestaltungsmöglichkeit, ein Mangel an Selbstentfaltungsmöglichkeit, ein Mangel an Kontakten - wohin wir blicken: Mangel.
Je weniger Bedürfnisse erfüllbar sind, desto größer der Mangel.
Der Mensch 2021, ein Mangelwesen, wie wir ihn so nicht kennen.
Das befremdet und macht uns uns selbst fremd.
 
Wer sind wir jetzt noch?
Worauf gründet sich unser Sinn?
Auf Hoffen, Durchhalten, Aushalten?
Schwer bei dem vagen Gefühl, das Leben zu versäumen und es nie wieder so zu erfahren, wie wir es einst kannten.
Wir warten und sind doch feinfühlig genug um zu spüren, dass das Leben weitaus mehr ist, als warten. Denn im Warten verpassen wir das Lebendige selbst.
Frustriert und gelangweilt in einer still stehenden Welt, die von uns selbst mit dem was wir einbringen können und wollen, nicht mehr im gewohnten Maße beinflussbar ist, in einer Welt die auf das Überleben heruntergebrochen ist, machen wir uns auf die Suche nach Bedeutung und Sinn. 
 
Aber woher den Sinn nehmen, angesichts einer zunehmenden Verdunklung im Leben des Einzelnen und des Kollektivs?
Der Blick auf das was ist, der Blick auf die eigene Not und die eigene Bedürftigkeit ist geschärft. Beschäftigt mit dem kräftezehrenden täglichen Versuch der eigenen Ermutigung, verlieren manche den Blick auf den anderen. Sie erblinden für die Not ihrer Mitmenschen und versuchen, das was ihnen noch bleibt, in ihrem Leben zu erhalten. Andere wiederum werden gerade durch die eigene Not sehend für die Not der anderen und geben was sie an Mitteln haben um die Not zu lindern. Sie wachsen über sich selbst hinaus – zum anderen hin. Anstatt in Selbstbezogenheit und bloßem Eigeninteresse zu denken und zu handeln und die damit einhergehende Geichgültigkeit dem Nächsten gegenüber und damit wiederum die Gleichgültigkeit dem eigenen Sein gegenüber zu füttern, werden sie zum Halt für andere - eine Möglichkeit der Sinngestaltung in diesem Drama, um es gemeinsam zu bewältigen.
Solange es dauert, bis es nicht mehr ist und auch wenn es in diesem Drama keine Katharsis geben sollte, so haben die nicht Gleichgültigen eine Leerstelle, die diese Krise kennzeichnet, gefüllt: Die Mitverantwortung für andere.

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