Samstag, 16. Januar 2021

Was macht Isolation mit Menschen ?

 

                                                                 Foto: A. Wende

Isolation, das klingt nicht gut.
Isolation bedeutet Absonderung, Trennung, Getrennthaltung von Kranken oder Häftlingen. Abkapselung, Vereinzelung, Einsamkeit, Vereinsamung. Das alles verbinden wir mit dem Zustand der Isolation. Das sind Zustände, die kein Mensch erleben möchte.
Genau das aber erleben wir jetzt – Isolation. Die einen mehr, die anderen weniger.
Der Mensch ist ein soziales Wesen. Das ist keine neue Erkenntnis. Wir brauchen einander. Unser ganzes Zusammenleben basiert auf sozialer Interaktion. Wir leben in und durch Beziehungen. Wir sind Beziehungswesen. 
 
Das Ich braucht das Du, um zu leben, um sich zu verwirklichen und um zu überleben
„Der Mensch ist nicht in seiner Isolierung, sondern in der Vollständigkeit der Beziehung zwischen dem einen und dem anderen anthropologisch existent: erst die Wechselwirkung ermöglicht, das Menschentum zulänglich zu erfassen, schrieb Martin Buber in seinem Werk „Ich und Du“. Dieses Buch ist der Schlüssel zu allen philosophischen Schriften Bubers. Hier entfaltete Buber seine Erkenntnis: Im Anfang ist die Beziehung, und Beziehung ist Gegenseitigkeit.
 
Evolutionär betrachtet gibt es Gründe dafür, dass wir Gegenseitigkeit und Beziehungen brauchen. Soziale Kontakte bedeuten: wir gehören zu einer Gruppe. 
Diese Zugehörigkeit ist seit Menschengedenken ein Überlebensvorteil, da uns andere Unterstützung, Schutz und Trost spenden. Menschen haben sich schon immer in Gruppen organisiert. Das war lebensnotwenig um Bedrohungen der Umwelt zu begegnen. Wer aus der Gruppeausgeschlossen wurde hatte keine guten Überlebenschancen. Wir brauchen den Austausch, als auch den Abgleich mit anderen um uns selbst und die Welt zu erfahren. Im Kontakt mit anderen lernen wir und das von Kindesbeinen an. Wir sammeln Informationen und Wissen. Je mehr wir wissen und verstehen, desto mehr haben wir das Gefühl subjektiv Kontrolle über unser Leben zu haben. Das Gefühl sich selbst und die eigene Welt kontrollieren zu können ist neben dem Bedürfnis nach sozialen Kontakten ein weiteres tief verwurzeltes Bedürfnis menschlichen Seins. Zwischenmenschliche Begegnungen und Beziehungen sind nicht nur dazu überlebenswichtig, sie stabilisieren zudem unsere Gesundheit auf geistiger, seelischer und körperlicher Ebene.
 
Wie wirkt Isolation auf Menschen?
Isolation führt dazu, dass diese elementaren Bedürfnisse nicht mehr erfüllt werden. In der jetzigen Isolationssituation sind wir weitgehend getrennt von den anderen, ein soziales Leben findet fast nicht mehr statt. Dies ist aber die unabdingbare Voraussetzung dafür, soziale Kontakte herstellen und erleben zu können. Wir, das ist jetzt für viele Ich - eine Insel allein in einem großen tiefen Meer und um uns herum viele andere Inseln und kein Boot mit dem wir sie erreichen können. Wir steuern geradewegs in eine Vereinsamung, die sozial exogen, also von Außen verursacht wird und mit der eine ganze Gesellschaft konfrontiert ist. Es fehlen Kontakte, Erreichbarkeit, Interaktion, Schutz, Trost und Nähe. Genau das ist aber insbesondere bei einer Bedrohung wie sie gerade herrscht, von zentraler Bedeutung, um Bewältigungsmöglichkeiten für diese Situation zu schaffen und vor allem um das subjektive Gefühl von Kontrolle wiederzuerlangen. Wenn wir einander nicht begegnen können, wenn wir uns gegenseitig körperlich verlieren, verlieren wir unser sogenanntes „soziales Kapital“ und damit verlieren wir je länger es dauert, den Bezug zum anderen. Und genau dieses soziale Kapital, das wir jetzt so nötig brauchen, kann als essentielles Mittel zu Krisenbewältigung nicht genutzt werden. Es gibt es zwar eingeschränkt aber überwiegend virtuell. Das unterscheidet diese Krise massiv von allen Krisen mit denen unsere Generation jemals konfrontiert war. 
 
Wen trifft es besonders?
Besonders alte Menschen laufen Gefahr, durch das Kontaktverbot ihre vertrauten sozialen Bedingungen, unter denen sie jahrzehntelang gelebt haben zu verlieren und damit den Anschluss an das Leben selbst. Ein Auflösungsprozess, der zusammen mit der nachlassenden körperliche Leistungsfähigkeit und den damit einhergehenden Beschränkungen, die eine aktive Teilnahme am sozialen Leben zunichte macht. Ihres familienintensiven Netzwerks beraubt, vereinsamen sie zusehends. Auch erfahren sie kaum mehr körperliche Berührung durch das Pflegepersonal, was ihr Leid noch vergrößert. Das Gleiche gilt für chronisch Kranke und psychisch oder körperlich behinderte Menschen.
Auch Kinder sind massiv betroffen. Ihnen fehlen die Freunde mit denen sie ihre vitalen Bedürfnisse nach Interaktion, Bewegung, Körperkontakt und Nähe erfüllen können. Ihnen fehlt das Lernen in der Gruppe, die Erklärungen und Hilfestellungen der Lehrer. Ihnen fehlt einfach das, was Kinder brauchen um sich gesund zu entwickeln. Sie lernen gerade ihre vitalen Bedürfnisse zu unterdrücken. Sie sitzen zuhause mit der Familie, manche von ihnen auf engstem Raum mit teilweise überforderten Eltern, die nicht die Zeit und nicht die Muße haben sich um die kindlichen Bedürfnisse und Nöte zu kümmern. Manche leben in dysfunktionalen Familien in denen Sucht, Gewalt und/oder Missbrauch herrschen.
Betroffen sind auch all die Menschen, die allein sind und alleine leben. Konnten sie vorher ihr Singledasein genießen oder durch Aktivitäten kompensieren, so ist das Alleinsein jetzt etwas, was sie nicht mehr frei wählen, sondern etwas, was ihnen auferlegt wird. Kontakte auf Distanz pflegen ja, aber neue Kontakte finden oder gar eine partnerschaftliche Beziehung finden, ist ohne Risiko nahezu unmöglich geworden. 
 
Was geschieht wenn die Isolation zu lange andauert?
Isoliert lebende Menschen entwickeln mit der Zeit Wahrnehmungsmuster, bei denen in zunehmendem Maße Negatives gesehen und verarbeitet wird, während Positives ausgeblendet wird. Das subjektive Erleben der eigenen Rolle im sozialen Gefüge geht verloren. Mangels der Erfahrung von Selbstwirksamkeit kommt es mit der Zeit zu Versagensängsten, dem Gefühl von Ausgrenzung und Zurückweisung und in der Folge zu Selbstwertproblemen. Zudem füttert Isolation die generelle Erwartung von Unheil, was zu einem noch stärkeren Rückzug führt. Isoliert lebende Menschen neigen auch, wider besseren Wissens, mit der Zeit dazu Pseudo-Erklärungen für ihre Isolation zu konstruieren, deren gemeinsames Muster darin besteht, dass die unbefriedigende und als schmerzhaft empfundene Situation der eigenen Persönlichkeit und zugeschrieben werden. Der von der Gemeinschaft isolierte Mensch fühlt sich, je länger der Zustand anhält, ausgegrenzt, zurückgestoßen und abgelehnt. Die Vorstellung, dass die Gründe für das Misslingen sozialer Interaktion auch in den Umständen liegen können, geht verloren. Der Mensch vereinsamt innerlich und äußerlich.
 
Neurologische Veränderungen, die mit sozialer Isolation oder Einsamkeit einhergehen, sind schon lange Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen in der Neurologie. Unter anderem wurde untersucht, wie sich akute soziale Isolation auf bestimmte Gehirnregionen auswirkt und ob sich besonders deutliche Veränderungen beobachten lassen. So zeigten Magnetresonanzuntersuchungen charakteristische Entzugserscheinungen infolge einer zehnstündigen Isolierung auf wie sie z.B. bei Alkoholsüchtigen zu finden sind. 
(Jan Osterkamp: „Soziale Isolation: Süchtig nach anderen.“ spektrum.de)
 
Es gibt Menschen, die mit der Isolation besser und Menschen, die damit weniger gut oder gar nicht klarkommen. Wer an ein zurückgezogenes kontaktarmes Leben gewöhnt ist, kann leichter mit dieser Situation umgehen. Introvertierte Charaktere zum Beispiel, die nicht so viel Kontakt brauchen und mit sich selbst zufrieden sind, empfinden die verordnete Selbstisolation weniger belastend als Extrovertierte oder Menschen, die viel Kontakt brauchen und sehr auf das Feedback und die Anerkennung anderer angewiesen sind. Ebenso macht es einen eklatanten Unterschied, ob man im Home-office sitzt oder ob die Existenzgrundlage komplett weggebrochen ist und den ganzen Tag zuhause sitzt, nichts zu tun hat und nicht mehr gebraucht werden. Das kann zu mentalen und emotionalen Zusammenbrüchen führen und sogar körperlich krank machen. 
 
Was kann man tun?
Es ist wichtig eine Grundstruktur für den Tag zu finden und sich daran zu halten. Das bedeutet: Einen zeitlichen Rhythmus beibehalten. Zur gleichen Zeit aufstehen, schlafen gehen, essen, sich bewegen, ein Projekt verfolgen, Ziele suchen und formulieren und in kleinen Schritten daran arbeiten. Wichtig ist, dass man sinnvolle Arbeiten findet, damit man am Ende des Tages das Gefühl hat: Ich habe etwas getan, was Sinn macht. Nichtstun und sich treiben lassen dagegen kann zur Habituation (Gewöhnung) führen. Habituation beschreibt den Umstand, dass ein Mensch irgendwann nicht mehr auf einen Reiz reagiert, wenn dieser folgenlos bleibt. Vereinfacht gesagt geben unsere Nervenzellen dann Reize, die vom Gehirn nach und nach als unwichtig eingestuft wurden, einfach nicht mehr weiter. Was zur Folge hat: Auch wenn dieser Mensch wieder gefordert wird, reagiert er nicht mehr. Er hat es sich im wahrsten Sinne des Wortes abgewöhnt. 
 
Natürlich löst sich selbst disziplinieren und sich selbst beschäftigen das Problem der Isolation nicht. Aber es ist besser etwas zu tun, als nichts zu tun oder sich der Langeweile zu ergeben und sich so in den Zustand der dumpfen Lähmung fallen zu lassen. Dieses Verhalten birgt auch die Gefahr, dass zum psychischen Druck der Isolation andere psychische Probleme hinzukommen und/oder dass sich bestehende Probleme verstärken. So kann bei Menschen, die dafür anfällig sind, das Verlangen nach Betäubung mittels Alkohol und anderer Drogen steigen. Die mögliche Folge: Sie ziehen sich vollends in sich selbst zurück. Sie glauben nie wieder etwas leisten zu können und fühlten sich als Verlierer, auch im Sinne sozialer Erwünschtheit. 
 
Welche Menschen kommen nun mit Isolation am Besten zurecht?
Am besten bewältigen das emotional stabile, resilient genannte Persönlichkeiten. Das konnte man bei Menschen beobachten, die sich in Isolationshaft befanden. Fakt ist dennoch: Wir Menschen sind für die Isolation nicht geschaffen. Wir haben sie nicht geübt. Der Umgang damit ist etwas was uns völlig fremd ist und deshalb sollten wir nicht zu viel von uns erwarten, wenn wir damit nicht gut klar kommen. Andererseits, es gibt Einsiedler, die damit sehr gut klar kommen. Aber diese haben die Isoation selbst gewählt und das macht einen Unterschied.

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