Dienstag, 5. Januar 2021

Sehnsucht nach Berührung

 

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Wenn uns lange niemand mit liebenden Händen berührt ist das, wenn wir Sehnsucht danach haben, und die hat jeder gesunde Mensch, schmerzhaft. Je länger das Nichtberühren dauert, desto schmerzhafter kann es sein. Berührung gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Eine Umarmung, ein liebevolles Schulterklopfen, Streicheln, Kuscheln, Küssen, Sex: Nähe und Wärme sind existenziell für uns Menschen. Berührung lässt sogar Babys schneller wachsen. Ein Mangel daran kann nachweislich krank machen. Umgekehrt können Berührungen sowohl bei körperlichen als auch psychischen Erkrankungen therapeutisch eingesetzt werden und heilsam sein. Wenn wir Menschen nicht berührt werden, verkümmern wir.

Berührung ist gut für unsere Seele, für unser Immunsystem, für die kindliche Entwicklung, und im Umgang mit kranken und alten Menschen.

 

Eine Hand halten, eine Umarmung beruhigen.

Die Haut ist das Organ, an dem unsere Identität hängt und das über eine eigene Intelligenz verfügt. Haut und Gehirn kommunizieren miteinander. Es gibt eine Verbindung von Haut und Gefühlen. Durch die Ausschüttung des Botenstoffs Oxytocin nach einer angenehmen Berührung werden zum Beispiel Stresshormone im Körper abgebaut. Das reduziert das Stresshormon Cortisol. Das wiederum reduziert nicht nur Ängste, sondern stärkt auch das Abwehrsystem. Denn ein Teil der Stressreaktion des Körpers ist die Unterdrückung von Immunfunktionen. Oxytocin bewirkt, dass wir ruhiger atmen, es senkt Herzschlag und Blutdruck – wir entspannen uns. Oxytocin schützt vor Krankheiten, es lindert Schmerzen und sorgt dafür, dass wir andere lieben und ihnen vertrauen können. Oxytocin spielt für das Zusammenleben aller Menschen eine große Rolle - es wirkt prosozial. Berührungen transportieren Emotionen und sie fördern ein harmonisches Miteinander. Ob körperlich, seelisch oder geistig: Berührung stellt Beziehungen und Zusammenhänge her. 

 

Was wird aus einem Menschen, wenn er zu wenig Berührung erfährt?

Was macht es mit unserer Seele, wenn wir uns nicht mehr anfassen dürfen?

Die Therapeutin Virginia Satir sagte einmal: Wir brauchen 4 Umarmungen pro Tag zum Überleben, 8 Umarmungen pro Tag, um uns gut zu fühlen, und 12 Umarmungen pro Tag zum innerlichen Wachsen. Machen wir uns das bewusst, erkennen wir wie wichtig es ist zu berühren und berührt zu werden. Wenn Berührung lange fehlt, kann Sinnleere die Folge sein. Wer nicht berührt wird, spürt sich weniger selbst – er wird seiner selbst ­unsicher oder sich selbst im ungünstigsten Falle fremd. Und das hat wiederum Folgen für seine Beziehungen zu anderen. Er wird misstrauischer. Nähe ist für ihn angstbesetzt. Er geht auf Distanz -  in dem Maße wie er eine innerliche Distanz zu sich aufgebaut hat. Er beginnt im wahrsten Sinne des Wortes zu fremdeln. Je mehr ein Mensch unter Nichtberührung leidet, desto höher ist die Gefahr seelisch und körperlich zu erkranken.

 

Was können wir tun, wenn Haut und Seele weh tun von der Nicht-Berührung?

Früher haben wir auf das Phänomen der Berührung gar nicht geachtet. Berührung war selbstverständlich, es gab sie oder es gab sie nicht, aber meist gab es sie im alltäglichen Umgang in irgendeiner noch so kleinen Weise. 

Jetzt ist das anders. In unserem Jetzt fehlt es vielen von uns genau daran. Wir dürfen uns nicht mehr berühren. Der Pfleger nicht mehr den Pflegebedürftigen, der Arzt nicht mehr die Patienten, der Therapeut nicht mehr den Klienten, das Familienmitglied nicht mehr den Kranken. Hände schütteln, Küsschen auf die Wange, eine spontane Umarmung geht nicht. Geht schon, aber mit Risiko. Uns auf eine intime Begegnung einlassen - Risiko. 

Die Dinge haben sich verändert. Aber wir uns nicht. Wir brauchen noch immer Berührung und wir leiden darunter sie nicht mehr angstfrei oder zumindest nicht mit mulmigem Gefühl erfahren zu dürfen. Für viele Menschen aber ist Nichtberührtwerden nichts Neues. Immer gibt es Menschen, die ohne Berührung leben müssen, einfach weil es da niemand Berührbaren in ihrem Leben gibt. Sie kennen den Schmerz des Vermissens gut, den jetzt viele von uns zum ersten Mal intensiv zu spüren bekommen.

 

Was aber können wir jetzt tun, wenn wir niemanden haben, der uns berührt und wir ihn?

Die Berührung warmer Gegenstände tut gut und macht großzügig.

Zu dieser Erkenntnis gelangten in zwei Experimenten Lawrence Williams von der Universität von Colorado und John Bargh von der Yale Universität im Jahr 2008. Einerseits bewerteten Teilnehmer einen Fremden als großzügiger und fürsorglicher, wenn sie zuvor kurz einen Becher mit warmem Kaffee in Händen hielten. Andererseits sorgte ein Wärmekissen dafür, dass die Teilnehmer eher ein Geschenk für Freunde aussuchten als für sich selbst.

Wärme tut also gut.

Das können wir für uns nutzen. Achtsam einen warmen Tee trinken.Achtsamkeit im Umgang mitdem eigenen Körper tut gut. Ein warmes Bad nehmen, uns mit warmen Öl selbst massieren, eine Wärmflasche auf den Bauch legen und warmes Licht anmachen hilft. Meditation hilft. Schöne Dinge bewusst berühren hilft. Bewusst schmecken, was wir essen hilft. Was wir zum Essen zubereiten bewusst berühren hilft. Bewegung, am besten draußen in der Natur, hilft. Die warme Sonne, aber auch Kälte oder Wind helfen, den Körper zu beruhigen, wenn er lange auf Berührungen verzichten muss. Kreativität, die uns in Flow versetzt, hilft. Die Seele von schöner Musik berühren zu lassen hilft. Worte, die uns berühren, helfen. Ein Haustier streicheln hilft. Den alten Teddy aus Kindertagen in den Arm nehmen hilft. 

Wahr ist leider: Alles hilft nicht so richtig.

Wir, die wir keinen zum Anfassen haben, sind jetzt gezwungen mit unserer Sehnsucht nach Berührung zu leben.

Aber was hilft gegen die Sehnsucht?

Vertrauen - darauf, dass es anders wird. Und das wird irgendwann so sein. Und gut zu uns selbst sein, so gut wir es vermögen.

Und was noch?

Mir hilft mein Glaube.

Ein Mensch, der glaubt, unterscheidet sich vom dem, der nicht glaubt, dadurch, dass er glaubt, dass Gott ihn durch das, was er ihn erfahren lässt, berühren will. Dieser Glaube berührt die eigene Seele auf einer höheren Ebene und befriedet sie. An etwas Größeres glauben in schweren Momenten öffnet die Bereitschaft für einen hoffnungsvollen Umgang mit der Sehnsucht. Darin liegt die heilsame Berührung im sich Sehnen. 

 

 

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