Sonntag, 11. Oktober 2015

Frei von Illusionen


Vielleicht macht es Sinn, ein illusionsloses Leben zu leben, frei von Illusionen über sich selbst und andere und die Welt, sagte er.

Aber ist das überhaupt möglich, was ist denn der Maßstab, um zu erkennen wann es eine Illusion ist, die du dir machst und wann nicht. Wann weißt du, ob etwas ist wie es wirklich ist?, erwiderte ich.

Er überlegte einen Moment: Ohne Illusion leben bedeutet Klarheit erlangen, sich klar darüber sein was ist und was nicht, es bedeutet Klarheit darüber, dass man sich selbst belügt und von anderen belogen wird, die sich selbst belügen. Es bedeutet sich klar darüber zu sein, dass jede Selbstlüge der Selbstklärung entgegensteht, die es braucht um die Selbstlüge zu beenden und damit alle Lügen, denn die Selbstlüge ist der Ursprung aller Illusionen.

Das Leben ist ein Spiel mit der Täuschung. Und ich kenne keinen der es nicht spielt. Der Mensch lebt in Illusionen, vielleicht weil er nicht anders kann. Er braucht sie um aus dem was ist Projektionen ins Mögliche zu schaffen, er braucht sie um sein Innerstes zu schützen vor Wahrheiten, die nicht aushaltbar sind und um den Schmerz über das Unaushaltbare zu ertragen. So macht sie Sinn, die Illusion, als Selbstschutz vor dem Zerbrechen an der Härte der Wirklichkeit da draußen. Manchmal ist sie lebenserhaltend und damit eine gesunde Wahl, auch wenn die Wahrheit über die Wirklichkeit damit ausgeschlossen wird, antwortete ich.

Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar, sagte er, ein Ziat von Ingeborg Bachmann, nutzend.

Gut. Nur, was ist wahr?, erwiderte ich. Macht sich nicht jeder selbst sein Bild über die Wahrheit. Sieht nicht jeder nur das, was er sehen kann, geboren aus seiner Sicht auf Welt? Ist es nicht so, dass Wahrheit keine Allgemeingültigkeit besitzt, und ist sie nicht auch ein Spiel mit der Täuschung, eine Illusion? Alles sind Projektionen, Suggestionen, die das Gehirn macht und damit Wirklichkeit verzerrt, so dass es die Wahrheit gar nicht geben kann, die eine Wahrheit, die Klarheit bedeuten würde. Nichts ist wahr und nichts ist unwahr und alles ist Illusion.

Aber was ist dann mit der äußeren Wirklichkeit?, fragte er zurück. Sie ist doch da und damit wahr.

Sie ist da, nickte ich, aber sie unterliegt den Konstruktionen, die sich Menschen über sie machen, sie unterliegt dem, was sie hineindeuten oder nicht sehen wollen, bis hin zum Wirklichkeitsverlust, der die Wirklichkeit verzerrt.

Und das ist dann Illusion, oder?

Illusionistisch wird die innere Welt immer dann, wenn sie derart mit der äußeren Wirklichkeit kollidiert, dass sich das Selbst aus ihr herausnimmt, sich auf sich selbst reduziert, sich von ihr entfremdet und der Kontakt mit der Wirklichkeit nicht mehr existiert.

Das ist pathologisch, räumte er ein.

Ja, und das ist nicht selten, erwiderte ich. Ich erlebe viele Menschen, die in dieser Pathologie leben, sich selbst dermaßen entfemdet, dass sie für keine Wahrheit mehr ansprechbar sind. Gefangen im Sumpf der Illusion haben sie den Bezug zur Wirklichkeit verloren und damit sich selbst.

Die Selbstlüge wird also dann zum Problem, wenn das Selbst nicht mehr um sie weiß?

Ja, so ist es, nur das Selbst, das bewusst um die Illusionen weiß, die es sich macht, kann die Illusionen wählen, die es braucht um das Leben zu überstehen, ohne angesichts der Härte der Wirklichkeit zu resignieren.

Es empfiehlt sich also nicht ein illusionsloses Leben zu leben, frei von Illusionen über sich selbst und andere und die Welt? sagte er.

Nein, es empfiehlt sich nicht, wenn du mich fragst.

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