Sonntag, 24. Juli 2011

das unglück

an einem tag ist das leben die ansammlung der dinge, die wir tun und plötzlich kommt das unerwartbare - ein unglück.

das unglück, das ist der moment der das leben in zwei teile bricht, der moment in dem alles was es vorher gegeben hat zur erinnerung an eine blasse vergangenheit ohne konturen wird und den gedanken an wie weiterleben?, zur unmöglichkeit macht.

in jedem leben ist immer auch die möglichkeit des unglücks, im leben jedes einzelnen von uns. menschen, die ein unglück trifft, gibt es jeden tag, immer und überall auf der welt. es gibt so viel unglück.

das unglück schafft schmerz, es macht fassungslos, es lähmt, es macht wütend und immer hat es die frage nach dem warum zur folge.

das unglück hat norwegen getroffen, es hat ein ganzes land getroffen, so hören und lesen wir in den medien.

das unglück hat über neunzig menschen getroffen, das unglück hat uns alle getroffen, uns, die ganze welt und die ganze welt trauert um das schreckliche unglück, weil es so unfassbar ist, so überraschend kam, so unvorstellbar grausam ist, so unvorstellbar unmenschlich, so unvorstellbar gewalttätig und so unvorstellbar groß.


das unglück ist geschehen und die welt hält für einen kurzen moment den atem an. und dann wird kommentiert, in der presse, im fernsehen. die bilder des unglücks gehen um die ganze welt und die ganze welt liest darüber, sieht sich die bilder an, gibt ihnen raum im alltag, ist fassungslos, schockiert und wütend und voller hass auf den, der das unglück erschaffen hat.

das böse wird der welt bewusst und sie ist in allem unglück doch irgendwie beruhigt, dass der täter gefunden ist, sein bild in der presse und im fernsehen erscheint.

das böse hat ein gesicht und die welt darf es benutzen für die wut, die ohnmacht, den schmerz, die trauer und den hass, den sie empfindet. ja, es ist gut dieses gesicht zu haben, das man am liebsten zerstören würde, auslöschen, weil es das unglück gebracht hat über so viele menschen und die angst hat so groß werden lassen vor dem bösen, die angst die die welt sonst so gut verdrängt, wenn kein unglück geschieht.


und alle stürzen sich auf das böse und suchen zeichen und spuren, wann es denn angefangen hat und fragen sich warum es denn nicht gesehen wurde, beizeiten, das böse und das kommende unglück und antworten finden sich keine.

das unglück lässt uns antwortlos zurück, uns und die menschen, die es getroffen hat und anhalten lassen hat, mit einem schmerz, der uns unbegreiflich ist, uns, die wir das unglück nur in den bildern der medien sehen.


über neunzig menschen, die sterben mussten, kinder, die sterben mussten, weil einer es so entschieden hat und ich denke an all die anghörigen dieser menschen, die unendlich leiden, die leiden werden ein leben lang.

über das leid dieser menschen erfahren wir nichts. wir wissen darum, aber thematisiert in den medien wird es nur am rande. es würde auch nichts nützen es zu thematisieren, wir spüren es doch alle und reden besser nicht drüber, denn irgendwo wissen wir, leid ist unteilbar und keiner von uns kann es diesen menschen abnehmen. auch unser mitleid ändert nichts. das mitgefühl macht dieses leid nicht kleiner - es macht ohnmächtig, die, die es ertragen müssen und uns, die wir darum wissen.

nach all der fassungslosigkeit, dem entsetzen und dem schock über das unglück bleibt der welt nur der blick das böse.

das böse, dem wir die verantwortung geben können, gott sei dank, denn wir sind die guten und das ist gut so, dass die guten das böse ausfindig gemacht haben, das böse, das uns so schreckliches antut, das böse, ein junger mann, der voller hass ist und aus diesem hass heraus das unfassbar grausame getan hat, das menschen leiden macht und eine ganze welt in schockzustand versetzt.

noch tagelang wird man den spuren des bösen folgen in den medien wird man sie verfolgenund irgendwann wird es aufhören, dann, wenn wir genau wissen, wie und was da alles vorging in dem bösen jungen mann, dann, wenn wir genau wissen, warum der mann das getan hat, warum er dieses unglück über die welt gebracht hat und das leid über die familien, die ihr liebstes verloren haben und über das wir nichts hören, dann wird es aufhören.

was wir jetzt hören, laut hören, sind die stimmen der politiker, die norwegen ihr beileid bekunden und wir hören in diesem land die stimme der bundeskanzlerin die am ende ihrer beileidsbekundung ausspricht: "der hass ist unser gemeinsamer feind."

ja, der hass ist unser gemeinsamer feind.

der hass ist der feind in uns selbst, den wir nach aussen projizieren, den wir mit jeder projektion weiter pflegen, den wir füttern, so lange bis er auf uns zurückschlägt. der hass, den auch der böse junge mann in sich trägt.


der hass ist unsere gemeinsamer feind, weil diese welt niemals lernen wird, dass der hass die liebe getötet hat, längst schon. machen wir weiter mit dem hassen und dem kampf gegen den hass, damit er weiter der urgrund des unglücks sein wird. irgendwo, irgendwann, jeden tag, jede minute in dieser welt, die nie begreifen wird, dass sie erntet, was sie säat.

(c) angelika wende




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