Dienstag, 30. November 2010

Warten

Mit eigenartiger Häufigkeit begegnen mir Menschen, die vor mir monologisieren und nicht einmal so tun, als ob sie sich für mich interessieren. Gestern am Abend ruft mich dieser kleine Mann mit dem dauergewellten dünnen blonden Haar auf dem alternden Schädel an, ein Geschäftsmann, der seine menschliche Unsicherheit hinter einem großen Auto und einer goldenen Uhr versteckt. Eine halbe Stunde lang, via Handy mit durch Funklöcher partiell unterbrochener Verbindung, teilt er mir mit, wie beschissenen doch seine Exfrau ist, dass sie nur an sein Geld will und dass er an Heilig Abend seine Kinder nicht sehen kann und auch nicht an einem der Weihnachtsfeiertage mit zu seinen Eltern nehmen darf, weil nach Meinung seiner Ex, alte Leute nicht gut für kleine Kinder sind, dass er das alles nicht aushält, weil er zu emotional sei.

Ich denke, was jammert der, was wäre, wenn ich ihm sagen würde, dass ich Weihnachten allein bin und mein Sohn irgendwo ist, nur nicht bei mir ist und ich nicht weiß, wie ich das aushalten soll. Es würde nichts nützen, diesem Mann, der sich vom Leben ungerecht behandelt fühlt meinerseits mein Leid zu klagen, er macht keine Pausen zwischen den Sätzen, nicht einmal zum Luft holen, Ihm scheint es egal zu sein, was ich denke oder fühle, Hauptsache er hat jemanden der ihm zuhört, jetzt wo er es braucht. Ich weiß ein Reden meinerseits es würde nichts ändern, weil es noch unerträglicher ist, wenn Leid sich zu Leid legt und außerdem würde ich dann möglicherweise eine geschäftliche Beziehung aufs Spiel setzen und wem nützt das.

Am Ende des Gesprächs, das ich herbeiführe, mit der Ausrede ich müsse dann jetzt mal los, hält er kurz inne in seinem Redestrom und meint, ob ich wisse, dass er mich sehr schätze. Es ist mir egal, ich will meine Ruhe haben und ich würde ihm gern sagen, dass ich genug habe von denen, die mich mit ihrem Schmerz voll kotzen, weil sie glauben sie hätten ein Recht dazu, nur weil ich empathisch bin. Auch meine Geschichte ist eine Alltagsgeschichte, unspektakulär und lediglich ein Abfallprodukt von Leben wie es nun mal ist.

Einen Moment denke ich darüber nach, dass der kleine Geschäftmann jetzt nach Hause zu seiner Freundin fährt, dieser Frau, deren Alter er mich anhielt zu schätzen, warum weiß ich nicht, auch nicht, was das mit den Kindern, die er nicht sehen darf zu tun hat, und dann sitze ich wieder am PC und schreibe weiter was ich begonnen habe und vergesse ihn und seine Klage über den Worten, die die weiße Fläche des Dokumentes mit schwarzen Zeichen füllen und mir das Gefühl geben etwas zu tun, was einen Sinn macht, wo so wenig einen Sinn macht, weil das Leben an sich keinen hat und ein einziges Warten ist. Von einem Augenblick zum anderen warten auf etwas, das kommt und kaum, dass es da ist wieder vergeht und ein neues Warten einleitet. Die Hoffnung ist für die, die sonst nichts haben, an dem sie sich festhalten können um weiter zu machen.

Ich mache weiter, weil ich zu feige bin aufzuhören, weil ich meinen Sohn nicht enttäuschen will, denn er braucht mich, egal wo er ist. Er braucht mich, damit ich ihm zeige, dass ich aushalte und auf ihn warte, damit er ein Ziel hat, einen Platz an den er kommen kann, wenn er lange genug woanders war. Das ist meine größte Angst, dass er nicht durchhält und was dann ist, daran darf ich gar nicht denken.

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