Samstag, 27. November 2010

Die Magie der Gedanken

Ich traf die Frau in einem Laden, der teure Wäsche für Frauen verkauft, die sie sich leisten können, oder einen Mann haben, der sie ihnen schenkt. Ich war in diesem Laden um mich mit dem Anblick von etwas Schönen und zugleich Banalen abzulenken, von den Gedanken in meinem Kopf, die wenig schön und nicht banal waren an diesem Vormittag.

Die Frau saß auf einem Barhocker hinter der Ladentheke und war ungefähr in meinem Alter. Auf der Theke lag ein Buch. Auf rosa Grund stand in weißen Buchstaben: "Die Magie der Gedanken", darunter - "Fünf Regeln für ein glückliches Leben".

Schmale Lippen, mit einem auberginefarbenen Lippenstift nachlässig gefärbt, lächelten mich in Verkäuferinnenmanier an: "Kann ich Ihnen helfen?" Ich verneinte mit einem Lächeln, das mir an diesem Vormittag schwer fiel. Die Wäsche interessierte mich nicht mehr. Meine Aufmerksamkeit galt dem Buch. "Darf ich sie fragen, was Sie da lesen?" Das Lächeln der Frau breitete sich aus, verwandelte sich in ein glücklichseliges Strahlen. "Dieses Buch ist meine Rettung", sagte sie und, dass ihr das Buch die Augen geöffnet habe, dass sie nun endlich wisse, wie man im Leben alles bekommt, was man sich wünscht, wenn man die Macht der Gedanken einsetzt.

Ohne Unterlass setzte sie ihren Monolog fort, erklärte mir, dass jeder Mensch selbst für das verantwortlich sei, was in seinem Leben geschieht, ganz gleich ob im Guten oder im Schlechten, dass es kein Schicksal gebe und dass wir alles steuern können, wenn wir nur die richtigen Gedanken denken. Ich hörte zu, schwieg, wissend, eine Zwischenbemerkung oder eine Frage zu stellen wäre ein sinnloses Unterfangen. Endlich endete sie mit dem Satz: "Sie müssen wissen, wir sind der Herr unsers eigenen Lebens."

Ob sie eine Antwort erwartete weiß ich nicht, ehrlich gesagt, es interessierte mich auch nicht. Es gibt Worte auf die es keine Antworten und auch keine Fragen geben kann. Mir blieb ihr zuzulächeln. Das tat ich und verließ den Laden.

In meinen Kopf formten sich Antworten, die mich nach Hause begleiteten.
Welch eine Anmaßung, zu glauben Herr des eigenen Lebens zu sein. Wie vermessen ist die Überzeugung mit dem Verstand und der Macht der Gedanken alles im Griff zu haben und alles erreichen zu können. Solche Gedanken sind eine Allmachtsfantasie unserer Zeit. Sie sind falsch, denn das Unterbewusste ist stärker als der bewusste Verstand und - ja, es gibt etwas, das größer ist als wir.