Donnerstag, 11. Oktober 2018

Das Trauma Betrug



Zeichnung: Angelika Wende

Es tut weh, es tut sogar verdammt weh. Es ist ein Gefühl, als würde einem der Boden unter den Füßen weggezogen. Es ist eine seelische Erschütterung, die uns von einem Moment auf den anderen in eine dunkle, fremde Welt stößt, in der wir uns aufzulösen scheinen und alles, was wir für vertraut und sicher gehalten haben, zu einer fragwürdigen Größe wird. Wir verlieren den Halt, die Seele schreit vor Schmerz und findet keinen Trost - der geliebte  Mensch, den man so gut zu kennen glaubte, dem man nichts Schlechtes zugetraut hat, hat uns betrogen. Ein Mal, mehrmals, über Wochen oder über eine lange Zeit hinweg. Wir haben nichts davon gewusst. Vielleicht haben wir es gespürt, aber unserem Gefühl nicht vertrauen wollen, vielleicht haben wir dem Partner aber auch gesagt, dass sich da etwas seltsam anfühlt und sind beruhigt worden und haben uns beruhigen lassen, weil wir das so gerne wollten – beruhigt sein und sicher und im Vertrauen uns wiegen dürfen. Aber es war eine Lüge, man hat uns Sand in die Augen gestreut und wir haben dem Sand mehr Glauben geschenkt als uns selbst und unserer Intuition und ihn uns aus den Augen gerieben, weil uns Vertrauen so gut gefällt. Kein Mensch will betrogen werden. Und dennoch geschieht es, der Betrug gehört zum Verhalten des Menschen wie das Lügen. Mittlerweile gibt es sogar Seitensprungagenturen in dem der, der den Partner betrügen will, ohne großen Aufwand findet, was er sucht.

Der Mensch ist unberechenbar und kennen werden wir den anderen nie. Er bleibt ein Fremder, den wir uns vertraut gemacht haben. Der Glaube, den anderen zu kennen, ist eine Illusion. Das Reich der inneren Schatten ist so groß und so dunkel, dass sich sogar der erfahrendste Analytiker bisweilen wundert, was es da so alles an Ungutem zu finden gibt.
Wenn es etwas gibt, das kein tief fühlender Mensch erleben möchte, dann sind es Betrug und Lüge von dem Menschen, den er von Herzen liebt. Eine solche Erfahrung kann die die innere und die äußere Welt zerstören. Sie zerstört unser Selbstbild, sie zerstört das Bild, das wir vom anderen haben und sie zerstört die Geborgenheit der Welt, die wir mit ihm teilen. Sie zerstört den gesunden Boden auf dem gelebt und geliebt wurde und hinterlässt verbrannte Erde. Wie soll da noch einmal etwas wachsen und wohin und wenn wieder etwas wächst – ist es dann nicht eine Pflanze, die ein zersetzendes nachaltig wirkendes Gift in sich trägt?

Wie er einen Betrug empfindet und damit umgeht kann jeder nur für sich selbst entscheiden. Aber ein Betrug, ganz gleich, ob er verziehen wird, weil man einen Menschen, den man liebt nicht aufgeben will, wirkt nach. Vor allem beim Betrogenen. Er fühlt sich als Opfer, beschämt und ohnmächtig der Tat und den Folgen der Tat ausgeliefert.
Eine solche Erfahrung macht etwas mit der Psyche. Sie erschüttert das Gefühl für die eigene Identität. Selbstzweifel, Wertlosigkeitsgefühle, Wut, Hass, Rachegefühle, Schmerz, Trauer und Verzweiflung  fragmentieren sogar die stärkste Seele. Vertrautes wird fremd – der Partner, die gemeinsamen Erinnerungen, das Jetzt, der Blick auf eine gemeinsame Zukunft wird relativiert und Misstrauen nimmt den Platz ein, wo zuvor Vertrauen und Glaube an den anderen und an die Beziehung herrschten. 

Nicht selten kommt vom Betrüger der Satz: „Es war doch nur Sex. Der Sex hatte nichts mit meinen Gefühlen zu dir zu tun.“
Sexualität ist eine Sprache der Liebe.
Sie geht tief hinein in die menschliche Existenz. Sex ist mehr als eine Begegnung und ein Abagieren zweier Körper. Bei Tieren ist das so, ein reines Ausagieren der Triebe. Das Tier ist unfrei. Es muss seinem Instinkt folgen. Der Mensch aber hat nicht nur ein Herz und einen Bauch, er hat auch eine Vernunft: Er ist frei seinen Trieben zu folgen oder nicht. Er kann entscheiden. Es geht beim Sex um die Begegnung zweier Menschen, insofern ist ein banaler Satz wie „Sex ist nur Sex", unsäglich, weil Sexualität immer den ganzen Menschen umfasst.
 Zwei Menschen haben sich versprochen treu zu sein, einander zu achten, wertzuschätzen udn sich nicht zu verletzen. 
Einen solchen Satz akzeptieren? Nein, das ist kein Ausdruck  von Liebe, es ist Ausdruck der Verachtung von Liebe.

Wie soll man das verzeihen?
Und wenn, mit dem Verzeihen, falls es gelingt, geschieht nicht zugleich das Vergessen. So etwas vergisst man nicht. 
Da sind die Bilder im Kopf vom Partner und dem mit dem er uns betrogen hat, Bilder, die Abneigung hervorrufen können und Abscheu vorm anderen. Da wird das Anfassen des vertrauten Körpers seiner vertrauten Selbstverständlichkeit enthoben, das kommen Gedanken auf wie: War der oder die Andere schöner, zärtlicher, leidenschaftlicher, besser als ich? Da kommen Selbstzweifel und Schuldgefühle auf. War ich vielleicht der Grund, habe ich nicht genug gegeben oder zu viel? Was an mir ist falsch? Was habe ich getan, damit man mir das antut? Da ist die Scham beschämt und beschmutzt worden zu sein. Und da bleibt die große Frage: Warum hast du das getan? Da ist so viel Enttäuschung, so viel Fassungslosigkeit, so viel Wut, so viel Trauer und Schmerz.  

Wie tief und wie nachhaltig der seelische Schmerz ist, wenn der Partner einen Betrug begeht, zeigt eine Studie der Universität Göttingen.
3334 betrogene Männer und Frauen beantworteten einen umfangreichen Fragenkatalog des Psychologen Ragnar Beer. Das Ergebnis: Menschen, die von ihrem Partner betrogen wurden, leiden unter ähnlichen Symptomen wie bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung. So haben, laut der Studie, vier von fünf befragten Frauen noch nach sechs Monaten so genannte intrusive Gedanken: Wieder und immer wieder sehen sie die quälenden Einzelheiten vor ihrem inneren Auge - wie ihr Mann eine andere küsst, sie berührt, verführt. Bei Männern sehen die Zahlen ähnlich aus.  „Ein Betrug ist ein Trauma, ähnlich wie Vergewaltigungsopfer oder Unfallzeugen durchleben die Betrogenen die Situation immer wieder, so der Psychologe Ragnar Beer.

Eine posttraumatische Belastungsstörung entsteht als eine verzögerte Reaktion auf ein belastendes Ereignis.
Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen in Träumen oder Albträumen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit und das Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Vegetative Übererregtheit, Schlafstörungen und Ängste, bis hin zu Panikattacken, sind keine Seltenheit. Aber auch alte Ängste und alte Verletzungen können durch den Betrug wieder hoch kommen. Das erschwert die Verarbeitung dessen, was im Jetzt ist. Es kommt zu einer Retraumatisierung, der betroffene Mensch ist out of order.

Betrogen werden ist also nichts, was sich mit einem: „Es tut mir leid“ schnell wieder gut machen lässt. Ein Betrug ist eine folgenschwere emotionale Verletzung und eine schwer zu bewältigende Aufgabe für die Seele des Betrogenen, und er ist eine Herausforderung für die Beziehung, will man sie überhaupt weiter führen.
Ich frage mich, was wenn der, der betrügt all das vorher wüsste, würde er dann anders handeln? Die Erfahrung meines Lebens und meine Erfahrung mit Menschen sagt: Leider nein.

Was du als Betrogener tun kannst:
Dein seelisches Wohlergehen hängt nicht davon ab, ob oder wie bald du dem anderen verzeihst. Er hat dich verletzt, er hat nicht an dich gedacht und daran was er dir zufügt. Es geht jetzt nicht darum dem anderen zu verzeihen, sondern jetzt geht es allein darum, wie liebevoll und fürsorglich du mit dir selbst umgehst. 

Wir können Vergebung nicht erzwingen, wir müssen uns zuerst unseren eigenen Gefühlen zuwenden. 
Und das bedeutet: Diese Gefühle zu durchleben und sie auszuhalten. Das Letzte was du brauchen kannst, ist, dass du wieder in die Verdrängung oder in die Abwehr gehst. Tust du das, sagst du NEIN zu dir selbst. Du behandelst dich genauso lieblos wie der andere dich behandelt hat. Fakt ist: Er war nicht loyal. Fakt ist: Er hat in Kauf genommen, dich zu verletzen. Wenn du verletzt worden bist, dann sei solange wütend, traurig, verzweifelt, depressiv wie du es fühlst. Weine, sei wütend, schrei und hab dabei Mitgefühl mit dir selbst. Behandle dich selbst so mitfühlend und liebevoll wie du ein Kind behandeln würdest, das diese Gefühle hat.
Sag dem Kind nicht: Jetzt ist aber genug!, oder: Du musst dich jetzt endlich mal beruhigen.
Sag ihm auch nicht, dass es verzeihen muss, damit es ein guter Mensch ist.
Dein Schmerz kann sich nur auflösen, wenn du dir erlaubst absolut ehrlich zu dir selbst zu sein und das bedeutet, dass du aufhörst etwas von dir zu verlangen, was du gerade nicht kannst. 
Es geht vorbei. Alles geht vorüber.








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