"Wahre deine Grenzen. Hüte sie wie einen Schatz, nimm dir deinen Raum für dich und für die kostbare Zeit vom Rest deines Lebens!" So flüstert es in mir, immer öfter. Und es wird immer lauter, so laut, dass ich es nicht mehr überhören kann.
Oh, ich vergesse das oft. Ich gebe zu viel nach, wenn es um die Erwartungen anderer geht und lasse mich zuquatschen von meinen eigenen Erwartungen an mich selbst, die man mir beigebracht hat, wie man zu sein hat, und die ich an mich stelle, wenn ich nicht gut aufpasse. Diese Gebote, die so alt sind wir ich selbst, die mir vorbeten, was ich darf und nicht darf. Die Einsager geben niemals auf. Aber ich habe sie mittlerweile alle identifiziert und oft sogar schon gut im Griff. Und wenn sie loslegen, sage ich zu ihnen: Ihr seid nicht hilfreich mir eurem Geplapper, und ich sage mir selbst: Wer zu viel nachgibt, zu beanspruchbar ist, verliert den Anspruch auf sich selbst. Das geht schleichend. Ich kenne viele Menschen, die zu viel nachgeben, zu viel zur Verfügung stehen, auch wenn sie es eigentlich überhaupt nicht wollen.
Besonders in Beziehungen vergessen wir, dass wir auch noch unser eigener Mensch sind. In der Partnerschaft wird häufiger nachgeben als es gut ist, und das ist nicht gut für die Liebe. Jeder Mensch braucht seinen eigenen Raum, seine Grenzen. Manche mehr, manche weniger. Ich brauche diesen unantastbaren Raum - in mir selbst, in meiner Wohnung und in der Partnerschaft wie den Atem zum Leben. Nicht immer fällt es mir leicht diesen Raum für mich in Anspruch zu nehmen, den Respekt einzufordern, für dieses tiefe Bedürfnis.
Ich weiß, dass ich viel eigenen Raum brauche und ich weiß auch, dass nicht jeder so viel Raum für sich selbst braucht wie ich. Aber ich bin ich und nicht jeder. Und ich bin auch nicht Charlie, nebenbei bemerkt. Ich bin mein eigener Mensch und mache mich nicht gemein, mit dem was andere meinen. Ich weiß längst, wenn mein innerer Raum, ebenso wie mein äußerer Raum, zu lange offen sind, verliere ich Energie. Und ich verliere wertvolle Lebenszeit, die ich mit niemanden teilen will. Zeit, die mir allein gehört, in der keiner mich anspricht und niemand die Augen auf mich legt. Ich brauche Zeit und Raum, in dem ich einfach sein kann, was ich gerade bin oder was ich gerade sein will. Raum, in dem ich meinen Gefühlen freien Lauf lassen kann, so wie sie gerade kommen und gehen, ohne sie einem anderen erklären oder sie verstecken zu müssen und vor allem, ohne sie zu bewerten. Ich brauche meine Geheimnisse, meine tiefen Gedanken, die ich nicht belauscht, nicht beobachtet haben will und nicht teilen will. Sie sind nicht einmal spektakulär. Ich will einfach alleine fühlen, was gerade ist, in der Zeit, in der ich nur mit mir bin.
Das sind Momente und Stunden, in denen ich weiß, was ich wirklich will und nicht mehr will, in denen ich niemandem für nichts Erklärungen geben muss, in denen ich mich selbst beobachte und einfach nur spüre, dass ich der Mensch bin, der ich bin. Das sind Momente, in denen mich die Melancholie packt, einfach so, und ich sie genießen kann, ohne gefragt zu werden: Ist alles gut? Das sind Momente, in denen ich glücklich bin, weil ich meine Wohnung mit all den schönen Dingen, die ich so liebe, einfach genießen kann oder in denen ich die Fensterrahmen streiche, weil es mir gefällt wenn sie weiß glänzen. Das sind Momente, in denen ich die Musik so laut höre wie ich will, ohne mich fragen zu müssen, ob es jemanden stört. Das sind Momenten und Stunden, in denen ich weiß, dass es vieles gibt, was ich nicht mehr ändern kann und vielleicht nicht leben kann, wie meinen Traum von dem kleinen Haus in der Normandie, in dem ich alt werden will mit dem Rauschen des Meeres und dem Heulen des Windes in den Ohren und der kleinen weißen Katze, die mir von draußen zuschaut und mir beim Malen und Schreiben schweigend Gesellschaft leistet.
Und meistens, in diesem Raum mit mir allein, ist es still, endlich so still, dass ich nur das Meine höre – und es schweigt, weil es nicht sprechen will, weil es ausruht vom vielen Sprechen über so viel Unsinniges und Wiederholtes, das oft gesagt wird, wenn Menschen Räume teilen.
In diesem Raum gibt keine Entdeckung von niemandem, es gibt nur mich, die ich mich selbst entdecke, immer ein bisschen anders, immer ein bisschen mehr, mit allem, was in mir ist und was noch werden will. Das ist ein unglaubliches Gefühl von Glück. Es ist wie eine Rückkehr zu meinem Ursprung.
Ich werde immer mein unantastbares Terrain für mich behalten. Nicht um dem Anderen etwas vorzuenthalten, sondern um Kraft zu schöpfen, um mich auf mich selbst zu besinnen, um Unabhängigkeit zu wahren und um meine eigene Atmosphäre zu schaffen, in die ich mich zurückziehen und in der ich mich allem entziehen kann. Mein eigener Raum erfrischt mich, er bringt mich mir selbst zurück, er stärkt mich wie nichts anderes, hier bin ich frei. Welch ein Schatz. Ich werde ihn hüten.
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