Donnerstag, 29. Januar 2015

Aus der Praxis - Von der Macht unserer Identifikationen




Wir werden von dem beherrscht, mit dem wir uns identifizieren.

Wie ist das gemeint?

Der gewöhnliche Zustand für die meisten Menschen ist ein Identifiziertsein mit dem was ihnen das stärkste Gefühl von Lebendigkeit zu geben scheint, was ihnen am realsten oder am intensivsten erscheint, was ihnen scheinbaren Halt vermittelt, auch wenn es nicht unbedingt als befriedigend oder positiv empfunden wird. 

So viele Menschen es gibt, so viele verschiedene Arten von Identifkationen gibt es. Manche Menschen identifizieren sich mit ihrem Körper. Andere Menschen identifizieren sich stark mit ihren Gefühlen. Sie sind davon überzeugt, dass ihre Gefühle der zentrale Teil ihrer selbst sind, während sie ihre rationalen Gedanken als sekundär deuten und ihnen geringen Wert beimessen. Diese Menschen bezeichnen sich selbst oft als Bauchmenschen. Manche Menschen identifizieren sich stark mit ihrem Verstand. Sie leben im und aus dem Kopf, sie spüren sich wenig oder nicht, ihre Gefühle beschreiben sie mit rationalen Erklärungen. Selbst wenn man sie fragt, wie sie sich fühlen, antwortet der Kopf mit rationalen Deutungen.
Wieder andere sind mit der Rolle identifiziert, die sie irgendwann im Leben übernommen haben. Sie funktionieren und erfahren sich selbst fast ausschließlich in dieser Rolle. Sie sind was sie tun und können sich nicht vorstellen zu tun, was sie nicht sind, denn was sie über ihre Rolle hinaus auch sind, ist ihnen nicht bewusst.

All diese Identifikationen führen dazu, dass sie nur einen kleinen Teil der eigenen Persönlichkeit zur Entfaltung bringen und nicht das Ganze des eigenen Menschseins mit seiner Vielfalt an Lebens- und Ausdrucksmöglichkeiten lebenig werden lassen. 

Jede starke Identifikation mit nur einem Teil der ganzen Persönlichkeit gibt für eine Zeit das Gefühl der Befriedigung und der scheinbaren Sicherheit in einem begrenzten überschaubaren, lange erfahrenen und gewohntem Rahmen.  
Doch irgendwann im Leben melden sich die nicht beachteten, abgespaltenen oder unterdrückten, ungelebten Anteile. Sie suchen sich Ausdruck in Lebenskrisen, Unfällen, Schicksalsschlägen und in körperlichen und seelischen Erkrankungen. Jede starke Identifikation mit nur einem Teil der eigenen Persönlichkeit hindert uns an der Verwirklichung des Selbst, sie verwehrt den Zugang zu einem tiefen Gefühl des Selbstbewusstseins, des Wissens und Entfaltens dessen, wer wir im Ganzen sind. Jede Art der einseitigen Identifikation verhindert, dass wir uns mit allen Teilen unserer Persönlichkeit begreifen und sie in ihrer Vielfalt leben. 

Ein Mensch, der in der Identifikation mit nur einem Teil seines Ganzen haften bleibt, lebt im wahrsten Sinne des Wortes beschränkt. Er beschränkt sich nicht nur selbst, auch sein Selbstausdruck, also das, was er der Welt geben könnte, ist nur auf einen minimalen Teil, dessen, was er sein könnte, beschränkt. Er bleibt in seinem festgesteckten Rahmen stecken und somit bleibt er sich selbst ein Unbekannter. Manche Menschen leben sogar so unbewusst, dass ihnen nicht bewusst ist, dass sie ein Unterbewusstsein haben, das entdeckt werden will, um sie schließlich zu sich selbst zu führen und dem, was in ihnen nach Ausdruck verlangt um endlich ein  zufriedeneres und selbstbestimmteres Leben zu führen. 

Die Erkenntnis, dass wir zu vielem, was an Ungelebtem in uns ist, keinen Zugang haben, kann schmerzliche Gefühle der Unzulänglichkeit und des Versagens verursachen.  
Ein Versagen, das in Wahrheit allein ein Versagen uns selbst gegenüber ist, denn wir sind es, die uns etwas versagen. Deshalb führt jede andauernde Identifikation mit einer Rolle oder einer vorherrschenden Seelenfunktion unvermeidlich zu einer unsicheren Situation im Leben und zu einem Lebensgefühl des inneren Mangels. Aber - wo der Mangel sich auftut ist der Weg und dieser Weg geht nicht selten über die Angst - die Angst über den eigenen Tellerrand hinauszublicken, sich dem Fremden in sich selbst zu stellen und es zu ergründen. Diese Angst vor dem Unbekannten ist der Grund warum viele Menschen das Aushalten des Mangels der Entfaltung ihrer Persönlichkeit vorziehen. Nur die Neugier und der Mut über das bekannt Vertraute eigene Teil-Ich hinauszugehen macht uns zu Helden des eigenen Lebens. Held sein bedeutet nicht immer zu siegen, es bedeutet, sich ohne das Wissen über Verlauf und Ausgang der Reise auf die Reise zu begeben. Wie heißt es so schön? Nur wer wagt, gewinnt.


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