Samstag, 12. April 2014

Rote Schuhe




die stufen machen ein dumpfes geräusch, als ich die treppe hinunter laufe. ich betrachte meine füße beim gehen. rote schuhe, denke ich, in deinem alter. sie sind rot wie reife tomaten und leuchten bei jedem schritt. ich kann mich nicht erinnern jemals rote schuhe getragen zu haben. vielleicht als ich ein kleines mädchen war. das waisenmädchen in andersens märchen von den roten schuhen, fällt mir ein. wie ein blitz überfällt mich der gedanke, sie könnten mich mitreissen in einen nicht enden wollenden schwindelerregenden wirbel, mich in die arme des scharfrichters treiben, der mir die füße abhackt, um dem fluch einhalt zu gebieten. so ergeht es dem mädchen in dem märchen. getrieben von der suche nach leben, verliert es die kontrolle.

in dieser stadt fühle ich mich, als hätte ich mich in einen dunklen wald verirrt. die engen häuserschluchten erdrücken mich. sie schlucken das sonnenlicht, versperren ihm den zugang in die straßen. die menschen bewegen sich wie eine dumpfe masse, schieben sich durch die ladenstraßen.  überall flüstert es: kaufen, kaufen! hier ist kein guter ort. ich will rennen, rennen, bis ich wieder zuhause bin, in meiner lichtdurchfluteten wohnung, die längst nicht mehr die meine ist, von femden bewohnt, verloren. ich will die bäume vorm fenster sehen, die mir kraft gaben, ich will die vögel singen hören und die elster füttern, die meine freundin geworden ist und die ich verlassen musste.

die haustür schlägt mit einem dumpfen knall hinter mir zu. unentschlossen stehe ich auf der straße. wohin soll ich gehen. links geht es in die werlitzstraße mit den türkischen gemüseläden, den kebab-buden, den kramläden, den dunklen cafes und zahllosen bäckereien. ich frage mich wie sie alle überleben, an diesem ort, wo keiner geld hat. ich sehne mich nach wiesen und feldern. zuhause blüht jetzt alles vorm fenster.

die roten schuhe tragen mich durch die werlitzstraße, der geruch von fettigem fleisch erstickt die luft. ich will kein teil von all dem hier sein. ich stecke mir die stöpsel meines i pods in die ohren. die musik bewahrt mich nicht vor dem lärm der vorbeifahrenden autos und dem wirren geplapper der menschen. ich muss mich zusammenreißen, den impuls unterdrücken laut RUHE zu schreien. eine verrückte werden sie denken, wenn überhaupt. ich ertrage sie nicht diese ungesunde wucht leben in dieser stadt. vor dem fester einer bäckerei bleibe ich stehen. zwischen sesamringen und fladenbroten sehe ich mein gesicht. es sieht traurig aus. ich bin gefangen, denke ich.

warum neigen wir dazu uns käfige zu bauen, in die wir unsere freiheit einsperren? wir bemerken es gar nicht, wir tun es, weil wir angst vor der veränderung haben, vor der endlichkeit von beziehungen und umständen. mit der zeit ziehen sich die stäbe immer enger zusammen, vergittern den blick und die gefangenen leiden an der unfähigkeit zu sehen, was draußen ist. es spielt am ende gar keine rolle mehr ob wir sie schlüssel besitzen, sogar eine brechstange wäre nutzlos, weil der wille sich zu befreien, nicht mehr existiert.

die angst zu verlieren, was wir haben, ist stärker als alles wissen und alle erfahrung. wir geben ihr nach, wir lassen uns brechen von diesem fragwürdigen streben nach sicherheit und berechenbarkeit. dabei vergessen wir völlig, das dieses haben nur eine illusion ist. wir haben nichts, keine dinge, keine menschen, keinen ort, nichts was nicht verloren werden kann. wir haben uns selbst, nicht mehr und nicht weniger und es ist das, was wir am schlechtesten behandeln.

nein, ich weiß dass ich das nicht will, ich weiß, dass ich es ändern kann, ich weiß, dass ich den mut habe. ich werde den schlüssel benutzen. mein blick fällt auf die roten schuhe: lauf, lauf!, schreien sie in das laute der straße. 


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