Dienstag, 30. September 2025

Be water my Friend

 



Wir alle erleben schwierige Situationen im Leben. Wir erleben Krisen und erfahren Verluste. 
Manchmal ist der Weg eben und alles klappt wie am Schnürchen. Manchmal liegen Steine im Weg, sogar richtige Felsbrocken, nichts funktioniert.
Oft ist unser erster Impuls: Das muss weg! So wie es ist, wollen wir es nicht haben. Blockaden wollen wir nicht haben, Widerstand wollen wir nicht haben, weder Innen noch im Außen. Wir wollen mit aller Macht so schnell wie möglich eine Lösung. Wir weigern uns, uns an das, was ist, anzupassen.
Dabei gibt es im Leben Situationen, wo uns nichts anderes übrig bleibt. Wir müssen uns anpassen, wir haben keine andere Wahl.
Tun wir das nicht zerfleischen wir uns am Widerstand. Und damit ändern wir nichts, im Gegenteil, es wird schlimmer.
Der Widerstand wird größer, je mehr Aufmerksamkeit wir im schenken, je mehr wir dagegen ankämpfen. Aber es hilft nichts. Der Widerstand bleibt und wir sind irgendwann erschöpft und mit unseren Kräften am Ende.
 
Bruce Lee sagte einmal den Satz: Be water my Friend!
Dieser Satz stammt aus der Philosophie des Samurai Musashi Miyamoto.
„Sei wie Wasser und bahne dir einen Weg durch die Risse.
Sei nicht stur, passe dich dem Hindernis an, und du wirst einen Weg um es herum und durch es hindurch finden. Wenn in dir nichts starr ist, werden sich die Dinge im Äußeren offenbaren.
Leere deinen Geist, habe keine Form.
Formlos wie Wasser.
Sei Wasser, mein Freund!“
 
Wasser ist ein formloses Element, das sich allem anpasst. Manchmal sind wir gut beraten es ihm gleich zu tun. 
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Donnerstag, 25. September 2025

Ohnmacht


 
Ich kenne es gut, das Gefühl der Ohnmacht. Ich weiß wie schwer es ist dieses Gefühl auszuhalten, geschweige denn es anzunehmen. Meist kommt dann Wut, weil die Wut mir dann das Gefühl gibt irgendwie noch selbstmächtig zu sein. Wut ist eine Form der Abwehr, weil die Ohnmacht so schwer auszuhalten ist. Das Gefühl der Ohnmacht ist ein tiefgreifendes, überwältigendes Erleben, ein Zustand, in dem wir uns absolut hilflos fühlen. Wir haben keine Handlungsoptionen. Ohnmacht begegnet uns in der Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen, in der Verzweiflung über Schicksalsschläge, angesichts unüberwindbare Hindernisse oder in der Frustration über soziale Ungerechtigkeiten und all den Grausamkeiten, die Menschen Menschen antun.
Ohnmächtig fühlen wir uns, wenn unsere Bemühungen vergeblich sind, wenn jede Anstrengung, die wir unternehmen, nichts bewirkt. Der absolute Kontrollverlust. Die Dinge sind wie sie sind und wir können nichts dagegen ausrichten. In solchen Situationen ist es verdammt schwer den Glauben an uns selbst nicht zu verlieren. Wir wollen etwas verändern, wir wollen helfen, aber wir wissen genau - der Kampf ist sinnlos. 
 
Das Gefühl der Ohnmacht ist Teil der menschlichen Erfahrung. 
Gefangen in der Ohnmacht fühlen wir uns nicht nur hilflos, sondern auch klein und verletzlich, aber gerade diese Momente können uns dazu auffordern in uns selbst hinein zu blicken und unsere tiefsten Ressourcen zu entdecken. Wir begreifen, dass wir nicht immer die Kontrolle über die äußeren Umstände haben, wir können nur noch entscheiden, wie wir auf sie reagieren. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Ohnmacht kann dazu führen, mehr Mitgefühl für uns selbst und für andere zu entwickeln. Wir erkennen, dass wir nicht allein sind mit unseren inneren und äußeren Kämpfen, wir erkennen, dass jeder Mensch, ob groß oder klein, seinen ureigenen Kampf führt. Für mich ist es diese verbindende Menschlichkeit, die mir die Kraft gibt, immer weiterzumachen, trotz und gerade wegen der Ohnmacht. 
 
Ohnmacht ist nicht gleichbedeutend mit Versagen. 
Sie ist ein existenzielles Gefühl, das uns lehrt, Geduld und Mitgefühl mit uns selbst zu haben, demütig zu sein und das Geringe zu schätzen, was wir noch tun können, für uns selbst und für andere, und wenn es nur ein Mut machendes Wort ist, ein Gedanke der Hoffnung, eine Geste der Güte, die wir dem anderen schenken und die ihm zeigt - er ist liebenswert, wertvoll und wichtig. 
 
Ohnmacht kann zu einem Katalysator für Veränderung werden. 
Wir haben die Fähigkeit die Dunkelheit zu durchdringen, wir haben die Wahl, wie wir auf Herausforderungen reagieren. Ohnmacht ist nicht Schwäche, sondern auch eine Quelle der Stärke, der Stärke das Unaushaltbare, das Unfassbare, das Unsagbare, das Unveränderbare auszuhalten. In der Akzeptanz unserer Ohnmacht, die uns unsere Verletzlichkeit zeigt, liegt die Kraft weiterzumachen, trotzdem. 
 
 
 
„Die letzte der menschlichen Freiheiten besteht in der Wahl der Einstellung zu den Dingen.“ 
Viktor Frankl

Mittwoch, 24. September 2025

Sag es doch

 



Sie sitzten in schmuddeligen Kleidern auf der Straße. Ein Junge und ein Mädchen, vielleicht sechs und acht Jahre alt. Mit Kreide malen sie auf das Pflaster. Ich bleibe stehen und sage, wie schön das Bild ist.
Der Junge scheint mich gar nicht zu hören, aber das Mädchen schaut mich aus tiefbraunen Augen traurig an: "Wir müssen wieder rausgehen", hat die Mama gesagt.
Warum hat sie Euch rausgeschickt, frage ich das Mädchen.
Keine Antwort.
Das Mädchen malt weiter.
Ich kniee mich zu ihm nieder.
Möchtest du es mir nicht sagen?
Das Mädchen schüttelt den kleinen Kopf. Seine schönen braunen Augen füllen sich mit Tränen.
"Nein, das darf ich nicht", sagt es.
Mit einem Ruck steht der Junge auf und schreit: "Sag es doch, sag doch, dass der Papa wieder durchdreht."

Dienstag, 23. September 2025

Manches schlägt so tiefe Wunden, dass nicht einmal die Zeit sie heilt

 



Der Spruch „Die Zeit heilt alle Wunden“ wird oft als Trostpflaster in schwierigen Zeiten verwendet.
Aber ist das wahr?
Manches schlägt so tiefe Wunden in die Seele, dass nicht einmal die Zeit sie heilt. Tatsächlich ist es so, dass die Zeit allein nicht alle Schmerzen, Traumata und Trauer heilen kann. Emotionale und psychologische Wunden können tiefgreifender sein, als wir glauben. Jeder von uns geht auf seine Weise mit Verletzung, Verlust und Leid um. Während einige in der Lage sind, ihre Wunden zu verarbeiten, kämpfen andere ein Leben lang mit den Folgen.
 
Traumatische Erlebnisse, der Verlust eines geliebten Menschen, Verrat, schwere Kränkungen oder Enttäuschungen sind seelenzersetzende Erfahrungen, die so stark sein können, dass sie uns ein Leben lang begleiten und auch nach Jahren noch, oder immer wieder, schmerzhaft sind
Diese emotionalen Verwundungen lassen sich nicht einfach durch das Verstreichen der Zeit heilen. Und auch wenn manche Menschen behaupten, sie hätten ihren Schmerz überwunden und die Wunde geheilt, ist das nicht immer wahr, denn nicht selten kommt es vor, dass Menschen versuchen, schmerzhafte Erinnerungen zu verdrängen oder abzuspalten. Beides führt jedoch dazu, dass der Schmerz unbewusst weiterlebt und sich beispielsweise in Form von Ängsten, Zwängen, Sucht, Depressionen, psychosomatischen Symptomen oder körperlichen Erkrankungen manifestiert.
Vor allem Traumata können tiefgreifende Auswirkungen auf unser Leben haben und oft heilen sie nicht vollständig. Während einige Menschen in der Lage sind, ihre traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten und sie zu integrieren, schaffen es andere nicht.
Die Gründe sind vielfältig und hoch komplex. 
 
Zunächst einmal spielen Art und der Schweregrad des Traumas eine entscheidende Rolle. Traumatische Erlebnisse wie Missbrauch, Krieg, Naturkatastrophen, schwere Unfälle oder Bindungstraumata, hinterlassen oft tiefe emotionale Narben. Auch komplexe Traumata durch sich wiederholende oder langfristige traumatische Erlebnisse, die oft in der Kindheit beginnen und eine tiefgreifende Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentwicklung zur Folge haben, sind besonders herausfordernd. Je schwerer das Trauma, desto schwieriger ist die Verarbeitung. Jede Art von Trauma führt zu intensiven emotionalen, geistigen und körperlichen Reaktionen. Besonders auch dann, wenn ein Mensch unmittelbar nach einem traumatischen Ereignis nicht die nötige Unterstützung erhält, kann dies die Heilung zusätzlich erschweren.
 
Ein wichtiger Aspekt bei der Verarbeitung unserer Wunden ist die persönliche Resilienz.
Resilienz variiert von Mensch zu Mensch. Menschen mit hoher Resilienz sind oft in der Lage, Traumata besser zu bewältigen. Hingegen haben Menschen mit geringerer Resilienz Schwierigkeiten, belastende Erfahrungen zu verarbeiten. Zudem spielt die Art und Weise, wie ein Mensch zuvor mit emotionalem Stress umgegangen ist, eine Rolle. Menschen, die ein gewisses Urvertrauen haben und schon als Kind gesunde Bewältigungsmechanismen entwickeln konnten, können in der Regel besser mit traumatischen Erlebnissen umgehen. Im Gegensatz dazu können ungesunde Bewältigungsmechanismen, wie etwa die Neigung Gefühle zu verdrängen oder abzuspalten, Heilung erheblich behindern.
 
Auch Spiritualität hilft bei der Traumaverarbeitung.
Unser Glaube an etwas, das größer ist als wir, schenkt Trost, Hoffnung und Sinnstiftung, was das Gefühl von emotionaler Entlastung und Vertrauen in das Leben wiederherstellen kann. Man weiß, dass Menschen, die an etwas Höheres glauben, es leichter haben ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden und Heilung zu erfahren. Die Überzeugung, dass das Leben auch in schweren Zeiten und angesichts von Schicksalsschlägen einen tieferen Sinn hat, ist hilfreich um Traumata zu bewältigen, sie zu integrieren und so daran zu wachsen. 
 
Soziale Unterstützung ist ein weiterer Faktor.
Sie ist von hoher Relevanz für Heilungsprozesse. Wenn wir in schweren Zeiten keine Unterstützung von Freunden oder der Familie erhalten, führt dies oft zu einem inneren Rückzug, bis hin zur sozialen Isolation, was eine Genesung erheblich beeinträchtigt. Emotionaler Rückhalt, liebevolle Unterstützung und das Verständnis naher Menschen sollte nicht unterschätzt werden, wenn es darum geht traumatische Erfahrungen zu verarbeiten. Fehlt diese Unterstützung, kann die emotionale Isolation den Schmerz vertiefen und die Wunde weiter aufreißen.
Leider gibt es in vielen Kulturen noch immer eine Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen und Traumata, die es Betroffenen erschwert, über ihre Gefühle zu sprechen oder sich professionelle Hilfe zu suchen. Diese Stigmatisierung kann dazu führen, dass Betroffene schweigen, alles mit sich selbst auszumachen versuchen und in ihrem Schmerz gefangen bleiben.
 
Auch Trauer wird oft stigmatisiert oder als Schwäche wahrgenommen.
„Wie, Du bist immer noch nicht drüber hinweg?“
Diesen Spruch müssen sich viele Trauernde anhören.
Ein Spruch, den ich übrigens nicht hören kann, weil er von einer selbstgerechten Ignoranz spricht, bei der es mir kalt über den Rücken läuft. Ignoranz führt dazu, dass Trauernde sich nicht ernst genommen fühlen, was eine Bewältigung zusätzlich erschwert. Menschen, die um einen Verlust trauern, fühlen sich nicht zuletzt aufgrund solcher Sprüche unter Druck, ihre Gefühle zu verbergen oder sie schnell zu überwinden, weil „man“ das von ihnen erwartet. Dieser Druck durch gesellschaftliche Erwartungen führt dazu, dass Trauernde sich verlassen, alleinund einsam fühlen, sich schuldig fühlen, sich sogar schämen, weil sie es nicht schaffen ihren Schmerz zu überwinden. Er führt dazu, dass sie ihre Emotionen unterdrücken, was absolut kontraproduktiv ist. Ein weiteres Problem ist das mangelnde Verständnis für die verschiedenen Phasen, Formen und Facetten der Trauer. Jede Stigmatisierung von Trauer und Schmerz hindert Menschen daran ihre Gefühle offen zu zeigen oder sich Hilfe zu suchen. Stigmatisierung kann dazu führen, dass sie in ihrem Schmerz gefangen bleiben, anstatt Möglichkeiten zur Genesung zu ergreifen.
 
Was ich in all den Jahren meiner Arbeit mit Menschen gelernt habe und selbst erfahre: Trauer hat keinen festgelegten Zeitrahmen. 
Die Trauer hat uns und nicht wir haben die Trauer. 
Stichwort: Demut.
Trauerarbeit ist ein Prozess und wie der Begriff schon sagt: Arbeit. Trauerarbeit lässt sich nicht beschleunigen. Jeder von uns braucht seine Zeit und jeder von uns hat seine eigene Gangart um damit fertig zu werden. 
 
Der Zugang zu professioneller Hilfe ist entscheidend für die Heilung unserer Wunden.
Viele Menschen brauchen therapeutische Unterstützung, um die emotionalen, psychologischen und körperlichen Folgen eines Traumas zu bewältigen. Fehlt dieser Zugang, behindert das die Heilung. Jedoch, nicht alle Therapieformen sind bei jedem Menschen gleich wirksam. Manche sprechen besser auf bestimmte Therapieansätze an, während andere möglicherweise nicht die gewünschte Hilfe finden. Der Heilungsprozess, egal bei welcher Therapieform, hängt immer stark von der Passung zwischen Helfer und Klient ab. Darum - wenn etwas nicht funktioniert hat, es macht immer Sinn weiter zu suchen. Unsere Wunden zu heilen oder mit unseren Wunden zu leben, wenn sie nicht heilen, ist eine Herausforderung. Durch Akzeptanz, die Entwicklung gesunder Bewältigungsmechanismen, soziale Unterstützung, professionelle Hilfe und die Praxis von Selbstfürsorge und Achtsamkeit, können wir lernen so damit umzugehen, dass sie nicht unser Leben dominieren. Wir können lernen mit den Folgen unserer Wunden, unserer Traumata und unserer Trauer besser umzugehen, auch wenn sie nicht heilen und trotzdem ein erfülltes und sinnvolles Leben gestalten und leben.
Wir dürfen lernen zu akzeptieren: Manches schlägt so tiefe Wunden, dass nicht einmal die Zeit sie heilt. Das ist traurig, und auch daran erkenne ich meine Begrenztheit als Mensch.
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Montag, 22. September 2025

Regeneration

 



Viele von uns denken, sie würden gut für sich selbst sorgen, wenn sie sich ab und zu um sich selbst kümmern und sich etwas Gutes gönnen, aber in Wirklichkeit kleben wir damit nur Pflaster auf unser Nervensystem, das seit ewigen Zeiten ständig Hochtouren läuft.
Ein heißes Bad nehmen. Eine Massage buchen. Kerzen anzünden. Auf You Tube ab und zu eine Meditation hören. Diese Dinge sind schön und gut, aber sie bewirken keine nachhaltige Genesung. Genesung bedingt Disziplin, Kontinuität, Wiederholung und Beständigkeit. Es geht darum durch tägliche Rituale den Körper wieder sanft auf Geborgenheit und Sicherheit zu trainieren.
 
Wir brauchen mehr erholsame Ruhephasen und nicht noch eine To-do-Liste, noch eine Aktivität. Es ist heilsam sich täglich Momente der Ruhe zu gönnen. Bewusst Raum zu schaffen, um runterzukommen, um bewusst zu atmen und uns mit unseren Gefühlen auseinanderzusetzen, und sie zu verarbeiten.
Dazu gehört eine Tagestruktur, eine beruhigende sanfte Morgenroutine, wie z.B. Journaling, Achtsamkeitsübungen oder Qi Gong. Dazu gehört eine beruhigende Abendroutine, ein kleiner Spaziergang, Meditieren, Yoga, Lesen statt Binge Watching oder endlos scrollen. Dazu gehören eine gesunde Ernährung und tägliche Bewegung. Dazu gehören Pausen in der Stille, wenn wir erschöpft sind. Dazu gehören gesunde Beziehungen.
 
Um unser Nervensystem nahhaltig zu regulieren und zu stabilisieren, braucht es einen wiederholbaren Rhythmus, einen gesunden Lebensstil, bewusste Selbstwahrnehmung und Achtsamkeit unseren körperlichen, emotionalen, geistigen und sozialen Bedürfnissen gegenüber. Es braucht Werkzeuge zur Selbstberuhigung, die auch dann funktionieren, wenn es stressig oder hektisch wird oder uns Gefühle zu überfluten drohen.
Wenn wir im Überlebensmodus feststecken, brauchen wir keinen weiteren Wellness-Tag. Wir brauchen eine grundlegende, nachhaltigen Regeneration unseres Nervensystems. Dazu können wir selbst viel beitragen. Tag für Tag. 
 
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Samstag, 20. September 2025

Das rückwärts gerichtete Gesetz

 



Der Philosoph Alan Watts hat den Begriff „law of reversed effort“, zu deutsch „Das rückwärts gerichtete Gesetz", geprägt.

Das Gesetz besagt, dass wir oft das Gegenteil von dem erreichen, was wir suchen, wenn wir zu stark danach streben. Je mehr wir nach etwas verlangen, desto mehr verstärken wir das Gefühl, dass es uns fehlt, und desto weiter entfernt es sich.

 

Im Grunde geht es bei diesem Gesetz darum, dass wir uns umso schlechter fühlen, je verzweifelter wir uns positive Erfahrungen wünschen, dass wir umso unzufriedener werden, je mehr wir danach streben, uns ständig besser zu fühlen.

Das Streben nach etwas bestärkt uns nur darin, dass es uns fehlt.

Es füttert und verstärkt das Bewusstsein von Mangel.

Je verzweifelter wir glücklich werden wollen, desto unglücklicher fühlen wir uns. Je verzweifelter wir heil werden wollen, desto unheiler fühlen wir uns. Je verzweifelter wir nach einer Liebesbeziehung suchen, desto ungeliebter fühlen wir uns. Je verzweifelter wir uns nach Gesehenwerden und Anerkennung sehnen, desto wertloser fühlen wir uns. Je verzweifelter wir versuchen unangenehme Gefühle loszuwerden, desto stärker werden sie.

Was wir schwächen wollen wird stark.

 

Je weniger wir wollen, je weniger wir uns dem, was ist, widersetzen und je mehr wir akzeptieren was "ist", desto leichter ist es in Harmonie mit der Existenz zu leben.

Sobald wir anfangen, was wir haben und was wir sind, zu schätzen, sobald wir alle guten und schlechten Seiten in unserem Leben und an uns selbst akzeptieren, sobald wir die Kontrolle lockern und mit dem Fluss der Dinge gehen, entsteht Fülle und Harmonie, statt Mangel und Streben.

 

Das Leben ist keine Reise mit einem bestimmten Ziel, eine Abfolge von Zielen,

sondern ein kontinuierlicher Fluss. Es ist ein Spiel, ein Tanz,  Musikstück. Der Sinn eines Musikstücks liegt nicht darin, das Ende zu erreichen, sondern in jedem Moment die Melodie. Das Leben will erfahren werden, es ist kein Problem, das gelöst werden muss.“

 

 Nach Alan Watts

 

 

Freitag, 19. September 2025

Confirmation Bias oder: was ich glaube, muss so sein und das bestätige ich mir immer wieder

 


Confirmation Bias, zu deutsch: Bestätigungsfehler nennt man in der Psychologie die Tendenz Situationen, Dinge und Informationen so wahrzunehmen, zu deuten und zu interpretieren, dass sie dem, was wir glauben und dem, was wir erwarten, entsprechen.
Alles, was dem widerspricht, schätzen wir als falsch ein oder sehen es erst gar nicht. Bestätigungsfehler sind eine Form der kognitiven Verzerrung und wir alle sind nicht frei davon.
Je öfter unsere Wahrnehmung nach Bestätigung sucht, desto enger wird unser Denkrahmen. Das kann soweit gehen, dass wir einen Tunnelblick entwickeln und nur noch sehen, an was wir glauben, auch wenn uns die Realität immer wieder das Gegenteil beweist. Unsere Wahrnehmung wird selektiv, alles was sie nicht betätigt, blenden wir unbewusst aus oder gegen dem keine Bedeutung, auch wenn es sinnvoll und hilfreich wäre.
 
Ein Beispiel: Eine Frau ist davon überzeugt, dass an ihr nichts liebenswert ist. Sie nimmt nur das wahr, was diese innere Überzeugung bestätigt. Sie fühlt sich nicht gesehen und wenn dann fühlt sie sich zurückgewiesen, abgewertet oder angegriffen. Schon das kleinste unfreundliche Wort, ein neutraler Blick oder eine wohlwollend gemeinte Kritik, deutet sie als Bedrohung, die ihr bestätigt: Du bist nicht liebenswert. Freundliche Zuwendung oder positive Begegnungen, nimmt sie gar nicht wahr. Macht man sie darauf aufmerksam, winkt sie ab, mit einem: Das kann nicht sein.
Ihre innere Überzeugung: „ich bin nicht liebenswert“, muss, aus einem Grund, den es herauszufinden gilt, aufrecht erhalten bleiben. 
 
"Weil nicht sein kann, was nicht sein darf!“
Dieser Satz aus dem Gedicht „Die unmögliche Tatsache“ des Dichters Christian Morgenstern beschreibt sehr gut, dass Dinge, die unserer Wahrnehmung nicht entsprechen, auch nicht existieren dürfen.
Wenn wir selektiv wahrnehmen sehen wir nur einen Ausschnitt von Welt und zwar genau den, an den wir glauben. Wir bemerken viele Situationen, in denen die Welt anders ist als in unserer Vorstellung, gar nicht. Das bedeutet nicht, dass es diese Situationen nicht gibt, wir nehmen sie einfach nicht wahr, sie fallen uns nicht auf, weil sie unserem Bild von Welt oder unserem Glauben über uns selbst und unseren Ansichten nicht entsprechen. Dafür fallen uns Situationen, die unsere Sicht von Welt bestätigen und untermauern, verstärkt auf. Es gibt nur schwarz oder weiß, die Mitte existiert nicht. Und so leben wir in einer Filterblase, was dazu führt, dass wir nichts dazulernen, unsere Meinung nicht ändern, nichts tief reflektieren, nicht offen für Möglichkeiten sind, geschweige denn fähig auszudifferenzieren oder komplex zu denken. 
 
Wir ordnen die Welt so wie wir sie sehen und so erleben wir sie.
Einerseits ist es wichtig die Welt zu ordnen um ein Gefühl von Sicherheit und Orientierung zu erlangen, um uns im Leben zurechtzufinden. Kommt es aber durch eine verzerrte Wahrnehmung dazu, dass wir nur noch sehen, was wir sehen können, bzw. sehen wollen, ist das nicht hilfreich – es kommt zur Realitätsverzerrung. 
 
Je eingeschränkter unsere Perspektive ist, desto eingeschränkter und enger wird unser Denkrahmen, auch in Bezug auf uns selbst. Wir sind nicht fähig zu einer Veränderung.
Viele Menschen, die zu mir kommen, kommen weil sie sich eine Veränderung wünschen. Aber was ist damit gemeint? In den meisten Fällen geht es dabei um den Wunsch nach Wiederherstellung eines Zustandes in dem sie sich einmal wohl gefühlt haben. Es soll wieder gut werden, so gut wie es war, bevor es ungut wurde. Aber so funktioniert Veränderung nicht. Veränderung ist nicht Wiederherstellung. Veränderung ist vielmehr die Wandlung unserer Wahrnehmung und das bedeutet unter anderem: Wir geben unsere selektive Wahrnehmung auf und öffnen uns für einen neuen Blick auf die innere und äußere Welt. Wir lösen uns vom Automatismus unsere alten Überzeugungen bestätigen zu wollen und öffnen uns für Neues – anstatt unbewusst zuzumachen, machen wir bewusst auf. 
 
Wenn wir lernen uns selbst und die Dinge anders wahrzunehmen, verändert sich unsere innere Struktur und damit unser So-sein und unser In-der-Welt- sein. Wie sehen und erleben andere Dinge und sind in der Lage anders zu reagieren und handeln. Und - wir fühlen uns anders, im besten Falle freier. 
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Donnerstag, 18. September 2025

Aneinandervorbeisein

 


Eine unserer großen Sehnsüchte ist es verstanden zu werden. Wir möchten gesehen, gehört, verstanden und wertgeschätzt werden. Darum erzählen wir anderen von uns. Wenn wir genau darüber nachdenken werden viele von uns feststellen müssen, dass die Kommunikation mit anderen uns dieses Gefühl nur selten gibt. Ich kenne einen Mann, der sehr unter dem Gefühl leidet, dass man ihn nicht versteht. Seine unerfüllte Sehnsucht verstanden zu werden ist so groß, dass er deswegen immer wieder in depressive Episoden fällt.
Es gibt viele Menschen, denen es so geht, die so fühlen und auch ich fühle so. Ich habe das Gefühl, es werden immer mehr.
"Er wurde nicht von denen verstanden, die er liebte. Und gerade das hielt er nicht aus, dieses Aneinandervorbeisein mit denen, die er liebte. Aber es war noch mehr da, das so groß wurde, dass es alles überwuchs, und das sich nicht wegschieben lassen wollte. Das war, dass er nachts weinen konnte, ohne dass die, die er liebte, ihn hörten. Das war, dass er sah, dass seine Mutter, die er liebte, älter wurde und dass er das sah. Das war, dass er mit den anderen im Zimmer sitzen konnte, mit ihnen lachen konnte und dabei einsamer war als je. Das war, dass die anderen es nicht schießen hörten, wenn er es hörte. Dass sie das nie hören wollten. Das war dieses Aneinandervorbeisein mit denen, die er liebte, was er nicht aushielt", schreibt Wolfgang Borchert in der Kurzgeschichte "Das Holz für Morgen".
„Aneinandervorbeisein“ - ein trauriges Wort. Ein trauriges Gefühl.
 
Das Verstehen ist keine Einbahnstraße. 
Es ist nicht damit getan, dass wir dem Anderen unsere Sicht der Dinge oder unseren Standpunkt vermitteln. Wenn wir einmal ganz ehrlich zu uns selbst sind und genau darüber nachdenken, werden viele vermutlich erkennen, dass sie selbst anderen gar nicht zuhören, um sie zu verstehen, sondern schon während das Gegenüber redet, damit beschäftigt sind, was sie sagen wollen. 
 
Die meisten Menschen können nicht zuhören, nicht auf eine achtsame Weise. Auch der Mann, die ich kenne, redet viel von sich, wenn ich ihn treffe, aber zuhören kann er nicht. Die meisten Menschen sind nicht fähig wirklich zuzuhören, noch weniger, sich in die innere Welt des anderen überhaupt hineinzuversetzen und oft sind es genau die, die sich so sehnlich wünschen gehört zu werden.
Seltsam oder?
 
Nein, nicht seltsam. Unsere Kultur, unsere Erziehung lehrt uns, dass wir, wenn wir im Leben etwas erreichen wollen, die Nummer Eins sein müssen, sie lehrt uns, dass wir an unserem Glück und unserem Erfolg schmieden müssen, sie lehrt uns gnadenlose Egoisten zu werden. Denn, wer nicht erfolgreich ist, der ist arm dran und gesellschaftlich nichts wert. Wie wollen wir uns anderen also zuwenden, wenn das, was wir gelernt und verinnerlicht haben, uns dazu gebracht hat immer den Focus auf unser eigenes kleines Ich zu lenken, das AllerIchste als Maß der Dinge.
Wer sich nur auf sich selbst fokussiert nimmt gar nicht wahr, was von anderen auf ihn zukommt, was ihm von anderen gegeben wird. Er fragt sich nicht, mit welcher Haltung kann ich den anderen überhaupt wahrnehmen? Und weil er nicht wahrnimmt kann er nicht empfangen. Und weil er nicht empfangen kann, kann er den anderen nicht wertschätzen und wo Wertschätzung fehlt ist das Leben arm an Werten – Innen wie außen. Es geht um das Gewahrsein einer zuhörenden Haltung, die wertschätzend und einladend ist.
 
Wenn ich verstanden werden will, wenn ich mich nach Wertschätzung sehne, dann muss ich das auch geben können. So einfach ist das und doch für viele so schwer. 
Wie kann ich etwas empfangen wollen, was ich selbst nicht geben kann?
Das funktioniert nicht.
 
Wer sich nur um sich selbst dreht ist im Tiefsten allein. 
Das Geschenk des Verstandenwerdens kommt zu denen, die die Kunst des Du und des Wir beherrschen, zu denen, die über das Eigene hinaus zum anderen hin, hören und fühlen können. Die Sehnsucht nach "verstanden werden" wird von einem gegenseitigen Verstehen gestillt und das setzt voraus, dass wir gewillt sind uns einander wirklich zuzuwenden. Dann blühen wir auf, dann machen wir die erhellende Erfahrung, dass zum Empfangen das Geben gehört. Wenn wir begreifen wie wichtig die Qualität dessen ist, wie wir Menschen einander zuhören, wird die kollektive Vereinzelung aufgebrochen. 
 
Ich weiß, wishfull Thinking.
 
Angelika Wende

Mittwoch, 17. September 2025

Spiritus Loci - der Geist des Ortes

 


 
Ich habe in vielen Städten gelebt und überall habe ich eine Heimat gefunden und immer auch Menschen, die offen, freundlich und zugeneigt waren. In der Stadt, in der ich nun zehn Jahre lebe, war dies nicht der Fall. Ich werde diese Stadt verlassen, in die ich damals aus Liebe zu einem Mann gezogen bin. Den Mann gibt es nicht mehr, in der Stadt bin ich hängengeblieben.
Je länger ich dort lebe, desto mehr spüre ich, dass diese Stadt nicht die richtige für mich ist und es niemals sein wird. Ich fühlte mich hier nie angekommen, ich habe hier keine Freunde gefunden, nur ein paar oberflächliche Bekanntschaften gemacht. Die schöne Architektur, konnte das Nein, das mir diese Stadt all die Jahre signalisierte, nicht ersetzen.
Mit jedem weiteren Jahr wuchs in mir das Gefühl, dass ich hier nicht hingehöre, dass ich und diese Stadt nicht in Resonanz gehen. Ich bin diesem Gefühl nicht gefolgt und habe mich mit meiner Arbeit, die ich liebe und mit der schönen Wohnung getröstet, in der ich lebe. Und jetzt geht es nicht mehr. Bevor ich hier eingehe wie eine Primel, werde ich einen Schlussstrich ziehen. Sobald ich einen besseren Ort gefunden habe, packe ich meinen Kram und werde dieser Stadt keine Träne nachweinen.
Ich habe mich sehr lange vor dieser Entscheidung gedrückt, ich habe Heimat in mir selbst gefunden, aber das ist auf Dauer nur dazu gut, dass ich noch mehr zur Eremitin werde und dafür mag ich Menschen zu gerne. „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“, schrieb einst Adorno, und es gibt kein richtiges Leben in der falschen Stadt, das ist meine Erfahrung. Ich weiß, dass diese Entscheidung richtig ist. Die Welt ist groß und voller Möglichkeiten. Irgendwo wird es einen Platz für mich geben, der Ja zu mir sagt und ich zu ihm. 
 
Das Wissen um die Kraft des Ortes ist sehr alt. 
Es gibt den Ausdruck des Spiritus Loci. Spiritus loci bedeutet „Geist des Ortes“ und ist ein Konzept aus Architektur, Stadtplanung und Kulturanthropologie. Es beschreibt die besondere Atmosphäre, Identität oder den Charakter eines Ortes, der durch seine Geschichte, die Natur, die Nutzung des Ortes und die Menschen, die dort leben, entsteht. Auch Faktoren wie Landschaft, Geräusche, Gewohnheiten der Bewohner und kollektive Erinnerungen tragen zum Spiritus Loci bei.
Jeder Ort hat eine bestimmte Stimmung und eine bestimmte Qualität, die ihn von anderen Orten unterscheidet. Bereits Aristoteles glaubte, dass der Ort, an dem ein Mensch aufwächst oder lebt, seinen Charakter beeinflusst und mitprägt. Der griechische Arzt Hippokrates empfahl sogar einen Ortswechsel bei chronischen Krankheiten. Die Etrusker ließen, bevor sie an einem Ort Siedlungen bauten Schafe dort weiden. Nach einer gewissen Zeit wurden die Schafe geschlachtet. Nur wenn sie sahen, dass die Leber der Tiere gesund waren, ließen sie sich dort nieder.
 
Orte sagen ja zu uns oder sie sagen nein.
Nicht jeder Ort passt zu jedem und nicht zu jedem passt derselbe Ort. 
Orte haben für uns Menschen eine starke Bedeutung. Sie beeinflussen unsere seelische Befindlichkeit, unsere Gesundheit, unsere zwischenmenschlichen Beziehungen und unseren beruflichen Erfolg. Wie sehr Orte auf uns wirken, darüber schreibt die Historikerin Dr. Roberta Rio in ihrem Buch „Der Topophilia-Effekt - Wie Orte auf uns wirken“. Sie sprach an verschiedenen Orten mit den Bewohnern und suchte dabei nach Mustern. So fand sie unter anderem heraus, dass das, was an einem bestimmten Ort immer wieder passiert, sich mit hoher Wahrscheinlichkeit wiederholen wird. Anhand alten Wissens und neuer Forschungsergebnisse, erklärt sie was wir über die Wirkung von Orten wissen sollten und wie wir es herausfinden können.
 
Orte sind entweder Kraftquellen oder sie können uns Energie rauben.
Unser Wohnort sollte immer ein Zuhause für uns sein, um uns in der Welt verwurzelt zu fühlen. Ist er es nicht, fühlen wir uns entwurzelt und heimatlos. Der Ort an dem wir leben, spielt eine wichtige Rolle für unser Wohlbefinden, weil er die Rahmenbedingungen, die Chancen und die Herausforderungen unseres Alltags entscheidend beeinflusst. 
 
Von besonderer Bedeutung sind das soziale und das kulturelle Klima eines Ortes.  
Sind die Menschen vom Wesen her offen, zugewandt und freundlich, erleichtert es zwischenmenschliche Begegnungen und schafft das Gefühl von Zugehörigkeit. Sind sie abweisend und ist die Atmosphäre des Ortes eher kalt, fühlen wir uns fremd, egal wie lange wir an einem Ort leben.
"Ein Ort ist nur so gut wie die Menschen, die ihn bewohnen", sagt ein Sprichwort.
Wenn wir in einer Stadt oder an einem Ort leben, an dem wir uns unwohl fühlen, hat das auf Dauer Auswirkungen auf unser psychisches Wohlbefinden. Anhaltendes Unwohlsein führt zu emotionalem Stress, innerer Unruhe, Müdigkeit oder depressiven Verstimmungen. Physische Reaktionen sind dann oft die Folge. Wir werden krank, weil es uns dort wo wir leben, seelisch nicht gut geht. Orte, die gefühlt „nein“ zu uns sagen, führen zudem zu einem bestimmten Verhalten: Wir ziehen uns zurück, gehen weniger raus und suchen keine sozialen Kontakte mehr, was zu sozialer Isolation und in der Folge zur Vereinsamung führen kann. Im worst case gehen wir ein wie eine Primel. Dann ist es höchste Zeit diesen Ort zu verlassen. 
 
„Wenn eine Blume nicht blüht, muss man die Umgebung, in der sie wächst, verändern, nicht die Blume.“
Alexander Den Heijer
 

Dienstag, 16. September 2025

Akzeptanz

 



Die Ablehnung der Realität ändert nichts, an dem, was ist.

Die Weigerung, die Realität zu akzeptieren hält uns in schmerzhaften Emotionen wie Wut, Trauer, Schuld, Scham, Groll und Bitterkeit gefangen. Die Ablehnung der Realität verwandelt Schmerz in Leiden. Schmerz lässt sich nicht vermeiden, Leiden schon. 

 

Wenn wir akzeptieren was ist, kommen wir mit dem, was ist, besser zurecht. 

Akzeptanz beginnt, wenn wir aufhören gegen das, was wir nicht haben wollen, anzukämpfen.    

Um die Realität zu ändern, müssen wir sie zuerst akzeptieren.  

Akzeptieren reduziert schmerzhafte Emotionen, die mit dem, was ist, verbunden sind.  

Wenn wir akzeptieren, was wir nicht ändern können, wird Energie freigesetzt, die wir für den Kampf gegen die Realität verwenden. Dann können wir sie nutzen, um die Dinge zum Besseren zu verändern. 

Der Akzeptanz folgt innerer Frieden. 

 

 

"Die Realität ist das, was nicht verschwindet, wenn man aufhört, daran zu glauben."

— Philip K. Dick

 

 

Samstag, 13. September 2025

Der innere Ruf - Spiegel seelischer Prozesse

 



Wenn sich deine alte Identität nicht mehr aufrechterhalten lässt, wenn du nicht mehr weißt, wer du bist, wenn die alte Version von dir sich auflöst, wenn deine Rollen zu eng geworden sind, ist der Ruf, dich neu zu (er)finden.
Wenn sich Vertrautes auflöst, wenn Beziehungen aus deinem Leben verschwinden, wenn Festhalten nicht gelingt, egal was du tust, ist der Ruf, loszulassen zu lernen, um Platz für Neues zu machen.
Wenn äußeres Chaos dein Leben beherrscht, ist der Ruf eine innere Neuordnung zu schaffen.
Wenn sich Menschen von dir abwenden oder dich verlassen, ist der Ruf, dich dir selbst zuzuwenden, eine Einladung zur Selbstkenntnis, Selbstwerdung und Selbstverwirklichung.
Wenn du den Weg alleine gehen musst, wenn da niemand ist, der deine Hand hält, wenn du, egal wo du hin greifst, in die Leere greifst und die Einsamkeit deine einzige Begleiterin ist, dann ist der Ruf, dich selbst halten und versorgen zu lernen.
Wenn alles um dich herum plötzlich still ist, wenn da keine Ablenkung mehr ist, dann ist der Ruf in der Stille sitzen zu lernen um deine eigene Wahrheit zu hören.
Wenn in dir nur Leere und Mangel ist, wenn du keinen Sinn mehr siehst, dann ist der Ruf, den Mangel zu füllen und neuen Sinn zu gestalten.
Wenn alle Lügen und Selbstlügen an der Realität zerplatzen, wenn die Diskrepanz zwischen äußerer Rolle und innerer Wahrheit immer mächtiger wird, dann ist der Ruf, dich deiner Wahrheit zu stellen, sie sichtbar zu machen und zu erkennen, wer du wirklich bist.
Wenn sich innere Anteile auftun, die sich ständig widerstreben, dann ist der Ruf Ja zur eigenen Ambivalenz zu sagen und dich als Ganzes anzuerkennen und anzunehmen.
Wenn Schweigen nicht die Lösung war, nichts geholfen und nichts verändert hat, dann ist der Ruf für dich selbst sprechen zu lernen.
Wenn du an innere Widerstände stößt, dann ist der Ruf deinen verpanzerten Selbstschutz zu erkennen, ihn sanft aufzulösen und zum Kern vorzudringen.
Wenn die Dinge sich im Moment nicht ändern lassen, egal wie sehr du dagegen ankämpfst, dann ist der Ruf, Akzeptanz, Geduld und Demut zu üben.
 
Du kannst dem inneren Ruf folgen oder nicht, er wird dich geduldig weiter begleiten. 
Er ist in dir - das ungelebte Leben fordert Sichtbarkeit. 
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Mittwoch, 10. September 2025

Was denken die anderen?


 

„Denken ist schwer, darum urteilen die meisten“, ist ein Satz des Psychoanalytikers C.G.Jung. Was er damit meint ist, dass viele Menschen oft zu schnellen Automatismen und Urteilen neigen, weil komplexes Denken nun mal anstrengend ist, Zeit und Energie kostet. Hingegen denken viele Menschen anstatt selbständig zu denken, darüber nach, was andere über sie denken. Bis zu einem gewissen Grad liegt das in unserer Natur, denn wir wollen wertgeschätzt, gesehen, anerkannt, gemocht und geliebt werden. Wir sind soziale Wesen und wollen dazu gehören. Kritisch wird es dann, wenn wir uns, um anderen zu gefallen oder dazugehören wollen, ständig und übermäßig nach anderen richten und unsere eigene Meinung, unsere Gedanken und unsere Handlungen abhängig davon machen, was andere über uns denken könnten.
Das ist nicht nur anstrengend, das erzeugt emotionalen Stress und am Ende wissen wir nicht mehr, was wir selbst wollen oder wer wir eigentlich sind. Wir identifizieren uns mit dem was alle machen und wie man es zu machen hat. Unser eigenes Wesen bleibt uns fremd. Das führt zu Konformismus und Überanpassung an gesellschaftliche Normen und macht es schwer selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen. Stattdessen wird das Leben danach ausgerichtet, was andere für richtig und angemessen halten, aus Angst vor einer möglichen negativen Bewertung. 
 
Diese Angst ist größer als man meinen könnte. Diese tiefsitzende Angst führt u.a. dazu, dass Massenbewegungen und Massenmanipulation überhaupt stattfinden können.
Am Boden dieser Angst liegt die Angst vor Ausgrenzung, am Boden dieser Angst wiederum liegt die Angst allein und verlassen zu sein. Anstatt zu sagen was sie denken und zu handeln wie sie es für sinnvoll und richtig halten, passen sich viele also an und damit verpassen sie sich selbst.
Sie richten Ihr Verhalten und ihr Leben danach aus, was gesellschaftlich konform und angepasst ist, bis sie nicht mehr wissen, was sie selbst denken und wollen. Die Angst vor möglichen Meinungen und Urteilen erschwert eigene Entscheidungen, vernebelt die persönliche Sicht auf die Dinge, unterdrückt eigene Bedürfnisse und verschluckt eigene Ziele und Wünsche. Anstatt zu sich selbst zu stehen und für das, wofür man steht, einzustehen und im Zweifel aufzustehen, wird die eigene Wahrheit verleugnet, bzw. erst gar nicht gesucht.
Aus einem selbstbestimmten Ich wird ein „man“ - man macht das so. 
 
So kommt es zu dem, was Adorno mit den Worten beschreibt: „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.“ Zu einem „richtigen Leben“ gehört für mich auch die Freiheit des eigenen Denkens, unabhängig davon, ob es anderen gefällt oder nicht, dazu gehört mein eigenes Leben zu leben und zu gestalten, unabhängig davon, ob es anderen gefällt oder nicht. Zugegeben das kann ziemlich einsam machen, aber der Preis der Anpassung an fremdes Denken oder Verhalten, das nicht meinem Inneren entspricht, ist höher. Für mich zumindest ist das so. 
 
Den meisten von uns wurden schon als Kind beigebracht, wie wir zu sein haben, wie wir uns zu verhalten haben, was wir zu sagen und zu tun haben, damit Mama und Papa uns lieb haben und stolz auf uns sein können. Uns wurde gesagt: Du musst dies, du musst das, du darfst dies nicht und das nicht, und meist auch noch ohne eine Begründung. Waren wir nicht folgsam gab es Sanktionen und Bestrafungen, Zimmerarrest, Prügel und andere zweifelhafte Erziehungsmethoden um uns gefügig zu machen – sprich anzupassen, an das, was andere wollen und erwarten. Im Kindergarten und in der Schule ging es genauso weiter. Bloß nicht auffallen, bloß nicht anders sein, bloß nicht selber denken, was denken dann die anderen?
 
Wir sind darauf konditioniert uns so zu verhalten wie es sich „gehört“. Wir haben verinnerlicht: Wenn du dich anders verhältst als alle anderen, wirst du Probleme bekommen. Also ist es besser sich zu fügen und sich anzupassen, sonst bist du raus und gehörst nicht dazu. Rebellische Kinder hatten und haben es besonders schwer. Ihr Wille muss gebrochen werden, damit sie funktionieren – im Sinne des Systems. Wir bekommen diesen Druck also schon früh zu spüren und beugen uns. Jedenfalls die meisten von uns. Was will ein Kind auch tun?
Dieser Druck zieht sich dann, schaffen wir es nicht Widerstand zu leisten, durch das ganze Leben.
Aber es ist nie zu spät zum selber denken.
Es ist nie zu spät uns frei zu machen von dem Gedanken, was andere denken könnten. Meist denken sie auch gar nicht, was wir denken, was sie denken könnten. Die meisten sind mit sich selbst beschäftigt und leben in ihrer eigenen Blase.
 
Wenn wir uns unabhängig von den Meinungen und Bewertungen andere machen wollen, ist es entscheidend aufzuhören zu denken, was andere über uns denken könnten. Wir sind nämlich jetzt erwachsen. Wir sind frei zu denken und zu handeln wie wir es für richtig halten und wie es uns entspricht, solange wir anderen nicht schaden. Selbstbestimmung nennt man das – und dazu gehört auch aufzuhören sich Gedanken über die Meinung anderer zu machen. Dazu gehört unsere Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen, unsere Wahrheit und unsere Werte zu leben und nein zu sagen, wenn wir nein meinen.
Dazu gehört unseren eigenen Verstand als maßgebliche Instanz für die Wahrheit zu nutzen und uns von äußeren Einflüssen und Meinungen unabhängig zu machen
Dazu gehört Grenzen zu setzen, für uns einzustehen und die Konsequenzen zu tragen.
Und genau da wird es dann wieder schwierig, denn wir wollen doch dazugehören. Es erfordert Mut, Selbstbewusstsein und Selbstfreundschaft den Weg aus einem falschen Leben ins richtige Leben zu wagen – und was ein richtiges Leben für uns ist, das entscheiden wir selbst und nicht andere. 
 
„Die Maxime jederzeit selbst zu denken ist die Aufklärung.“
Immanuel Kant
 
Sapere aude! (Wage es, weise zu sein!)
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de