Samstag, 24. Juni 2023

Aus der Praxis: Das ewige Opfer kannst du nicht retten

 



Das ewige Opfer kannst du nicht retten
Kommt dir das bekannt vor?
Du hast so viel Energie darauf verwendet, einem Menschen zu helfen, dass du zu wenig übrig hast für das, was dir wichtig ist. Du tust für ihn, was du besser für dich selbst tun solltest.
Du bist ein mitfühlender, liebevoller, fürsorglicher, Mensch, du möchtest, dass es dem/der, die dir am Herzen liegt gut geht. Und jetzt spürst du, dass du deine Energie verbraucht hast.
Du bist erschöpft, vielleicht hast du schon körperliche Symptome, vielleicht bist du schon krank. Du hast dich vollkommen verausgabt um jemanden zu helfen und das Erschütternde ist – du hast nichts bewirkt.
Was du lange Zeit, vielleicht über Jahre gegeben hast ist nicht auf fruchtbaren Boden gefallen. Die Rosen, die du gesät und gepflegt hast, sind nicht erblüht. Der andere hängt weiter in seinem destruktiven System fest und nicht das Geringste ändert sich, auch wenn er es immer wieder sagt.
Er nimmt deine Hilfe nicht an, auch wenn er ständig nach Hilfe ruft. Er klagt, er jammert, er leidet sichtbar, er sagt: Rette mich. Immer wieder. In Wahrheit aber will er sich gar nicht retten lassen, obwohl er so tut. Was er wirklich will ist deine Energie um sein unheilsames System aufrechtzuerhalten. Was er wirklich will ist: so weitermachen wie bisher.
Es gibt Menschen, die sich genauso verhalten. Alkoholiker und Suchtkranke z.B. oder Menschen, die die Vergangenheit und seelische Verletzungen nicht loslassen wollen. Sie fühlen sich als ewiges Opfer und haben sich in dieser Rolle eingerichtet. Sie wollen Opfer sein und bleiben. Sie sind ewige Opfer.
Welchen Benefit hat das?
Diese Menschen blockieren auf einer unbewussten Ebene jegliche Veränderungsansätze. Und das hat Vorteile, so paradox das scheinen mag.
Welche Vorteile sind das?
 
Opfer zu sein verschafft eine Identität.
Opfer sind „besonders“ vom Leben oder vom Schicksal bestraft, vernachlässigt, gequält und zum Leiden verdammt. Dieses „besonders“ verleiht ihnen das Gefühl genau das zu sein: besonders und einmalig. Ihr besonderes Leid ist es, was sie ausmacht, worüber sie sich definieren und was sie von anderen unterscheidet. Diese innere Überzeugung prägt ihre Opferidentität. Darum halten sie an ihrem Schmerz und ihrem Leid fest, denn: Was wären sie ohne das?
Opfer zu sein ist nicht selten ein unbewusster Racheakt gegenüber dem oder denen, die sie einst zum Opfer gemacht haben. "Mir geht es schlecht, die, der oder das Leben ist schuld. Sieh her wie ich leide!"
Opfer zu sein, verschafft Aufmerksamkeit, Mitgefühl und Zuwendung.
Sie bekommen Zuwendung und Unterstützung in allen Lebenslagen. Erstaunlicherweise gelingt es ihnen immer wieder empathische Menschen anzuziehen, die bereit sind die Verantwortung für sie zu übernehmen und ihnen endlos Hilfe geben. Nur, diese Hilfe wird nicht angenommen und nicht als Hilfe zur Selbsthilfe genutzt, denn wäre das der Fall, würden sie genau das verlieren, was sie suchen: Aufmerksamkeit, Mitgefühl und Zuwendung. Sie müssen nicht aktiv werden und keine Verantwortung für sich selbst übernehmen.
Opfer sein verleiht Macht.
Sie haben Macht über dich. Eine subtile manipulative Macht, die du gar nicht wahrnimmst, weil sie sich ja ständig als schwach und hilfsbedürftig präsentieren. Sie haben die Macht, dass du alles tust, damit es ihnen gut geht. Diese Macht speist sich aus dem Gefühl moralischer Überlegenheit, denn sie sind die Leidenden, an denen die Welt (Du) etwas gutzumachen hast. Diese Macht wird bis oft bis zum Exzess ausgespielt und im worst case gegen dich verwendet. Wenn die Dinge schieflaufen, wenn sich nichts zum Besseren wendet, bist du schuld, weil du dich nicht genug gekümmert hast, weil du nicht fürsorglich, verständnisvoll, lieb genug warst, weil du wütend warst. Du allein bist für alles verantwortlich, was ihr Leid schlimmer macht.
Ein typischer manipulativer Satz z.B. bei einem Alkoholiker klingt so: "Weil du dich nicht änderst, muss ich saufen."
Du bekommst ein schlechtes Gewissen und strengst dich noch mehr an.
Gründe warum Menschen in der Opferidentität stecken bleiben gibt es viele. Aber diese interessieren mich in diesem Kontext nicht. Denn nach Gründen graben oder zu analysieren, warum ein Mensch für den du alles tust, für den du dich vielleicht sogar aufopferst und nichts bewirkst, sich nicht ändert, ist typisch für Menschen, die in eine derart toxische Konstellation verstrickt sind: Sie wollen verstehen, sie verstehen und verzeihen nahezu alles, auch wenn es sie ihr eigenes Seelenheil kostet.
Sie vergessen, dass sie nicht die Therapeuten einer verletzen Seele sind, sondern Menschen mit eigenen Bedürfnissen und Wünschen – und vor allem: Mit dem Recht auf eine gesunde Beziehung und die eigene seelische Unversehrtheit.
 
Genau das endlose Verstehen wollen führt dazu, dass sie irgendwann vollkommen ausbrennen, dass sie leiden, während der andere weitaus weniger leidet als sie selbst, auch wenn er so tut. Er ist weiterhin in seiner Komfortzone. Und du bist es, die sie aufrecht hält.
Diese Verstrickung ist unheilsam und hochtoxisch. Sie hilft weder dir noch dem anderen. Sie wirkt vielmehr wie ein sich selbst verstärkende Prozess, dessen Auswuchs dich am Ende krank macht. So weit darf es nicht kommen.
Du musst akzeptieren, dass all deine Mühe vergeblich ist. Du kämpfst wie Don Quichotte gegen Windmühlen.
Dazu musst erkennen:
Du hast keine Macht über andere Menschen.
Liebe rettet nicht, wenn der andere sich nicht retten lassen will.
Ein Mensch ändert sich nur, wenn er selbst dazu bereit ist. Solange du ihm die Verantwortung abnimmst, hat er keinen Grund sich zu ändern.
Jeder hat das Recht sein Leben so zu leben, wie er es will. Es ist seine Entscheidung. Er will es so.
Und du kannst absolut nichts daran ändern.
Der einzige Mensch, den du retten musst, um die unheilsame Verstrickung zu lösen, bist Du.
 
 
Wenn Du Dich aus einer solchen Verstrickung lösen willst, bin ich für Dich da.
Schreib mir eine Mail unter: aw@wende-praxis.de

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