Mittwoch, 21. Juni 2023

Aus der Praxis: Grübeln führt zu immer mehr vom selben

 

                                                              Foto: A.Wende


Wir alle kennen es, wir möchten nicht an etwas Bestimmtes denken, aber wir können nicht damit aufhören. Quälende Gedanken können uns beherrschen. Mehr noch, sie werden zu Gefühlen, die uns besetzen, die unseren Tag beherrschen und uns in den Nächten den Schlaf rauben. Jedes Gefühl, das wir haben, kann internalisiert werden. Geschieht das, hört das Gefühl auf wie ein Gefühl zu wirken, es wird zu einem Teil unserer Persönlichkeit mit dem wir uns identifizieren.
Wenn wir uns bewusst machen, dass die Dynamik unseres Seins aus Gefühlen, Bedürfnissen und Trieben zusammensetzt ist, können wir uns leicht vorstellen, dass wir mir diesen Identifikationen eine Störung in diese Dynamik bringen. Das ganze System ist im Ungleichgewicht und wir reagieren und handeln aus dem internalisierten Gefühl heraus.
Es hat uns im Griff.
Es ist normal, dass wir mit uns selbst reden oder Dinge im Kopf hin und her denken. Menschen, die nicht grübeln, haben die Fähigkeit, Gedanken auch wieder zu stoppen. Und darum geht es - ums Stoppen. 
 
Warum grübeln manche von uns mehr?
Grübeln, in der Fachsprache "Ruminieren" genannt, hängt mit Hirnaktivität zusammen. Bei Menschen, die viel grübeln, zeigt sich eine erhöhte Aktivität im linken Gyrus frontalis inferior. Das ist eine Region im Gehirn, die besonders beim lauten Reden aktiv ist. Diese Region ist umso stärker aktiv, je mehr wir grübeln. Für die Hirnforschung ist das ein Hinweis darauf, dass Grübeln mit Sprache zu tun hat, genauer: mit dem Mit-uns-selbst-sprechen. Du kannst ja einmal beobachten wie oft du das am Tag so machst. Wer also viel innere Selbstgespräche führt, grübelt viel. 
 
Was wir brauchen ist ein Weg um uns von diesem belastenden Grübeln zu lösen, oder wie man in der Psychologie sagt: Wir disidentifizieren uns von unseren Gedanken.
Wie geht das?
In der Psychoanalyse wird zwischen verschiedenen Ich-Zuständen unterschieden. Wir haben ein sogenanntes Ego das uns mit Gedanken und Gefühlen überfluten kann. Aber all die Stimmen die wir so im Kopf haben - das SIND wir nicht. Wir sind nicht unsere Gedanken. Wir erschaffen sie und nicht sie erschaffen und beherrschen uns, auch wenn es sich so anfühlt. Diese einfache Wahrheit wird oft übersehen und viele von uns können sich nicht vorstellen, dass es so ist. Können wir uns aber darauf einlassen, haben wir eine gute Chance nicht weiter das Opfer unserer grübelnden Gedanken zu sein.
Wir können uns unsere Eigenmacht zurückholen, wenn wir wissen: Alles was wir denken, können wir beeinflussen, denn WIR sind es, die denken. Es gibt niemanden, der uns sagen kann: Du musst jetzt so oder so denken. Es ist unsere Interpretation der Dinge, die unsere Gedanken erschafft. Diese Interpretation läuft allerdings in Sekundenbruchteilen ab. Und manchmal merken wir es erst, wenn wir mitten drin stecken im Dilemma.
Viktor Frankl sagte einmal: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum“. Was er damit meinte ist, dass wir genau diesen Raum für uns nutzen können um nicht wie ein Pawlowscher Hund auf einen von außen kommenden Reiz zu reagieren. Wir haben diesen Raum, der eine Distanz zwischen Ursache und Wirkung, zwischen Reiz und Reaktion, schaffen kann und dieser Raum ist ein hilfreiches Geschenk, wenn uns wieder einmal ein quälender Gedanke massiv zusetzt und wir in der Grübelfalle landen.
Hierzu gibt es eine einfache und wirksame Methode aus der Psychologie: den Gedankenstopp.
Der Gedankenstopp hilft nicht noch tiefer in die quälenden Gedanken zu fallen, sondern nach einer Lösung zu suchen und diese auch zu finden. Der Sinn des Gedankenstopps liegt darin, uns selbst aufzuwecken, bevor wir von destruktiven Gedanken überflutet werden.
Zugegeben das zu verinnerlichen ist schwer und es braucht Übung. Es braucht vor allem die Bereitschaft es zu üben.
Wie funktioniert diese Übung?
Sobald quälende Gedanken auftauchen:
Setz dich in aufrechter würdevoller Körperhaltung an einen stillen Ort und lass diese Gedanken bewusst zu. Dann sage laut „Stopp“ zu dir selbst. Du wirst überrascht sein, wie du plötzlich wieder im Hier und jetzt bist und die quälenden Gedanken an Intensität verlieren. Klappt nicht sofort, aber mit der Zeit.
 
Auch hilfreich ist es unsere Gedanken aufzuschreiben.
Statt denken, schreiben. Alles rauschreiben, was da oben in der Denkmaschine für Chaos sorgt. So sind die Gedanken erst mal aus dem Kopf und wir wenden uns aufmerksam dem Jetzt zu. Sicher, vergessen werden sie natürlich nicht. Aber die Auseinandersetzung damit wird pausiert und es kehrt für eine Weile Ruhe im Kopf ein.
 
Eine weitere Übung, die mir persönlich hilft, ist diese kleine aber sehr effektive Übung in Selbstmitgefühl:
Sag mitfühlend zu dir selbst: „Ja, so ist das. Es ist okay."
Wenn du magst, lege dabei deine Hände auf dein Herz und atme dabei ruhig ein uns aus. Tu das solange bis zu fühlst, dass es ruhiger in dir wird. Bei manchen Menschen nützt schon diese kleine Übung um innerlich wieder zu sich selbst zu kommen.
Und zum Schluss ein Zitat des Psychoanalytikers Roberto Assagioli:
„Ich habe einen Körper, aber ich bin nicht mein Körper.
Ich habe Gefühle, aber ich bin nicht meine Gefühle.
Ich habe Wünsche, aber ich bin nicht meine Wünsche.
Ich habe einen Geist, aber ich bin nicht mein Geist.
Ich bin ein Zentrum aus reinem Bewusstsein.“
Man mag das nun glauben oder nicht, aber wer übt, weiß, dass er Recht hatte.

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