Montag, 5. April 2021

Dankbar

 

                                                         Foto: Alexander Szugger

 

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.  

Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.

 

Leicht ist es nicht. Schwer ist es auch nicht. Es ist irgendetwas dazwischen. Mal ist es leicht, mal weniger leicht und dann fühlt es sich schwerer an, als es ist. Es kommt drauf an, wie ich es betrachte. Wie ich es einordne und bewerte, für mich, ohne den Kontext des Allgemeinen, es weglasse das Allgemeine, was ich gewöhnlich immer mit einbeziehe, wenn ich die Dinge erforsche.

Ich erforsche an diesem grauen Ostermontagmorgen meinen Gefühle. Wie geht es mir? Was macht es mit mir, den zweiten Geburtstag in Zeiten der Pandemie mit mir alleine zu verbringen? Ohne meinen Lieblingsmenschen sein an diesem Tag, das fühlt sich schwer und traurig an. Ein schmerzhaftes Vermissen. Tränen geweint zum Morgenkaffee. Leise, warme Tränen der Sehnsucht nach seiner Umarmung, nach ihn halten in meinen Armen. Und dann ein kleiner Anflug von Wut: Warum muss er auch so weit weg wohnen? Blödsinnige Wut. Es ist wie es ist und wer hätte damals, als er wegzog, jemals an eine Pandemie gedacht. Ich lasse die Wut sein und bleibe bei und meinem Geburtstag. Wahr ist, ich mag Geburtstage nicht, nur den meines Lieblingsmenschen. Der Tag an dem ich ihn geboren habe war einer der schönsten meines nun doch schon langen Lebens, das mir gerade verdammt kurz vorkommt. So kurz wie der Rest, der mir noch bleibt. Ein Rest, den ich noch vor einem Jahr länger eingeschätzt habe, bevor ein Virus das Leben um einiges gefährlicher machte. Ein Virus, das willkürlich Lebenszeit, die noch bleiben könnte, zu einer noch unberechenbareren Größe macht, als zu jener Zeit, als ich meinem Hausarzt vertraute, der meinte: Sie werden alt. Sie sind fit. Dumm gelaufen, wenn es mich jetzt treffen sollte, so fit wie ich bin. Ich spüre Angst. Wenn ich an diesem Gedanken festhalte, tut mir das nicht gut. Ich will leben für meinen Lieblingsmenschen, der seinen Vater schon zu früh verloren hat. Ich will nicht,  dass er mich auch früh verliert. Auf keinen Fall will ich das, darum passe ich gut auf mich auf und meide alles was Risiko ist. Aber mein Wollen interessiert nicht, ändert nichts. Ich lasse auch diesen Gedanken los, weil er nicht hilfreich ist.  

Während ich schreibe läuten die Glocken der Kirche im Viertel. Ich mag das Glockenläuten. Es tröstet mich an diesem Morgen. Alles wird gut, sage ich mir. Gott weiß, was er tut. Wenn es ihn denn gibt, meldet sich eine Stimme in mir. Und wenn es ihn gibt, Gott entscheidet nicht über Leben und Tod. Wer entscheidet, das weiß ich nicht. Das werde ich auch nicht herausfinden, weil keiner das bisher herausgefunden hat. Wozu auch? Würde es etwas ändern, dieses Wissen? Es würde nichts ändern, außer, dass ich Gewissheit hätte und was dann? Würde es mir damit besser gehen? Nein. Es ist wie es ist. Mehr ist nicht und alles Weitere werde ich sehen. 

Wenn ich in diesem Jahr, von einem Geburtstag zum anderen, eines wirklich begriffen habe, ist es, dass ich nichts weiß. Und dass ich jegliches Anhaften lassen kann, dass ich jegliches Planen lassen kann und nur den Moment habe. Moment für Moment, so lebe ich. Bewusster als früher, denn jeder Moment ist Leben. Anders als es war, so anders, dass ich bis heute nicht genau weiß, wie ich das, was jetzt anders ist, in mein Leben auf eine Weise integriere, dass ich aufhöre zu vergleichen, mit dem was früher anders war als Heute.

„Wenn alles anders wird, ändere alles“, ein Buch mit diesem Titel steht im Bücherregal. Ich habe viel verändert in einem Jahr und vieles hat sich für mich verändert. Die gelungenste Veränderung ist, dass ich gelassener geworden bin. Dass ich mich nicht mehr aufrege, über Dinge, die ich trotz bestem Wollen und hoher Bereitschaft, nicht ändern kann. Dass ich akzeptieren gelernt habe, dass ich nichts kontrollieren kann, außer meine Reaktion auf das, was geschieht. Gewusst habe ich all das schon vorher, aber gefühlt habe ich es nicht wirklich. Jetzt kann ich es fühlen. Ich bin leiser geworden, mein Bedürfnis mit Menschen über Oberflächlichkeiten zu reden, ist noch kleiner geworden. Ich habe mich in der Stille eingerichtet und mich vom Lauten noch weiter entfernt. 

Ich mag die Stille. Sie ist wie ein ruhiges, glattes Meer. Friedlich. Ich bin friedlicher geworden, auch das. Ich beobachte mehr als früher. Ich muss nicht mitten drin sein. Ich bin mit mir. Da hat mich das Leben hingeschoben. Zu mir. Ganz nah hin, so nah, dass ich mir selbst nicht mehr ausweichen kann. So nah, dass ich die Möglichkeiten, die es im Außen nicht mehr gibt, in mir selbst finde. Ich finde einen großen inneren Reichtum in mir. In den einsamen Stunden bin ich dankbar, dass es so ist. Dankbar, dass mir in diesem endlosen Lockdown dieser Reichtum bewusst wird. Dankbar ihn teilen zu können mit denen, die ich liebe und für die ich da sein darf. 

Ich bin dankbar für das erfüllte Leben, das ich hatte, für all die Liebe, die ich geschenkt bekam, auch wenn sie mich irgendwann wieder verlassen hat oder ich sie. Dankbar für die Gefährten, die da waren in meinem Leben. Wunderbare, faszinierende, tiefe Menschen, mit denen ich noch heute im Herzen verbunden bin. Dankbar für meine letzte Liebe, die schwer war, zu schwer für beide. Dankbar für die Erfahrung mit einem Menschen so tief verbunden zu sein, das es keine Worte braucht um einander zu verstehen. Dankbar, dass ich lebe und noch gesund bin. Dankbar, dass meine Lieblingsmenschen leben und gesund sind. Tief dankbar, dass der höchste Wert, den ich meinem Leben gegeben habe, mich trägt an diesem Geburtstag, wie an all den vergangenen Tagen meines Lebens - die Liebe.


 

 

 



2 Kommentare:

  1. Alles Liebe und Gute zum Geburtstag! Es gibt bestimmt ganz viele Menschen hier, die sehr glücklich sind über die weisen und lehrreichen Posts auf diesem Blog. Ich durfte schon viel lernen und verstehen und bedanke mich ganz herzlich dafür. Ich für meinen Teil schaue gern hin zu den Ländern, in welchen die Pandemie unter Kontrolle zu sein scheint, das gibt mir Hoffnung. Irgendwas machen "die" richtig, was "wir" noch lernen müssen! Es wird bestimmt wieder besser werden! Herzliche Grüße Gabi

    AntwortenLöschen
  2. Liebe Gabi,

    danke für die lieben Wünsche und Deine Wertschätzung!

    Ja, alles kann besser werden, wenn wir endlich aus der Krise lernen.

    Herzliche Grüße,
    Angelika

    AntwortenLöschen