Montag, 19. April 2021

Hauptsache du hast einen Traum

 

                                                            Foto: A.Wende

Nenne dich nicht arm, wenn deine Träume nicht in Erfüllung gegangen sind;  wirklich arm ist nur, der nie geträumt hat.

Ebner-Eschenbach

 

"Zur Biografie einen jungen Menschen gehört es einen Traum zu haben", schreibt Daniel Levinson, der sich mit der Theorie der Lebenspannen befasst. Er konnte nachweisen, dass ein Traum für die Energie sorgt Ideen zu verwirklichen und eine Vision für das eigene Leben zu erschaffen und er stellte fest, dass Menschen, die einen Traum haben und ihn verfolgen, besser mit dem Leben zurecht kommen.

Eine Vision ist wie ein Leitfaden, wie ein Kompass, der uns auch über schwere Zeiten hilft den eigenen Weg nicht aus den Augen zu verlieren. 

Egal wie alt wir sind, zu unserer Geschichte gehört immer auch der Entwurf der Zukunft. Was aber wenn wir diesen Traum verlieren, weil seine Verwirklichung an äußere Grenzen stößt? So wie jetzt, wo die Träume unzähliger Menschen an der Realität zerbrechen. Was dann? Wo gehen wir dann hin in Gedanken, wenn der Kompass nicht mehr die Richtung zeigt, wenn unsere Vision eine Utopie geworden ist, ein Ort, den es nicht gibt oder nicht mehr gibt. Das zu erleben ist verstörend. 

Der Traum, der auf ein gelingendes Leben hinwies, ist wichtig für unser Selbstwertgefühl. Zerschellt der Traum an der Realität bröckelt es. Wir erleben einen Verlust und wissen nicht wonach wir jetzt streben sollen.

Das kleine Restaurant ist zu. Der Job ist gekündigt. Ein geliebter Mensch, mit dem wir unser ganzes Leben verbringen wollten, ist nicht mehr da. Der Verlag lehnt das Buch ab, das wir mit Herzblut geschrieben haben. Wir sind plötzlich chronisch krank und nicht mehr so kraftvoll wie einst. Alles zerschellte Träume. Und wir sitzen da, schauen auf unser traumloses Leben und wissen nicht mehr wohin mit uns. Das ist ein tiefer Einschnitt in unsere persönliche Geschichte. Und wir waren nicht einmal vorbereitet, dass er kommen würde, zu sehr haben wir unserem Traum vertraut, zu sehr waren wir damit beschäftigt ihn zu verfolgen und ihn zu leben. So sehr, dass wir nicht im Traum daran dachten, es könnte jemals anders sein.

Aber dabei haben wir etwas vergessen: Wir haben vergessen, dass die Zukunft nicht allein von uns selbst abhängt, sondern vom Leben, das sich ohne unser Zutun wandelt.  

Wir haben vergessen, dass das Leben auch anders sein könnte. Wir müssen erkennen, dass die Zukunft nicht einfach frei gestaltbar ist, sondern mitbestimmt von dem, was größer ist als wir. 

Das ist eine harte Lektion, auch für diejenigen unter uns, die sich all dessen bewusst waren. Die leibhaftige Erfahrung fühlt sich anders an, als das rationale Wissen, und auch das wussten wir, aber jetzt fühlen wir es. Und es tut verdammt weh. 

Ich habe das oft in meinem Leben fühlen müssen. Einige meiner liebsten Träume sind an der Realität zerbrochen. Aber es gibt eine Vision in mir, die immer weiter lebt, egal wie die äußeren Umstände sind - mein Traum von einer besseren Welt. Er bekommt jetzt Risse und an manchen Tagen verlässt mich die Zuversicht, aber ich halte daran fest, denn ihn aufgeben würde für mich bedeuten, den Glauben an die Menschheit aufzugeben. Würde ich das tun, würde ich damit mein Lebensgefühl der Kompetenz aufgeben - meiner Kompetenz bezüglich dessen, was ich tun kann um es besser zu machen für mich, für meine Nächsten, für meine Klienten. 

Es gibt Invarianten (Größen, die bei Eintritt gewisser Veränderungen unveränderlich bleiben), etwas, das immer bleibt, egal was geschieht, es gehört unabdingbar zu uns selbst. 

So wie das Schreiben zum Autor, so wie die Musik zum Musiker, so wie das Malen zum Maler und das Forschen zum Forscher gehört. Invarianten sind unzerstörbar und Teil unserer Identität. Wenn wir einen invarianten Traum haben, eine Vision, die über uns selbst hinausgeht, ist das ein Geschenk, denn dieser Traum hält der Realität stand. Alles kann zerbrechen, aber die Vision bleibt. Sie ist unzerstörbar. 

Was aber wenn es im Leben eines Menschen eine solche Invariante nicht gibt? Wie lebt er weiter wenn sein persönlicher Traum verloren ist? Es einfach hinnehmen? Ja, erst einmal. Demut lernen. Den Verlust betrauern. Abschied nehmen. Und dann darüber nachdenken, ob es nicht einen anderen Lebensentwurf geben könnte. Mit dieser Haltung ist es leichter uns von einem Traum zu verabschieden, der, würden wir wider besseren Wissens daran festhalten, unsere Gegenwart und unsere Zukunft auffrisst und im Zweifel unsere Seele.

Wir müssen einiges im Leben hinnehmen, aber nicht alles, selbst im tiefsten Verlust nicht. Würden wir das tun, würden wir der unheilsamen Überzeugung folgen, dass das Leben nicht beeinflusst werden kann.  

Wir würden unser Kompetenz als Gestalter abgeben und in Fatalismus versinken. Resignation würde sich breit machen. Wir würden uns im Hinnehmen einrichten und mit der Zeit innerlich verkümmern. Und damit würde unser ganzes Leben verkümmern. Wenn das geschieht, legt sich eine schwere Decke über allen Willen zur Utopie. 

Was uns dann noch retten kann ist die Imagination, die kreative Vorstellung, wie das Leben auch anders sein kann, als wir es uns erträumt haben oder als wir es gewohnt waren. Imagination öffnet den Zugang zur Fantasie - und diese ist fähig einen neuen Traum zu kreieren. Egal wie realistisch oder wie unrealistisch er sein mag - Hauptsache du hast einen Traum.

 

 

 

 

 

 

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