Dienstag, 18. Dezember 2018

Die Depression hat Sinn


 
Foto: A. Wende

"Diese Depression, ich hasse sie, sie hat doch keinen Sinn", sagte eine Klientin zu mir. Aber ja, sie hat einen Sinn antwortete ich. Die Depression fordert sie auf, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Sie möchte, dass sie sich mit ihrem Unbewussten beschäftigen um herauszufinden, was in ihrem Leben auch gelebt werden will. Sie verweist auf ihre inneren Konflikte, die sie nicht lösen können und auf das, was sie nicht mehr ertragen, auf das, was sie nach unten drückt und lähmt. Sie ist dazu da herauszufinden was sie in ihrem Leben wirklich wollen und was sie nicht mehr wollen.

C. G. Jung schrieb einmal: "Die Depression ist gleich einer Dame in schwarz. Tritt sie auf, so weise sie nicht weg, sondern bitte sie als Gast zu Tisch und höre, was sie zu sagen hat.“ 

Die Depression ist nicht unser Feind. Sie ist diese Dame, von der Jung schreibt. Sie besucht uns, wenn wir es so wie es ist nicht mehr aushalten und sie zwingt uns dazu innzuhalten, weil nichts mehr geht.

Viele von uns leben eine Identität, die ihnen nicht entspricht. Sie passen sich an ein Leben an, in das sie hineingeraten sind oder für das sie sich irgendwann entschieden haben. Aber irgendwann kann es sein, dass dieses Leben nicht mehr passt. Es fühlt sich nicht gut an, es fühlt sich an als sei es längst überholt. Der Selbstentwurf, der daraus entstanden ist fühlt sich unecht an. Es fühlt sich als befinde man sich im falschen Leben. Die meisten Menschen machen trotzdem weiter. Sie hören und fühlen die Alarmsignale der Seele und des Körpers, der dann die Somatik übernimmt, wenn die Seele keinen Ausweg mehr findet, nicht. Sie werden krank und machen immer noch weiter, solange Tabletten helfen. Aber irgendwann hilft nichts mehr und die Depression sitzt am Tisch. Wer sich zu sehr an das anpasst, was die Welt von ihm will ist gefährdet. Sich zu sehr und zu lange in die Erwartungen der äußeren Welt anpassen macht krank. Es geht auf Kosten der Persönlichkeit, wenn wir immer nur tun, was „man“ tut oder was „man“ von uns erwartet. Und plötzlich wird emotional eine große Leere erlebt und der Sinn des eigenen Lebens wird zur unlösbaren Frage.

Wenn der Mensch den Sinn verliert stumpft er ab, oder er verliert sich in Alkohol und Drogen um den Schmerz darüber zu betäuben oder er wird krank und depressiv. Wenn Menschen zu lange mögliche Selbstentwürfe aussparen geschieht all das. Wenn Menschen sich an einer Identität festhalten, die ihnen nicht, oder nicht mehr entspricht, geschieht das. Wenn Menschen nicht wissen was sie vom Leben und von sich selbst wollen, geschieht das. Dann sind sie wie ein Boot auf einem dunklen Meer – sie lassen sich treiben bis sie untergehen.

Ich kenne Menschen, die Tag für Tag nur drüber leben. Über ihre Bedürfnisse, über ihre Träume, über ihre Gaben und Potentiale über ihre Fähigkeiten. Sie lassen all das links liegen und beklagen sich, dass sich nichts ändert. Weil sie längst den Glauben an sich selbst verloren haben. Es ist erschreckend zu sehen was das mit ihnen macht. Sie werden zu einem Schatten ihrer selbst. Sie leben in einer inneren und äußeren Isolation. Innen fühlen sie genauso wenig wie im Außen. Nichts berührt sie mehr. Sie haben den Bezug zu sich und der Welt verloren. Sie warten nur noch. Auf was? Fragt man sie wissen sie es nicht. Sie haben sich aufgegeben. Sie leben in einer lavierten Depression, die nur noch das Nötigste zulässt um nicht zu Grunde zu gehen. Sie spüren zwar, dass es so wie es ist nicht mehr geht, aber sie können längst nicht mehr handeln. Sie erkennen den Sinn ihres Zustandes nicht.

Ja, die Depression hat einen Sinn: Sie hat den Sinn, uns den Sinn unseres Lebens neu suchen zu lassen.



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