„Reiß dich doch zusammen! Stell dich nicht so an, das kann doch
nicht sein, du musst dagegen angehen, stell dich der Angst, mach was, hör auf
zu vermeiden, das macht alles noch schlimmer!“
Traumatisierte
Menschen kennen diese gut gemeinten aufmunternden Worte von denen, die nicht
wissen, was es bedeutet ein Trauma erlebt zu haben. Wie auch? Menschen können
nicht nachfühlen, was sie selbst nicht gefühlt haben. Sie können es nicht
einmal verstehen.
Traumatisierte
Menschen sind mit ihrer lebensverändernden Erfahrung im Tiefsten allein. (Außer
sie haben einen guten Therapeuten)
Wer
ein massives Trauma erfahren hat ist ein anderer Mensch geworden. Er hat an
Leib und Seele erlebt was es bedeutet absoluten Kontrollverlust zu erfahren. Er
hat Todesangst gefühlt und im Zweifel auch körperliche Schmerzen. Peter A.
Levine, einer der bekanntesten Traumaexperten und Autor des Buches „Vom Trauma
befreien - Wie Sie seelische und körperliche Blockaden lösen“, erklärt das
traumatische Erleben sinngemäß so: „Ein
Trauma wird durch ein Ereignis verursacht, dass für den Betroffenen extremen
Stress erzeugt. Dieses Ereignis bewegt sich außerhalb normaler menschlicher
Erfahrungen. Die Fähigkeit mit der Situation umzugehen funktioniert nicht. Alle
psychischen Bewältigungsstrategien werden im Traumaerleben außer Kraft
gesetzt.“ Mit anderen Worten: Es kommt zum Verlust der Verbindung zu uns
selbst, unserem Körper und der Welt.
Ein Trauma führt
dazu, dass sich mentale und körperliche Strukturen spalten. Ein Trauma wird
dann erlebt, wenn in einer lebensbedrohlichen Situation alle Stressprogramme
versagen, sprich, wenn kämpfen oder fliehen nichts helfen und der totale
Verlust der Kontrolle über das eigene Sein stattfindet.
Der Traumatisierte
erfährt: Alles was normalerweise hilft, hilft nichts, die Situation ist
ausweglos. Also muss etwas im Gehirn die Stressprogramme ausschalten, was zur
Folge hat, dass die Psyche ihre Ganzheit aufgibt, das Ich fragmentiert sich und
spaltet sich auf. Die lebensbedrohliche Situation, die Ohnmacht, die Angst, das
Ausgeliefertsein werden im Gehirn gespeichert. Wird der Traumatisierte später
mit einem Reiz, der nur irgendeinem Reiz aus der traumatischen Situation
ähnelt, konfrontiert, löst dieser sofort die in der Erinnerung gespeicherten
Gefühle aus. Es kommt zu verschiedenen körperlichen Symptomen wie Atemnot,
Schweißausbruch, Übelkeit, Herzrasen, im schlimmsten Fall zu Panikattacken.
Hier kann die bewusste Wahrnehmung oft keinen Zusammenhang herstellen, der
Traumatisierte versteht sich selbst nicht mehr, er ist allein mit seiner Angst
und seiner Ohnmacht, die er immer wieder erlebt, ohne zu wissen wann und wo sie
ihn trifft.
Häufig kommt es posttraumatisch( nach dem Trauma)
zu einem grundlegenden Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmachtsgefühlen durch die
traumabedingte Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses sowie zu einem
Gefühl der Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen Menschen. Man könnte
sagen, der Traumatisierte hat den Kontakt zum Boden der Realität verloren und
allem was sich darauf bewegt. Die Welt erscheint ihm unberechenbar, gefährlich
und als Bedrohung. Der Glaube, dass auch nur etwas in der Welt verlässlich ist,
ist verloren.
Traumen
kann man heilen. Es dauert lange und erfordert unendlich viel Geduld vom
Betroffenen und seinem Therapeuten.
Im besten Falle organisiert sich die Psyche nach einem Trauma neu, sodass der Mensch
wieder lebensfähig ist.
Was
aber wenn es zu einem neuen Trauma kommt?
Man
spricht dann von einer Retraumatisierung.
Bei
einer Retraumatisierung werden lang etablierte Abwehrmechanismen und alles was
heilte, außer Kraft gesetzt. Es kommt zu einer Überflutung mit neuem und altem
Traumamaterial. Betroffene haben bei einer Retraumatisierung die gleichen
Gefühle, Körperempfindungen und Wahrnehmungen, die sie beim ursprünglichen
Trauma erlebt haben. Sie sind diesen Symptomen hilflos ausgeliefert und erleben
abermals denselben Kontrollverlust und dieselbe Angst in exakt gleicher
Feldstärke.
Bei
einer Retraumatisierung geht ein Mensch ein weiteres Mal durch die Hölle. Das geht von massiven Angstzuständen
bis hin zu Panikattacken oder generalisierter Angst. Auch dissoziiertes und/oder
depersonalisiertes Erleben, Schlafstörungen, psychosomatische Symptome wie etwa
Herzrhythmusstörungen, Magen-Darmstörungen, unklare Schmerzen bis hin zu
Depressionen sind die Folge. Nach einer Retraumatisierung ist das gesamte
Nervensystem überreizt und hypersensibilisiert.
Auch wenn der Verstand
funktioniert – ein retraumatisierter Mensch zerfällt in Fragmente seines
Selbst. Er fällt ins Bodenlose. Er erlebt ein völlig verändertes Denken
und Fühlen.
Er wird derart von frei flottierender Angst überflutet, dass es kaum
noch einen angstfreien Moment im Leben gibt. Der Körper schüttet ständig
Stresshormone aus und das Sympathische Nervensystem läuft ständig auf
Hochtouren. Das bewirkt eine
Leistungssteigerung des Organismus (Ergotropie). Der Körper ist permanent in
hoher Leistungsbereitschaft und findet keine Ruhe mehr.
Man weiß, dass durch solche länger
anhaltenden körperlichen Zustände die neuronalen Verknüpfungen im Gehirn derart
verändert werden, dass ein angstfreies Denken und Empfinden kaum mehr möglich
ist. Traumatisierte Menschen beginnen daher instinktiv zu meiden was angstauslösend wirken könnte. Das kann alles
sein, was nur im Entferntesten an das Trauma erinnert. Diese Menschen reagieren
hypersensibel gegen alles was sich nur im Geringsten nach Gefahr anfühlt oder sie in die Erinnerung des Erlebten zurückversetzen kann. Sie
leben in einem permanenten Angstzustand, ohne zu wissen warum, denn oft ist ihnen
selbst gar nicht bewusst was genau ihre Angst auslöst.
Es ist
schwer, nach einem Trauma wieder ins normale Leben zurück zu finden. Noch einmal
schwerer ist es nach einer Retraumatisierung wieder gesund zu werden. Die
Traumaforschung weiß, dass das Gehirn nach einer Retraumatisierung Jahre
braucht bis es wieder normal funktioniert. Die Heilung einer
Retraumatisierung braucht Zeit, Geduld und intensive Therapie, damit der Mensch wieder
lebensfähig wird. Mit zusammenreißen hat das nichts zu tun.
Hallo Frau Wende,
AntwortenLöschenich möchte Ihnen sagen, dass ich sehr angetan bin von Ihrer Sicht des Innen und Außen, bzw. speziell hier das Thema Retraumatisierung durch Ihre Brille des Sehens zu lesen.
Für mich ist es eine brilliante Zusammenfassung dessen, was es in der Fachliteratur bisher zu lesen gibt, durch Sie, ihr Inneres persönlich aufgearbeitet dem Leser also gut verständlich zusammengefasst und erklärt. Lieben Dank dafür..
Herzlichen Dank für Ihre Wertschätzung. Es freut mich, dass meine Worte hilfreich sind.
AntwortenLöschenNamaste
Hallo Frau Wende,
AntwortenLöschenhabe gerade ihre ausführung über Retraumatisierung gelesen
Und kann es gar nicht fassen das man was einen so bewegt was einen oft hilflos macht so in Worte fassen kann so vieles geht mir gerde durch den Kopf und beantwortet einige Fragen von mir die ich seit langem mit mir herum trage . Herzensdank
habe gerade ihre ausführung über Retraumatisierung gelesen
AntwortenLöschenUnd kann es gar nicht fassen das man was einen so bewegt was einen oft hilflos macht so in Worte fassen kann so vieles geht mir gerde durch den Kopf und beantwortet einige Fragen von mir die ich seit langem mit mir herum trage . Herzensdank
von herzen gerne :-)
AntwortenLöschenWie oft habe ich den Satz "jetzt reiss Dich endlich zusammen..." von meiner Mutter gehört. Es ist alles soo lange her und doch gibt es auch nach Jahrzehnten immer wieder auslösende Situationen in bestimmten Kontexten. Einfach der Hammer.Trotz einer tollen Therapeutin, die mich fünf Jare lang begleitet hat. Es bleibt in den Zellen gespeichert, im Zellgedächtnis und selbst unsere Gene werden durch derartige Ereignisse verändert, wie man heute weiß. Da wundert mich das transgenerationale Trauma gar nicht mehr.
AntwortenLöschenDanke für Ihre stets so wunderbar formulierten Beiträge, Frau Wende!
Danke für Ihre Wertschätzung!
AntwortenLöschenNamaste
Mir geht es genau so..nach einem Trauma (Suizid Sohn)vor 6 Jahren..wurde mir vor 3 Monaten wieder der Boden unter den Füssen weggezogen...seitdem fühle erlebe ich alles wie damals ..noch schlimmer als zuvor.Alles kam wieder zum Vorschein obwohl es 2 total unterschiedliche Situationen sind..ich hoffe so sehr das ich es schaffe halbwegs wieder da raus zu kommen
AntwortenLöschenDieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Löschenes tut mir sehr leid, dass dein sohn sich das leben genommen hat. es ist schwer, das zu verkraften und vielleicht verkraftet man es nie. das kann einen menschen zerbrechen. aber du lebst. such dir hilfe. alles liebe.
Löschennamsste, angelika
Das mache ich zur Zeit jeden Tag durch,unkontrollierte Ängste und sofortige Panik durchströmen meinen Körper und jedes mal aufs Neue versuche ich es zu verstehen und was der Auslöser ist aber leider! 2017 wollte ich mir das Leben nehmen, das Ende war :ich landete in der Psychiatrie da bauten sie mich wieder auf und man sagte zu mir,denk an deine Kinder doch in solchen Momenten denkt man einfach nur noch...ICH WILL DAS ES AUFHÖRT...ich könnte schon wieder weinen,alles fühlt sich so real an es tut so sehr weh! Ich brauche KEIN MITLEID nur Zuspruch
AntwortenLöschenund wenn es so schlimm ist, professionelle Hilfe.
AntwortenLöschenIch lebe seit 14 Jahren neben meinem retraumatisierten Mann.Leider ist das nur meine Sicht. Er erklärt sich selbst alles über seinen analytischen Verstand und ist nicht in der Lage zu erkennen, wo die Ursachen verankert sind. Jeder Hinweis in diese Richtung ist für ihn hoher Druck, löst Panik aus.Er schläft seit Jahren nicht. Nähe erträgt er kaum.Kontakte zur Aussenwelt reduzieren sich inzwischen drastisch. Unmöglich, einen solchen Menschen auch noch auf die Suche nach einem guten Therapeuten zu schicken. Dazu müsste er mehrere ausprobieren.Diese Energie ist nicht vorhanden und auch nicht die, etwas zu ändern.
AntwortenLöschenIch lebe seit 14 Jahren neben meinem retraumatisierten Mann.Leider ist das nur meine Sicht. Er erklärt sich selbst alles über seinen analytischen Verstand und ist nicht in der Lage zu erkennen, wo die Ursachen verankert sind. Jeder Hinweis in diese Richtung ist für ihn hoher Druck, löst Panik aus.Er schläft seit Jahren nicht. Nähe erträgt er kaum.Kontakte zur Aussenwelt reduzieren sich inzwischen drastisch. Unmöglich, einen solchen Menschen auch noch auf die Suche nach einem guten Therapeuten zu schicken. Dazu müsste er mehrere ausprobieren.Diese Energie ist nicht vorhanden und auch nicht die, etwas zu ändern.
AntwortenLöschenSorgen sie gut für sich selbst!
AntwortenLöschenWenn keine Bereitschaft da ist, sind sie machtlos in Ihrem Bemühen.
Das habe ich lernen müssen, ja!
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