Sonntag, 6. November 2016

Die Angst vor der Einsamkeit


Foto: A. Wende


Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den andern,
Jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.

Seltsam, Im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.


Hermann Hesse im November 1905 in seinem Gedicht „Im Nebel“  

Jeder von uns kennt das Gefühl der Einsamkeit. Jeder von uns fühlt sich hin und wieder einsam. Und mache von uns fühlen sich dauerhaft einsam, auch wenn sie mit Menschen zusammen sind. Das ist die innere Einsamkeit, geboren aus der Erfahrung, dass das, was uns tief berührt unteilbar ist, gekoppelt mit dem Wunsch es teilen zu können, der unerfüllbar bleibt.  

Einsamkeit hat viele Gesichter. Die meisten sind unschön, aber das schrecklichste Gesicht ist das der Angst, die die Einsamkeit manchen Menschen macht. 
Ob uns die Erfahrung einer Zeit der Einsamkeit in den inneren Frieden führt und zu unserem eigenen besten Freund macht oder zum ängstlichen Kind werden lässt, das im Alleinsein Todesängste aussteht, liegt darin wie wir Einsamkeit bewerten. Und wie wir sie bewerten ist bedingt durch die Erfahrungen unserer Biografie.  Wer als Kind allein gelassen wurde, sei es emotional oder indem die Eltern tatsächlich nicht fassbar waren wenn das Kind sie brauchte, für den ist Einsamkeit eine existentielle Bedrohung. Das ist sie natürlich nicht, aber gefühlt ist sie ist. Was wir fühlen ist für uns wahr, da kann der Verstand noch so sehr das Gegenteil behaupten. 

Ein alleingelassenes Kind ist traumatisiert. Es keine verlässliche Bindungserfahrung gemacht, es hat keinen Halt gefunden in seinen Bezugspersonen, es hat keine Sicherheit gefunden, es war sich selbst und dem angstbesetzten Erleben  überlassen, sich selbst nicht halten zu können. Wie auch? Ein Kind kann und muss sich nicht selbst halten.
Diese kindliche Erfahrung brennt sich in das emotionale Gedächtnis ein. Sie ist in jeder Zelle gespeichert, denn Angst ist ein Gefühl das mit körperlichen Reaktionen einhergeht. Diese merkt sich der Körper und verinnerlicht sie. Das Gehirn ruft genau diese Gefühle ab, sobald der Erwachsene sich allein und verlassen fühlt. Einerseits ist das schmerzhaft und bitter, andererseits liegt darin eine große Chance. Nämlich die Chance aufzuarbeiten, was uns als Kind widerfahren ist und was wir damals fühlten um zu lernen, dass wir heute nicht mehr dieses mutterseelenallein gelassene heimatlose zerbrechliche kleine Wesen sind, das wir einst waren, um zu lernen, dass wir heute nicht mehr das Opfer sind und uns selbst helfen können, weil wir groß sind und erwachsen und weil wir heute wählen können. Wir können wählen uns anders mit der Angst auseinanderzusetzen als damals, wir können lernen, uns ihr zu stellen und mit ihr zu leben. Und wir können lernen sie auszuhalten, ohne dass sie uns klein und immer kleiner macht. 
  
Wenn wir in eine Phase tiefer Einsamkeit geraten, weil uns der Partner verlassen hat, weil wir einen lieben Menschen verloren haben oder weil wir in einer fremdem Stadt landen, in der wir keinen Menschen kennen, dann konfrontiert uns das Leben mit dieser Erfahrung damit wir die Veränderung angehen. Es ist ein Ruf an uns genau dieses Thema anzuschauen und es zu lösen, damit wir nicht ein Leben lang mit einer traumatischen Wunde herumlaufen, die uns zu Opfern unserer Angst macht. Denn genau das macht sie, die Angst, sie macht uns zu Opfern, zu Abhängigen von der Aufmerksamkeit und Zuwendung anderer. 

Jede Form der Abhängigkeit ist Sucht und Sucht bedeutet, je länger sie andauert, Siechtum. Wir siechen dahin in einem Leben, das sich auf eine Substanz oder etwas ausrichtet, was wir ständig brauchen um etwas nicht aushalten zu müssen. Die Droge beherrscht unser Denken, unser Fühlen und bestimmt unsere Handlungen. „Wir geben zu, dass wir dem Alkohol gegenüber machtlos sind, und unser Leben nicht mehr meistern können.“ So lautet der erste Schritt im 12-Schritte-Programm der Gemeinschaft der Anonymen Alkoholiker, das in den dreißiger Jahren ausgearbeitet wurde. Die 12 Schritte enthalten ein lebensveränderndes Programm, das sich in den vergangenen Jahrzehnten bewährt hat und von vielen Fachkliniken als Grundlage für Therapiemaßnahmen übernommen wurde. Im Falle der Angst vor der Einsamkeit könnte es heißen: "Ich gebe zu, dass ich der Einsamkeit gegenüber machtlos bin und mein Leben ohne die Aufmerksamkeit und Zuwendung anderer nicht mehr meistern kann."

Wer sich vor der Einsamkeit fürchtet für den sind Menschen das Suchtmittel.  
Das klingt hart. Es ist beängstigend zu erkennen, dass ich es alleine mit mir nicht aushalte. Aber es ist die schmerzhafte Wahrheit. Aber wie alle Wahrheiten trägt sie das Potenzial in sich uns frei zu machen. Frei von der Abhängigkeit, die uns dazu bringt Dinge zu tun, die wir nur deshalb tun, weil wir keine anderen Strategien und Möglichkeiten haben. Wer Angst vor der Einsamkeit hat tut unendlich viel um nicht alleine sein zu müssen, er arrangiert sich mit destruktiven Beziehungen, die seinen Bedürfnissen nicht entsprechen nur um das Bedürfnis nicht allein sein zu müssen zu erfüllen. Er lässt Dinge sein, die er gerne tut, wenn der Andere sie nicht mit ihm teilen will, er tut alles für den Anderen nur um nicht allein gelassen zu werden. Er ist ein Spielball seiner Angst und macht sich so zum Spielball für andere und letztlich damit auch ziemlich unattraktiv. Er hat sein Leben nicht im Griff und legt es in fremde Hände um den Halt zu spüren, den er sich selbst nicht zu geben vermag. Mit anderen Worten: Dieser Mensch lebt fremdbestimmt von seiner Sucht.

Angst vor dem Alleinsein in ihrer extremen Ausprägung kann Menschen dazu bringen, andere dazu zu bringen ihnen die emotionale Sicherheit und die Garantie für den eigenen Wert zu liefern. 
Das führt dazu sich ständig mit Anerkennung von Außen zu füttern um zu bekommen, was man in sich selbst nicht spürt. Man kann sich nur annehmen, wenn andere einen annehmen, man kann sich nur mögen, wenn andere einen mögen, man ist stets bestrebt alles dafür zu tun eine heile Welt zu kreieren -  die heile Welt einer illusionistischen Kindheit, die so nicht war, die heile Welt der Sicherheit, die nur dann gefühlt wird, wenn man mit anderen zusammen sein kann. 

Das fehlendes Urvertrauen, das fehlende Vertrauen in sich selbst und in die eigene Kraft, in den eigenen Wert und den Wert, den man für andere Menschen hat – all das sind Themen, die die Angst vor der Einsamkeit ins ich trägt.
Fehlende Selbstständigkeit, fehlendes Selbstbewusstsein, ein Mangel an Selbstwertgefühl und ein Mangel an Erfahrung gelebter Selbstwirksamkeit, führen dann zu einer chronisch übertriebenen Rücksichtnahme auf andere. Sozialer Kontakt fungiert als Betäubung der inneren Leere und der Traurigkeit des von aller Welt verlassen seins. Immer muss sich die Angst vor dem Alleinsein die Aufmerksamkeit der oder des Anderen sicher wissen, sich bemuttern lassen oder selbst bemuttern um Liebe zu spüren und um Gehaltensein zu erfahren. Wer sich mit sich allein fürchtet erträgt es nicht unbeschäftigt zu sein. Er hat keine Mittel um seine innere Leere und seine ohnmächtige Langeweile selbst zu füllen, er ist ständig bestrebt von anderen beschäftigt und gefüllt zu werden, um der Angst, sich mit sich selbst beschäftigen müssen, zu entkommen. Aber nichts davon hilft dauerhaft, nichts trägt, das sich Füllen lassen ist ein Fass ohne Boden. 

Es gibt auch Menschen, die in die selbstgewählte Isolation gehen. Sie wählen den Schmerz der Einsamkeit selbst. 
Sie verlassen alles, weil sie sich verraten, enttäuscht und von der Welt und den Menschen verlassen fühlen, weil sie sich unverstanden und ungeliebt fühlen. Sie schließen die Tür zum Außen und ziehen sich in ihre eigene Welt zurück, in der Illusion, da drinnen sicher und unverletzbar zu sein. Diese Menschen haben in der Kindheit lernen müssen, dass Alleinsein der einzige Platz ist an dem man ihnen nichts Böses tut. Die selbstgewählte Einsamkeit ist für sie etwas zutiefst Vertrautes, ein Ort der Spendid Isolation, wo sie nichts und niemand mehr sie berühren oder verletzen kann, nur noch der eigene innere Schmerz, der dann zu einem Leiden am Leben selbst wird. 

Aber jetzt sind all diese Menschen erwachsen. Sie sind keine Opfer mehr von denen, die sie dazu gemacht haben. Sie sind fähig selbst wieder gut zu machen, was man ihnen angetan hat. Das bedeutet Arbeit und die geht langsam, aber es geht. Schritt für Schritt geht das.

Es gibt eine Menge hilfreiche Mittel und Wege um in sich selbst inneren Halt zu finden. Anstatt sich mit der Nähe und der Aufmerksamkeit durch andere zu nähren, kann man lernen, sich mit Aktivitäten, die Freude bereiten und in denen man sich selbst spüren kann, zu bereichern und selbst zu füllen. Malen und Lesen z.B., das bestätigen viele Studien werden als angstlindernd und stimmungsaufhellend empfunden. Das Ziel dieser Tätigkeiten für uns selbst ist es das aufzubauen, was dem, der Angst vor der Einsamkeit hat, fehlt: Liebevolle Nähe zu sich selbst, Selbstliebe und Selbstmitgefühl. 

Erfahrungsgemäß sind weitere hilfreiche Techniken, um Nähe zu sich selbst aufzubauen und sich innerlich zu stärken:
Die Schreibtherapie
Indem wir unsere seine Gedanken und Ängste aufschreiben kommen wir in tiefen Kontakt mit uns selbst.
Die Übung des Selbstmitgefühls
Dazu gibt es hilfreiche Bücher und CDs von Kristin Neff. Dazu gehört u. a. auch die Hand auf’s Herz-Methode: Man legt die Hände ruhig auf sein Herz während man die Augen schließt und ruhig atmet.
Der Dialog mit dem Inneren Kind
Es braucht Übung um einen emotionalen Zugang zu diesem verletzten Anteil unserer Persönlichkeit zu finden, um zu lernen ihm gut zuzusprechen und ihn zu beruhigen. Hat man diesen emotionalen Kontakt im Zuge der Inneren-Kind-Arbeit herstellen können, führt man den Dialog so als würde man zu einem verängstigten Kind sprechen. Man fragt es, was es gerade fühlt oder was es befürchtet, man nimmt seine Ängste und Gefühle ernst und erklärt ihm wie eine gute Mutter, dass man bei ihm ist, es lieb hat und für es sorgt. Aus all dem bekommen wir wertvolle Einblicke in die Ursachen und in die Dynamik der Angst vor dem Alleinsein, aus denen man wiederum Ansätze für hilfreiche und heilsame Verhaltensänderungen finden und erlernen kann. Wenn all das nicht wirkt – es ist kein Zeichen von Schwäche sich professionelle Hilfe zu holen.

Niemand ist für immer einsam. Aber die Angst es könnte immer so sein, führt dazu, dass es so sein könnte.


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