Freitag, 18. September 2015

Jämmerliche Schwäche




Ich habe für vieles Verständnis. Für sehr vieles, vor allem habe ich Verständnis für Menschen, hätte ich es nicht, könnte ich meine Arbeit nicht mit ganzem Herzen machen. Aber es gibt etwas, wofür mir das Verständnis fehlt, etwas, was mich immer wieder in eine ohnmächtige Wut versetzt. Das ist Schwäche. Ich meine nicht die Schwäche, die aus seelischen Problemen resultiert, ich meine die Schwäche der Jämmerlichkeit. Diese jämmerliche Schwäche von ansonsten klar denkenden, psychisch relativ gesunden Menschen oder jenen, die sich dafür halten, die Schwäche ihre ewig gleichen Versprechen sich selbst und anderen gegenüber nicht zu halten.

Diese Schwäche zeigt sich in den immer gleichen Versprechungen, die sie machen, der immer gleichen Einsicht, die sie vertönen, meist laut und mit dem Brustton der Überzeugung: Aber dieses Mal mache ich das! Aber sie machen es nicht. Sie beginnen mehr oder weniger lustlos mit dem was sie jetzt endlich machen wollen, halten das Wollen ein zwei Tage durch, bereits am dritten Tag schwächelt das Wollen und am vierten Tag übernimmt das die Regie, was schon immer da war: leere Versprechen, sich selbst gegenüber.

Diese Menschen sind auf eine Weise schwach, die sie selbst immer wieder neu produzieren, aus sich selbst heraus. Sie finden tausend Entschuldigungen für sich selbst, am beliebtesten dabei ist die beschissene Kindheit, die sie hatten. Hatten, wohlgemerkt, denn auch eine beschissene Kindheit ist keine Rechtfertigung dafür später ein beschissenes Erwachsenenleben zu führen. Ich selbst bin das beste Beispiel dafür, meine Kindheit war ziemlich beschissen und wenn ich geglaubt hätte, was man mir über mich sagte, wäre ich vor Schuld und Scham mit fünf Jahren in den Boden versunken und das auf Nimmerwiedersehn. Aber jeder Mensch kann an sich arbeiten und viele Menschen tun das. Ich habe ein Herz für diese Menschen, ich hab eine Herz für die, die alles ihnen mögliche tun um ihre gebrochenen Flügel und ihre verwundeten Seelen zu heilen. Und die, die das wollen schaffen es auch, zeigt meine Erfahrung.

Ich weiß, man kann nicht alles wollen wollen, wenn etwas Unbewusstes in einem selbst das Wollen verhindert, ich weiß aber auch, dass ein Wille erlernbar ist.

Die jämmerliche Schwäche aber will im Grunde nicht und sie will auch nicht lernen. Sie will jammern. Der sekundäre Gewinn der Schwäche erscheint ihr um einiges profitabler als Stärke zu gewinnen. Die tiefe innere Überzeugung dieser Menschen ist: Wenn ich schwach bin muss ich keine Verantwortung übernehmen, nicht für mich selbst und in der Folge nicht für mein Leben und nicht für die, die mein Leben teilen. Diese Schwäche ist aus Bedürftigkeit geboren, einer kindlichen Bedürftigkeit, die damals ihre absolute Berechtigung hatte, aber nicht erfüllt wurde und der daraus resultierenden Wut, sie nicht erfüllt bekommen zu haben. Es ist kindlicher Trotz, eine ewig währende Verweigerung den lieblosen Eltern gegenüber, die das aber längst nicht mehr interressiert, egal ob sie tot oder noch lebendig sind. Der jämmerlich Schwache straft sie im Nachhinein ab. Glaubt er, aber in Wahrheit straft er sich nur selbst. Er füttert etwas Ungutes indem er unbewusst Rache will. Blind für sein Tun füttert er etwas, was ihn allmählich zerstört, er verliert seine Würde im steten Akt dieser Zerstörung. Er baut sein Selbstvertrauen nach und nach und immer wieder ab, das wonach er sich im Grunde eigentlich sehnt. Er nimmt sich immer wieder Dinge vor und tut sie nicht.
Dabei ignoriert er, dass man sich nur die Dinge vornehmen sollte, die man dann auch wirklich tut.
All die Dinge, die wir uns immer wieder vornehmen und nicht tun, schwächen unser Selbstvertrauen. Und genau das macht der jämmerlich Schwache, denn seine Bedürftigkeit will das ums Verrecken nicht zulassen. Dabei übersieht er - Bedüftigkeit ist unattraktiv. Sie runiert unsere ganze Ausstrahlung. Sie führt dazu, dass andere uns als Bittsteller sehen. Wenn wir die Bestätigung anderer brauchen, betteln wir um ihre Aufmerksamkeit, wir betteln darum, dass sie für uns sorgen, stellvetretend für die Eltern, die das damals nicht taten, aus welchem Grund auch immer.
Das schwächt, einen selbst und jegliche zwischenmenschliche Beziehung. Selbstvertrauen bedeutet schließlich, sich auf sich verlassen zu können, es bedeutet das zu tun, was wir entschieden haben. Und nichts schwächt das eigene Selbstvertrauen so sehr, wie leere Worte, denen keine Taten folgen. Es schwächt zudem das Vertrauen anderer in uns.

Der jämmerliche Schwache ist kein Vorbild, weder für sich selbst, noch für seine Kinder, wenn er welche hat. Ich kenne Mütter, die ihren Kindern Ohren und Seelen volljammern, die rücksichtslos nach ihrer eigenen Bedürftigkeit agieren und dafür sogar ihre Kinder missbrauchen. Ich kenne Väter, die von ihren Söhnen gute Noten fordern und tausend andere Erwartungen wie sie zu sein haben, an sie stellen und selbst nicht viel auf die Reihe kriegen oder sich sogar langsam zu Tode saufen und dann immer noch lallen: Zeig mir erst mal, dass du was auf die Reihe kriegst, dann hab ich Achtung vor dir! Ich kenne aber auch Menschen, wie eine Klientin, die ein schweres Leid trägt und im Grunde wirklich bedürftig ist und zu mir sagt: Wissen Sie, egal was ist, das Wertvollste was ich meinen Kindern vorleben kann sind Anstand und Würde. Diese Frau ist stark in ihrer Schwäche.
Davon kann der jämmerlich Schwache nicht einmal träumen.

6 Kommentare:

  1. Ich denke, dass es immer eine Ursache gibt und wahrscheinlich niemand wirklich freiwillig in der Sch....e sitzen bleiben würde, aber aus irgendwelchen, für ihn/sie nicht greifbaren Gründen nicht die Kraft aufbringt etwas grundlegend zu ändern. Vielleicht schlägt bei ihm/ihr die ganze Wucht mehrerer Generationen durch, die immer weitergeschoben und nie aufgearbeitet haben und hier fehlt der Zugang Zusammenhänge zu begreifen und an der richtigen Stelle anzusetzen. Vieles Traumatisches ist in der Körpererinnerung verankert und ist auf der intellektuellen und emotionalen Ebene allein nicht zu lösen, obschon dort gelöst einiges bewirken kann, aber eben nicht alles. Es gibt ganzheitliche Ansätze, die mit dem Körperbewusstsein zusammenarbeiten (mit kinesiologischen Tests) und aufspüren, was sich im Körperlichen festgesetzt hat und dort gelöst werden muss, um eine tiefgreifende Änderung zu bewirken. Dazu kommen die vielfältigen Traumata, die transgenerational von den Weltkriegen einschließlich Vertreibung und Fluchterfahrungen herrühren. In manchen Fällen muss breitbandig therapeutisch gearbeitet werden und es gleicht der Suche nach einer Stecknadel im Heuhaufen. Das ist keine a priori Entschuldigung für Menschen, die sich in Selbstmitleid retten, aber ein Versuch eines Verstehens, weil ich mich weigere daran zu glauben, dass Menschen freiwillig unglücklich sind...

    Liebe Grüße
    Elisabeth

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  2. Ich möchte dazu was schreiben. Ich bin schwer traumatisiert und habe eine dissoziative Identitätsstörung. Ich fühle mich mit dem BlogArtikel irgendwie völlig missverstanden.
    Warum?
    Ich selbst habe lange in der, wie sie es nennen, "jämmerlichen schwäche" verharrt. Aber nicht aus dem Grunde, meine Eltern zu strafen, mich zu strafen, nicht aus trotz, Verweigerung oder sonstwas. Es war angst, panische angst vor dem, was auf mich zu kommt. Was auf mich zukommt, wenn ich nach innen schaue, wahrnehme, was da ist und warum wir so gespalten sind. Es war ein versuch des aufschiebens, aus altbekannten Strukturen auszubrechen, diverse Kontakte zu beenden, einen ausstieg aus dem Kult zu wagen, mich meiner Vergangenheit zu stellen. Ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte. An allen Ecken wurde gezogen, von Tätern, vor denen panische angst herrschte und vor der Therapie, dem wahrhaben wollen. Ich habe gehofft, ich kann einfach verdrängen.... Ich wollte nichts mehr fühlen und gleichzeitig fühlte ich zuviel. Wollen Sie nun immer noch sagen, dass jämmerlich sein eine Schwäche ist? Kann es sein, dass sie es sich selbst nicht zugestehen zu weinen? Oftmals sind Dinge, die mich selbst aufregen meine eigenen "Schatten"
    Leider kann ich hier nicht mit Profil oder so schreiben, da ich keins habe.
    Liebe grüße c.

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  3. Ich möchte Ihnen dazu gerne folgendes sagen: wenn sie meinen blog lesen, wissen sie, dass ich mit diesem artikel genau jene menschen nicht meine, die schwer traumatisiert sind, sondern ich meine diese schwäche: zitat: "Diese jämmerliche Schwäche von ansonsten klar denkenden, psychisch relativ gesunden Menschen oder jenen, die sich dafür halten, die Schwäche ihre ewig gleichen Versprechen sich selbst und anderen gegenüber nicht zu halten."

    ich selbst bin traumatisiert und ich weiß genau wie es sich anfühlt, liebe c. und ja, ich weinen.

    alles gute für sie!

    herzlich,
    angelika

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    1. Da muss ich Ihnen allerdings zustimmen. Ich hatte bis vor kurzem eine Freundin, der ging es nie gut. Immer wenn man sie fragte, wie es ihr geht, ging es ihr schlecht. Sowas regt mich auch auf. Ich habe dann auch den Kontakt abgebrochen. Denn "nur" schlecht gehen über zwei Jahre und nie was positives erleben, geht in meinen Augen nicht. Bei solchen habe ich dann auch das Gefühl, sie wollen, oder können nicht.
      Ihnen auch alles gute :-)
      Lg c.

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