Dienstag, 22. September 2015

Signalrot




Ihr Lippenstift war rot. Signalrot. Er gab ihr Schutz der rote Mund, wie die Kriegsbemalung des Indianers Mut, den sie brauchte um trotz der Angst zu leben. Manchmal wünschte sie sich, sie hätte diesen Mund schon rot malen können als sie ein Mädchen war. Signalrot als Zeichen für die unausgesprochene Wut gegen die Demütigungen des Vaters. Schweigend und fest zusammengepresst, aber signalgebendes Nein gegen das Böse in seinen Worten, das Böse gegen sie Gewandte, das keine Widerrede duldete. Signalrote stumme Widerrede über verschlossene Lippen gemalt, die aushalten hätte helfen können gegen das Unaushaltbare. Es war vorbei, es war alt. Sie wusste es und dennoch, etwas davon war nicht vorbei, wollte nicht vorbei gehen.

Da war diese schmale Spalt zwischen den Lippen, den das Rot nicht färben konnte. Dieser schmale Spalt durch den der gedrungen war, der das Alte aufriss, sie mit Wucht nach hinten warf in die kindliche Ohnmacht. In diesem Moment begriff sie nicht, konnte nichts dagegen setzen, in die alte Ohmacht geworfen war sie Kind. Sie hätte ihm über das Signalrot sonst Worte entgegenwerfen können, die erwachsen waren und abgrenzend. Aber sie klebte fest in der Vergangenheit und das Jetzt war das Gestern und alles eins und nur das alte Gefühl der Scham, nicht zu sein, wie sie sein hätte sollen in den Augen des Vaters, fühlbar. Besser, ein besseres Kind, ein Kind das am Besten gar nicht war im väterlichen Leben. Dieses im Jetzt Gesagte: "Haha, du hast Lippenstift auf der Backe, du hast wohl den Mund zu weit aufgerissen!" traf wie ein Hieb die Erinnerung. Und sie, fassungslos über sich selbst und stumm. Er, mit aufgerissenem Mund, eine Maske der Niedertracht, hatte an des Vaters statt zugeschlagen.


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