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Die Arbeit mit Opfern von
seelischer und körperlicher Gewalt in Beziehungen ist eine enorme eine Herausforderung für Helfer und Opfer. Sie kann nur gelingen, wenn man
berücksichtigt, dass das Opfer unter dem fast tranceartigen Einfluss des
Aggressors steht und dieser tief in die Psyche eingedrungene Einfluss, auch
wenn die Konstellation beendet ist, über einen langen Zeitraum bestehen und
damit nachhaltig wirksam bleiben kann.
Alles was der Täter dem
Opfer angetan hat, ob seelische oder körperliche Gewalt, wird vom Opfer
verinnerlicht und wie alles tief Verinnerlichte widersetzt es sich zunächst der
Befreiung. Das Opfer braucht viel Zeit um seine Wahrnehmung zu verändern,
es braucht Zeit, bis ihm das, was es für normal hielt, unerträglich wird und
als nicht normal fassbar wird. Damit ein Mensch sich aus einer Opfer-Täter
Konstellation befreien kann, muss er verstehen, wie er überhaupt in die Falle
der Gewaltspirale in der Beziehung treten konnte.
Der beste Selbstschutz ist
das Begreifen
Opfer von seelischer oder
körperlicher Gewalt haben ihre Grenzen meist schon sehr früh verloren oder konnten sie niemals ausbilden. Sie
können einfach nicht erkennen, dass das, was ihnen wiederfährt Böses ist. Es ist ein
langer Weg, um zu verinnerlichen, dass jede Form der Gewalt gegen die eigene
Person, nicht normal ist. Opfer von Missbrauch und Gewalt brauchen einen
geschützten Raum, sie brauchen wohlwollende Hilfe und empathisches Zuhören, um
ihre Erfahrungen und Gefühle in Worte zu fassen. Das Leid muss Ausdruck finden.
Das Opfer muss vor einem Zeugen zu sprechen beginnen, es muss die Gewalterfahrung
erkennen und sie benennen, damit sie kritisch mit psychologischer
Hilfe beleuchtet und verarbeitet werden kann.
Der Verantwortung entbinden
Das Opfer muss sich bewusst werden, dass seine Schuldgefühle oder der Glaube selbst der Verursacher des erfahrenen Leids zu sein, keinen Sinn machen und nicht hilfreich sind.
Es konnte nicht anders reagieren(sonst hätte es das getan), weil es
fremdbestimmt war, man muss ihm begreiflich machen, dass die Ohnmacht und die Hilflosigkeit,
in der es sich befindet, nicht verdient oder gar pathologisch ist, sondern das
Resultat vieler verschiedener Faktoren, wozu besonders die eigene Biografie
gehört.
Der Blick in die
Vergangenheit
Wenn dem Opfer der
Missbrauch bewusst ist und es begonnen hat dem Täter Grenzen zu setzen oder sich von ihm zu trennen, ist es
von großer Bedeutung die kindliche Vergangenheit anzuschauen um den Riss in der
Seele zu finden, durch den der Täter eindringen konnte. Erst dann wird es
möglich aufzudecken, was die Opferrolle bei allem Leid an unbewusster Faszination in sich
trägt.
Man muss vorsichtig sein, zu
behaupten, das Opfer schaffe sich den Täter selbst. Opfer und Täter brauchen und bedingen sich
gegenseitig: Ein Opfer kann nicht ohne einen Aggressor existieren und ein
Aggressor nicht ohne ein Opfer. Ein potentiell gewalttätiger
Mensch findet beim Anderen schnell die wunde Stelle, an der er ansetzen kann,
um ihn zu erniedrigen, zu demütigen, zu missbrauchen oder sogar körperlich zu
verletzen. Dass ihm das gelingt ist nicht allein in der psychischen Struktur
des Opfers begründet, sondern in der Struktur des Täters und in der Struktur der Beziehung, die sich in Gewaltbeziehungen
schrittweise entwickelt.
Das Profil des Täters
analysieren
Daher ist ein Teil der
Verarbeitung die Auseinandersetzung mit dem Täter und seiner psychischen
Struktur. Geschieht das nicht, besteht die Gefahr, dass sich ein ehemaliges
Opfer wieder genau solchen Personen zuwendet, die es gewalttätig
behandeln. Zudem wirkt so die Erkenntnis, dass nicht sein Verhalten oder sein Sosein die Ursache
der Gewalt ist, sondern der „kranke“ Charakter des Täters, der instinktiv die
Schwächen des Opfers erkennt, es manipuliert und dann misshandelt und missbraucht.
Den Selbstwert stärken
Nach der Beendigung der
Opfer-Täter Konstellation fallen Opfer oft in einen Zustand von Angst und/oder
Depression, weil sie begreifen, was man ihnen angetan hat und was sie sich haben antun lassen. Sie fühlen eine innere
Leere oder sind ständig in innerer Unruhe und Panikgefühlen gefangen und sehen keine Perspektive für ein normales Leben. Sie leiden unter Schuldgefühlen, glauben sogar nicht selten, es verdient zu haben, dass man sie schlecht behandelt und
werten sich damit selbst ab. Um diesem Zustand zu entkommen
ist es lebensnotwendig, die destruktiven inneren Blockaden aufzulösen und den
Selbstwert der Betroffenen zu stärken, mit dem Ziel, dass der betroffene Mensch sich der verschütteten Ressourcen und
Fähigkeiten, die er besitzt, bewusst wird und sie zu nutzen lernt.
Dieser Prozess gleicht dem
Schürfen nach Gold in einem dunklen Erdloch. Viele Opfer von Gewalt sehen nicht
mehr, dass sie auch neben der Opferrolle im Leben noch etwas geleistet haben,
sie haben ihren Job weiter gemacht, sich um die Kinder gekümmert etc. Sie sind
nicht nur Opfer, sie haben durchaus andere Teile der Persönlichkeit, die fähig
sind selbstständig und klar zu denken und zu handeln. Das zu erkennen ist für
viele Opfer neu und hilfreich. Auch Menschen, die in der
Kindheit missbraucht und misshandelt wurden, haben das Schreckliche „überlebt“, sie verfügen also
über Ressourcen. Dennoch hinterlassen diese kindlichen Traumata lebenslange Narben
in der Seele, die aber weniger schmerzen, wenn es gelingt die eigene Biografie
zu akzeptieren.
Abgrenzung
Abgrenzung heißt, zu lernen
in einer Situation NEIN zu sagen, die unangenehm ist und die man nicht zulassen
will. Abgrenzung heißt, sich vor fremden Einflüssen zu schützen.
Der Andere spürt, dass hier
klare Grenzen gesetzt werden, auch wenn er versuchen wird diese zu
durchbrechen. Aber entscheidend ist, wer NEIN sagt, wer – ICH MACHE DAS NICHT
MEHR MIT, ICH STEHE DAFÜR NICHT MEHR ZUR VERFÜGUNG – sagt, kommt, je öfter er
das tut, langsam wieder in die Macht über sich selbst. Er lernt wieder für sich
selbst zu entscheiden und die Verantwortung für seine Bedürfnisse zu
übernehmen.
Es ist ein sehr langer und schmerzhafter Weg aus der Opferrolle auszusteigen, denn man
darf dabei nicht unterschätzen, dass
Beziehungen in denen Missbrauch und Gewalt herrschen, dependende Beziehungen
sind. Es ist wie mit einer Sucht, die, so schrecklich ihre Auswirkungen sind,
dennoch Entzugserscheinungen mit sich bringt.
Jede Form der Gewalterfahrung in der Beziehung ist eine traumatische Erfahrung und ihre Bewältigung ist ein hochkomplexes Unterfangen. Oft bleiben auch nach der Bewältigungsarbeit Gefühle von Angst und Ohnmacht Teil des Alltags. Sie zu überwinden gelingt nicht immer, aber mit diesen Gefühlen leben zu lernen, kann gelingen.
Weiterführende Literatur: Abschied von der Opferrolle, Verena Kast
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