Montag, 31. Oktober 2011

Die Elektrische

mike saß im hinterzimmer seiner stammkneipe. da saß er immer, hinten, wo die anderen karten spielten, wo es leiser war als im vorderen raum, wo ständig die musikbox dröhnte. meistens spielten irgendwelche idioten die alten hits von udo lindenberg. die konnte er nicht ausstehen, bis auf den tod nicht, aber eigentlich konnte er udo nicht ausstehen. vielleicht weil der das gleiche problem hatte wie mike, aber weniger probleme durch das problem. der udo soff und verdiente noch geld dabei. scheiss egal, mit und ohne die sauferei, mike für seinen teil, hatte es verkackt.

gelangweilt sah den anderen beim spiel zu. er zog an der elektrozigarette, die er sich am ersten gekauft hatte, nachdem die hartz IV kohle ausnahmsweise mal pünktlich auf dem konto gewesen war. er solle sich gefälligst das rauchen abgewöhnen, hatte der typ vom amt gesagt, als er vorschuss wollte, letztens, als er am zwanzigsten keinen cent mehr in der tasche hatte und die zehn euro beim arzt fürs neue quartal zahlen sollte und nicht behandelt wurde, weil er sie nicht zahlen konnte. der zahn tat immer noch weh, der musste raus. na ja, jetzt hatte er wieder geld und der zahn konnte endlich raus. der typ vom amt war sowieso ein arschloch, den hätte er gar nicht fragen sollen, er hatte eh gewusst, dass der nix machen wollte, ob er gekonnt hätte oder nicht.

scheiss drauf, aber in einer sache hatte der typ recht, die qualmerei kostete geld, und geld hatte mike nun mal nicht. schon lange nicht mehr. es kratzte ihn im allgemeinen nicht sonderlich, erstens gewöhnte man sich an alles und zweitens brauchte er nicht viel. er tat ja sowieso nichts ausser rumsitzen zuhause und in der kneipe, ab fünf, wenn ihm die decke seiner einzimmerbude auf den kopf fiel und er raus musste. er saß dann im hinterzimmer, bis nach mitternacht, sah den anderen beim kartenspielen zu und trank gemütlich seine zwei bierchen und am schluss den korn zum besser einschlafen.

mike saugte an seiner elektrozigarette und blies den dampf vor sich her, der genauso echt aussah wie der qualm einer richtigen zigarette, aber anders schmeckte. stinken tat das ding nicht, aber die saugerei war irgendwie unbefriedigend, weil er ziehen konnte so oft er wollte, solange bis der akku leer war und das dauerte. das ding nahm kein ende wie eine normale kippe und im aschenbecher ausdrücken konnte man es auch nicht. das war wie autofahren mit angezogener handbremse.


autofahren mit angezogener handbremse, das hatte er als kind machen dürfen bei seinem alten, in dem vw käfer, der ewig im hof rumstand, weil nie geld für benzin im haus war. sein alter war an sonntagen manchmal mit ihm nach unten gegangen und hatte ihn auf den schoß genommen, ihn das lenkrad greifen lassen. mike hatte brumm brumm gelallt und sein alter hatte gelacht, was selten genug vorkam. scheiss drauf, eigentlich war nie kohle in seinem leben gewesen. er dachte wieder an udo, der mit seinem lallen, das sich anhörte als habe er mehr als zwei bierchen intus, die kohle nur so scheffelte.

verkackt, schon bei der geburt verkackt, zielsicher die falschen erzeuger ausgesucht. seine alte hatte sich zwar mühe gegeben, ihn nach der putzerei in der klinik, wo sie schichtdienst schob und oft erst spät in der nacht heim kam, trotzdem in ihr bett kriechen lassen wenn er schlecht geträumt hatte. sie hatte ihm was vorgesungen bis er wieder pennen konnte. die war schon in ordnung gewesen, seine alte. alt war sie nicht geworden, zu viel geschuftet in ihrem kurzen leben, da wird man nicht alt bei, der krebs hatte sie mit fünfzig dahingerafft. sein alter hatte es an der leber, saß seit dem tod seiner frau nur noch zuhause rum, glotzte rund um die uhr fernsehen und trank bier. wie mike eben. das musste er von seinem alten haben, der apfel fällt nicht weit vom stamm, davon war mike überzeugt, das leben hatte ihn überzeugt und das leben musste recht haben, schließlich war es ja seins.

er rief leni an den tisch und bestellte den korn. es war fünf vor zwölf. spät genug und eigentlich zu spät um noch irgendwas zu verhexen, ob jetzt oder im leben. nicht, dass er das nicht versucht hatte, er hatte es versucht, aber es hatte nicht funktioniert mit dem versuchen. er hatte depressionen und war nicht belastbar. egal wo er einen job gemacht hatte, nach einiger zeit waren die depris da und er tot, innen tot. tote gehen nicht malochen, weder auf den bau noch sonstwohin. der bau war sowieso nie seins gewesen, musik hatte er machen wollen, aber da war nie geld um ein instrument zu lernen.

eigentlich war es in ordnung wie es war. er hatte seine ruhe und seine depris konnten jetzt kommen wann sie wollten, die störten keinen mehr seit er stütze bekam. hat alles vor- und nachteile im leben, hatte seine alte gesagt. recht hatte sie und vor allem endlich ihre ruhe. mike saugte an der elektrozigarette. leni kam mit dem korn. "hey alter, mach mal die kippe aus, mensch, is rauchverbot hier, weißte doch."

mike machte einen tiefen zug, dass es nur so qualmte. "hey, checkste das nich, mach aus, sofort!", fuhr leni ihn an," aber dalli!"

er spürte wie das lachen aus seinem bauch kroch, über den magen nach oben in die speiseröhre bis in die kehle, über die zunge in den mund und dann platzte es aus ihm heraus das lachen und leni war ganz still und sah ihn an, als wäre er der teufel persönlich und als das lachen endlich aufhörte hörte er sich sagen: "mensch du dumme nuss, das is ne elekrische und weißte was, ich rauche die, weil ich es will und du kannst da gar nix machen, ob du willst oder nicht!