Mittwoch, 5. Oktober 2011

afghanistan

mittwochabend. ich bin für meine redaktion im kabarett im mainzer unterhaus.
am eingang hole ich mir die pressekarte, neben mir steht eine ältere frau und verzieht das gesicht. schade, ich dachte, die wird nicht mehr abgeholt, sagt sie, und dass alle karten ausverkauft sind und sie jetzt wohl pech hat und dass ich bloß was gutes über den kabarettisten schreiben soll, den findet sie nämlich wunderbar und wenn ich das nicht täte, was gutes schreiben, bekäme ich es mit ihr zu tun. ich denke kurz - bad vibrations, vergesse den gedanken aber gleich wieder und gehe in die vorstellung.

der saal ist zum platzen voll. die stühle stehen so eng aneinander, dass ich unwillkürlich von allen seiten mit meinen nachbarn in fast schon körperliche berührung komme. das ist mir unangenehm, ich fühle mich eingepfercht, ich mag nicht berührt werden von denen, die ich nicht kenne. an diesem abend habe ich keine wahl. ich verdiene mein geld mit schreiben. heißt, gehen geht nicht.

der kabarettist kommt auf die bühne, das publikum applaudiert frenetisch schon bevor der mann den mund aufmacht. ich denke, der muss ja was ganz tolles auf lager haben, wegen der vorschusslorbeeren. ich bin gespannt.

die leute kennen den mann aus dem fernsehen. ich weiß es, weil es in der pressemitteilung steht. der ist also im fernsehen, ich habe ihn aber im fernsehen nie gesehen, weil ich nicht fernsehe, jedenfalls sehr selten und dann schaue ich mir einen guten film an und mache den kasten danach wieder aus.

also gut, denke ich, der ist aus dem fernsehen, daher die vorschusslorbeeeren. für die leute ist das etwas besonderes, wenn einer im fernsehen ist und aus dem fernsehen herauskommt. ein promi zum anfassen, das stehen viele leute drauf. warum das so ist habe ich noch nie verstanden.

der mann auf der bühne macht den mund auf und entlädt einen wortschwall via publikum. ich habe schwierigkeiten ihn zu verstehen. der mann redet in mundart, hessisch vom derbsten. ich gebe mir mühe zu ihn verstehen. die leute lachen nach jedem satz, das macht es mir nicht leichter den mann mit dem derben hessisch zu verstehen.

das ist anstrengend. ich fühle mich immer eingepferchter. die luft ist nach einer viertelstunde zum schneiden dick. menschengeruch breitet sich aus, wird zu einem dicken dunst, der mir das atmen schwer macht. eine mischung aus saurem schweiß von links und süßem parfüm von rechts steigt mir in die nase. mir wird leicht übel.

der typ auf der bühne wechselt die jacke. er schlüpft in die rolle eines bundeswehroffiziers, stellt sich nun, in hamburger dialekt, als oberst soundso vor.

ich verstehe ihn jetzt. ich verstehe jedes wort.

ich traue meinen ohren nicht, der redet vom krieg in afghanistan und den bundeswehrsoldaten, die dort sterben, von fremd- und eigenblutvergießen und warum das fremdblutvergießen sinnvoller ist für die deutsche republik und ihre soldaten da unten in afghanistan. die leute lachen, der saal dröhnt vor lachen. die luft ist zum schneiden dick.

ich kann nicht lachen. wer kann lachen, wenn es um blutvergießen geht?

die leute können lachen.

ich denke, wie schrecklich das ist, dieses lachen und wie gut es ist, dass das jetzt keiner hört von den soldaten in afghanistan und keiner von den familien der soldaten in afghanistan, keine der familien von den toten und den noch lebendigen soldaten in afghanistan.



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