Freitag, 4. Juli 2025

Aus der Praxis: Die Psychologie der Angst vor Veränderungen

 



Wenn wir mit unserer Situation unzufrieden sind, sei es im Beruf, in der Beziehung, mit unserer Umgebung, unserer Gesundheit, unserem Lebenssinn oder weil wir das Gefühl haben zu stagnieren, kurz – wenn wir spüren so wie es ist, ist es nicht mehr gut, kommt der Wunsch nach Veränderung. Wir sagen: Wir sind bereit und dann, wenn wir ins Handeln kommen müssen, kommt Angst. Wir fürchten die ersten Schritte, wir haben Angst vor dem, was uns erwartet.
Die Angst vor Veränderungen ist tief in der menschlichen Natur verwurzelt. Ein zentraler Aspekt der Angst vor Veränderungen ist die Ungewissheit. 
 
Gemäß der Uncertainty Reduction Theory Charles Berger und Richard Calabrese, die in den 1970er Jahren entwickelt wurde, suchen wir Menschen nach Vorhersehbarkeit und Stabilität im Leben. Jede Veränderung, ob gewollt oder ungewollt, bringt die vertraute Stabilität ins Wanken. Sie bringt unvorhersehbare Ergebnisse mit sich. Auch wenn wir eine bestimmte Entscheidung treffen, die wir für notwendig halten - wir wissen nicht was kommt, wir haben keine Kontrolle über das Ergebnis und den Ausgang und das kann zu erheblichem emotionalem Stress führen. In der Psychologie gilt das Bedürfnis nach Kontrolle als grundlegendes menschliches Bedürfnis. Wenn wir das Gefühl haben, die Kontrolle über unsere Umgebung, unser Leben oder unser Schicksal zu verlieren, empfinden wir Angst. Wir Menschen haben ein natürliches Bedürfnis, Unsicherheit zu reduzieren, unsere soziale Umgebung zu verstehen und Vorhersagen über das Verhalten anderer zu treffen. Je größer das Gefühl von Kontrolle desto sicherer fühlen wir uns. Je geringer das Gefühl von Kontrolle, desto unsicher und ängstlicher fühlen wir uns. Und umgekehrt: je größer die Angst, desto größer das Bedürfnis nach Kontrolle. Veränderung geschieht, sie ist ein Prozess der nicht unserer Kontrolle unterliegt. Wir müssen uns darauf einlassen und darauf vertrauen, dass es gut geht. Und hier gilt – je weniger Vertrauen ein Mensch hat, desto größer ist die Angst und das Bedürfnis nach Kontrolle.
 
Ein weiterer Grund für die Angst vor Veränderung ist die emotionale Bindung an bestehende Strukturen, Menschen, Gewohnheiten oder Routinen. Die Bindungstheorie besagt, dass sichere Bindungen einen essentiellen Einfluss auf die emotionale Entwicklung und das Wohlbefinden eines Individuums haben. Bei Veränderungen kann die Angst vor dem Verlust dieser Bindungen zu emotionalem Stress führen. Daher fürchten viele Menschen, dass sie durch Veränderungen vertraute Beziehungen verlieren könnten.
 
Kognitive Verzerrungen, wie die Negativitätsverzerrung – die Tendenz, negative Informationen stärker zu gewichten als positive – spielen bei der Angst vor Veränderung ebenfalls eine Rolle. Diese Verzerrungen können dazu führen, dass wir uns auf die potenziellen negativen Konsequenzen einer Veränderung fokussieren, anstatt die Vorteile zu erkennen. Dieser Mechanismus ist eng mit der Vermeidungstendenz verbunden, einem Abwehrmechanismus, der dazu führt, unangenehme Situationen oder Entscheidungen zu vermeiden.
 
Veränderung geht einher mit der Frage des freien Willens.
Können wir wollen, was wir sollen?" ist eine zentrale Frage der Kantischen Ethik. Der amerikanische Neurobiologe Robert Sapolsky behauptet in seinem Buch „Determined“, dass es keinen freien Willen gibt. Er sagt, dass es kein einziges Verhalten gibt, das völlig unabhängig ist von jeglichem Einfluss durch Genetik, Hormone, sozioökonomische Bedingungen, Umwelt und der persönliche Geschichte eines Menschen und dass man, wenn es um den freien Wille geht, die Verknüpfungen zwischen all diesen Daten berücksichtigen muss. 
Weiter behauptet er, dass der freie Wille nicht aus dem Nichts entsteht, sondern dass es sich vielmehr um Feedback-Schleifen handelt, um Rückkopplungsmechanismen im Hirn, die eine Form der metakognitiven Überlegung und letztendlich des Willens ermöglichen und dass Menschen zudem biologisch gesehen unterschiedliche Gehirne haben, um auf Metakognitionen einzuwirken. Kurz: Je nachdem wir unser Gehirn funktioniert, können wir mehr oder weniger wollen was wir wollen.
 
Soziale Normen und Erwartungen haben ebenfalls einen erheblichen Einfluss auf die individuelle Bereitschaft zur Veränderung. Viele von uns sind bestrebt, sich den Erwartungen ihres Umfelds, ihrer Freunde, der Familie und der Gesellschaft anzupassen. Diese Dynamik wird durch den „Bandwagon-Effekt“ verstärkt, der besagt, dass die meisten Menschen vornehmlich Entscheidungen im Einklang mit dem Verhalten der Mehrheit treffen, um Akzeptanz und Zugehörigkeit zu finden. Hier kommt die Angst vor Zurückweisung, Ablehnung oder sozialer Ausgrenzung ins Spiel. 
 
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, heißt es, und da ist viel dran. Uns allen fällt es schwer Gewohnheiten abzulegen, und das aus mehreren Gründen:
Gewohnheiten sind im Gehirn fest verankert. Sie werden durch wiederholtes Verhalten verstärkt und bilden neuronale Pfade, die leicht aktiviert werden, was zur Automatisierung führt. Gewohnheiten bieten Sicherheit und Komfort. Veränderungen dagegen erfordern Anstrengung und sind mit Unsicherheit und emotionalem Stress verbunden. Um das zu vermeiden bleiben viele lieber in ihrer Komfortzone, die ist vertraut und bequem, auch wenn sie unheilsam oder selbstschädigend ist.
Eine wesentliche Rolle spielt hier das Belohnungssystem. Gewohnheiten sind häufig mit positiven Gefühlen oder Belohnungen verbunden, was es schwierig macht, sie aufzugeben, selbst wenn sie zerstörerisch sind, wie z.B. alle Arten von Süchten.
Zudem sind unsere Gewohnheiten Teil unseres Selbstbildes.
Die Änderung einer Gewohnheit kann als Bedrohung für die eigene Identität empfunden werden, was den Prozess zusätzlich erschwert. Gewohnheiten können auch durch das soziale Umfeld beeinflusst werden. Wenn Freunde oder Familie bestimmte Gewohnheiten pflegen, ist es schwierig, sich davon zu distanzieren oder zu lösen.
Das Aufgeben von Gewohnheiten erfordert zudem neue Fähigkeiten und Strategien. Der Lernprozess kann anstrengend und herausfordernd sein, er erfordert Beständigkeit und Geduld und eine gewisse Frustrationstoleranz, wenn es nicht auf Anhieb klappt, daher geben die meisten auf.
 
Die Angst vor Veränderungen ist ein komplexes Phänomen, das tief in psychologischen Mechanismen und menschlichen Bedürfnissen verwurzelt ist. Wenn uns Veränderung nicht gelingt, kann das viele Ursachen haben. Dann macht es Sinn herauszufinden, was uns maßgeblich daran hindert. Indem wir uns unserer Ängste und Blockaden bewusst werden und diese hinterfragen, können wir lernen, Veränderungen beewusst anzugehen, im Wissen: Veränderung ist für unser Wachstum notwendig.
 
Meine Erfahrung sagt:
Menschen ändern sich nur dann, wenn sie sich ändern wollen,
wenn die Bereitschaft sich ändern zu wollen hoch ist und wenn sie ein Ziel vor Augen haben, dass ihnen Belohnung verspricht.
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen