Foto: A.Wende
Alle Jahre wieder kommt das Christuskind.
Weihnachten naht und die Medien reproduzieren am laufenden Band idealisierte Bilder von Gemütlichkeit und Besinnlichkeit, von leuchtenden Kinderaugen und glücklichen Familien unter dem prachtvoll leuchtenden Weihnachtsbaum. Harmonie und Seligkeit pur, das ist das Bild von Weihnachten, das sich in unser kollektives Gedächtnis eingeprägt hat. Dieses idealisierte Bild von Weihnachten wird uns bereits in der Kindheit suggeriert, die Realität sieht bei der Mehrzahl der Menschen anders aus, aber das blenden viele aus.
In den Geschäften, im Radio und auf den Weihnachtsmärkten dudelt Weihnachtsmusik in Dauerschleife. „Oh du fröhliche“, nicht für jeden, oder „Have yourself a merry little Christmas“, oder auch das nicht, dann nämlich, wenn Menschen an Weihnachten klar wird, wie allein oder wie einsam sie sind. Und das sind viele.
Laut einer Umfrage verbringen jährlich etwa 2,4 Millionen Menschen in Deutschland das Fest der Liebe alleine. Manche freiwillig, manche unfreiwillig. Manche haben damit kein Problem, andere leiden besonders an den Weihnachtsfeiertagen unter Gefühlen der Einsamkeit. Während anderswo Familien oder Paare ihr Weihnachtsfest vorbereiten packt sie schon im Vorfeld der Weihnachtsblues. Je näher das Fest der Liebe rückt, desto schmerzhafter wird der Gedanke, dass sie allein sein werden, ohne Liebe.
Weihnachten ist ein Fest, das emotional völlig überladen ist. Das liegt, wie gesagt, unter anderem daran, dass uns das idealisierte Bild von Weihnachten bereits in unserer Kindheit suggeriert wird.
Dabei war das Weihnachten der Kindheit für manche von uns oft alles andere als selig und fröhlich. Ich höre in meinen Sitzungen mit Menschen vieles über deren Kindheit und auch über deren Weihnachten in der Kindheit. Und vieles ist alles andere als selig, fröhlich und voller Liebe. Es gab Streit, es gab Dramen, es gab sogar Gewalt am Heiligen Abend. Ich selbst erinnere mich ungern an meine Kindheitsweihnachten, an denen der Vater, alle Jahre wieder betrunken, erst sentimental, dann aggressiv wurde und wir Kinder voller Angst unter dem prachtvoll geschmückten Baum saßen und hofften: Möge der Abend vorüber gehen. Nichts mit: Stille Nacht heilige Nacht. Gruselige Nacht.
Weihnachten ist ein Fest, das bei manchen von uns nicht nur mit schönen Gefühlen einhergeht. Weihnachten lässt auch bedrückende Gefühle aufkommen, alte und neue.
Verluste werden schmerzhaft gespürt, Erinnerungen an bessere Zeiten werden wach, Melancholie und Trauer schleichen sich ins Herz und machen Knoten im Magen und eben auch Gefühle von Einsamkeit werden ganz groß. Neulich sagte eine Klientin zu mir, sie habe regelrecht Panik, wenn sie an die einsamen Weihnachtsfeiertage denkt. Wir haben eine Lösung für sie gefunden, sie verbringt Weihnachten in einem Wellesshotel. Diesen Luxus kann sich aber nicht jeder leisten und manch einer mag auch an Weihnachten nicht allein im Hotel sein.
Wer an Weihnachten einsam ist, ist es meist auch an anderen Tagen im Jahr. Und ich rede nicht von Alleinsein, sondern von diesem schmerzhaften Gefühl der Einsamkeit, dieser existenziellen Einsamkeit, die Menschen auch in einer Beziehung oder in Gesellschaft anderer empfinden und die sich dann im Alleinsein noch verstärkt.
Eine Melange, die in der Tat schwer aushaltbar ist.
Eine Umfrage der Partnervermittlung ElitePartner ergab, dass sich jeder dritte Single in der Weihnachtszeit melancholisch oder einsam fühlt. Und darunter sind nicht nur ältere und alte Menschen, sondern auch junge, beruflich erfolgreiche. Was sie alle gemeinsam haben: Es fehlt an erfüllenden sozialen Bindungen. Die Gründe dafür sind verschieden, die Auswirkungen gleichen sich: Ohne tiefe vertrauensvolle Bindungen fühlen Menschen sich innerlich einsam. Und es werden immer mehr.
Wie umgehen mit der Einsamkeit an Weihnachten?
Die ernüchternde Antwort lautet: Es gibt kein Patentrezept um die Einsamkeit zu erlösen und auch eine Therapie macht aus einem Einsamen keinen sozial verbundenen Menschen. Was einsame Menschen brauchen kann man nicht hintherapieren.
Einsamkeit hat viele Ursachen, die zum Teil in uns selbst liegen können, zum Teil aber auch an den äußeren Umständen. Was zur Vereinsamung geführt hat ist oft tief in uns verwurzelt. Eine schnelle, für alle passende Lösung, gibt es nicht. Da helfen banale Tipps wie: Gehen sie in einen Verein, in einen Volksschulkurs, suchen sie Kontakt, nichts. Es geht nicht um beliebige Kontakte, es geht um erfüllende Resonanz auf emotionaler und geistiger Ebene, um tiefe Bindung und diese findet sich nicht automatisch indem man unter Menschen geht.
Wie also damit umgehen, jetzt an Weihnachten, wenn die Einsamkeit noch schmerzhafter spürbar ist als an anderen Tagen?
Ein Patentrezept habe ich leider nicht, aber ein paar Gedanken dazu:
Verabschiede dich von dem idealisierten Bild von Weihnachten und wie es aussehen sollte. Es ist okay dich einsam und traurig zu fühlen. Du darfst traurig sein. Du darfst vermissen, was dir fehlt.
Du musst kein Weihnachten feiern, keinen Christbaum aufstellen, keine Weihnachtslieder hören und kein Festessen zubereiten. Du kannst Selbsthilferatschläge wie: Mach es dir schön, verwöhn dich selbst, mach dir ein tolles Geschenk, in die Tonne hauen, wenn dir absolut nicht danach ist.
Du darfst dich mal richtig ausschlafen, rumgammeln, dich den ganzen Tag aufs Sofa legen, eine Pizza, anstatt der Weihnachtsgans in den Ofen schieben, ein gutes Buch lesen, deinen Lieblingspodcast hören oder endlos deine Lieblingsserie gucken bis dir die Augen zufallen.
Du kannst die Wohnung ausmisten, Ballast entsorgen, eine Wand farbig streichen, endlich mal die Fenster putzen, den PC aufräumen, gründlich Putzen, die Steuererklärung machen. Lass dir von niemandem sagen, wie dein Weihnachtsfest aussehen soll.
Sei liebevoll zu dir selbst, wenn du es kannst und wenn du es nicht kannst, hab Mitgefühl mit dir selbst, dass du es gerade nicht kannst. Du musst nichts tun, was krampfhaft schöne Weihnachten herstellt. Hör auf gegen deine wahren Gefühle anzukämpfen.
Nimm dich selbst ernst.
Mach dir bewusst: Alles, alles geht vorüber, auch die Weihnachtsfeiertage.
Und - alles kann sich zum Besseren wandeln.
This Christmas ist nicht Next Christmas.
Vielleicht hilft dir der Gedanke, du bist nicht allein mit deinen Gefühlen. Viele Menschen fühlen sich jetzt einsam wie du.
Und du könntest dich fragen: Was ist eigentlich Weihnachten?
Es ist der Tag von Christi Geburt, um nichts anderes geht es. Da wurde in einem Stall in Bethlehem Einer geboren, der zeigte, was ein Mensch sein könnte.
Und es geht um die Hoffnung, dass in dunklen Zeiten das Licht zurückkommt.
It is through the cracks where the light comes in.
„Ring the
bells that still can ring
Forget your perfect offering
There is a crack, a crack in everything
That's how the light gets in.“
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