Samstag, 26. September 2020

Die Pandemie, die Psyche und wie wir uns stabil halten

 



Es hört nicht auf. Corona zieht durch die Welt und reißt alle für uns sicher geglaubten Säulen des vertrauten Lebens mehr und mehr nieder. Acht Monate nach Beginn der Krise müssen wir erkennen: Für die Corona-Krise fehlt jede Referenz. Der Virologe Christian Drosten spricht von einer Naturkatastrophe. Die kämpferischer Vokabel der Medien lautet: Wir führen einen Krieg gegen einen unsichtbaren Gegner. Wir sind nicht im Krieg, aber wir erleben eine Krise, in der es um die Bedrohung der Gesundheit und zugleich um die Bedrohung der wirtschaftlichen und finanziellen Existenz aller geht. Wir erleben Ohnmacht und Hilflosigkeit. Ohnmacht und Hilflosigkeit führen zu Dauerstress. 

 

Unser Gehirn strebt nach Kontrolle und findet sie nicht. Das Gewohnte ist brüchig, der Boden auf dem wir gehen wackelt, planen können wir nichts mehr sicher und auch nur kurzfristig, unsere Lebensmöglichkeiten und unsere persönliche Freiheit ist eingeschränkt. Wir leben mit Geboten und verboten. Unsere persönliche Selbstbestimmtheit ist fragmentiet und bedroht. 

Und jetzt kommt der Herbst. "Die Pandemie wird jetzt erst richtig losgehen“,  befürchtet Christian Drosten. Ein zweiter Lockdown scheint nicht ausgeschlossen. In München tragen Menschen jetzt auf vollen Plätzen und Straßen Masken. 

 

Herbst 2020 und wir stehen einer düstern Vorhersage gegenüber, die eine Flut von Gefühlen, die uns zwar schon die ganze Zeit begleiten, in ihrer Intensität verstärkt. Je nach Persönlichkeit und persönlicher Lebenssituation reagieren Menschen mit Ängsten und Panik, mit Depression, Trauer, sozialem Rückzug, Selbstisolation, Ignoranz, Leugnen, Resignation, Aggression oder Wut. Der Alkoholkonsum ist gestiegen, ebenso die Selbstmordrate. Häusliche Gewalt und Aggression nehmen drastisch zu. Manche Menschen gehen auf die Straße und rebellieren. Manche verweigern sich den Regeln.  

 

Alles untaugliche Versuche um die gefühlte Kontrolle über das eigene Leben wieder herzustellen. Und hinter all den Gefühlen liegt als Urgrund: Todesangst. Todesangst bedeutet den Verlust des Lebens, den Verlust der Lebendigkeit, das Ende des Seins und damit das Ende aller Möglichkeiten. Täglich konfrontieren uns die Medien mit dem Tod. Todesangst ist die Angst, die wir alle haben, aber bisher erfolgreich verdrängt haben, die meisten jedenfalls. Aber jetzt gibt es kein Ausweichen mehr. Wir sind konfrontiert mit dem Tod, auch wenn wir nicht alle an Corona sterben – wir erleben Verluste, Abschiede, Trennungen, im schlimmsten Falle Krankheit und Leid. All das sind  Erfahrungen, die dem Sterben gleichen. Sterben im Leben. 

 

Leben ist auch Sterben, aber das haben wir lange verdrängt. Vieles um uns herum, vieles in unserem persönlichen Leben, vieles an Vertrautem, an Gewohntem, an Möglichkeiten stirbt oder ist bereits gestorben. Wir müssen gezwungenermaßen von Vielem Loslassen was uns liebt und teuer ist. Sogar von liebgewonnen Gewohnheiten und sei es nur der Theaterbesuch. Die Folge: Ein chronisch erhöhter Angstpegel. Verluste machen Angst und die Aussicht auf weitere Verluste macht noch mehr Angst.

 

Angst führt zu Dauerstress. Dauerstress entsteht wenn wir keine Lösungsmöglichkeiten sehen und demzufolge mit der Situation oder dem Problem komplett überfordert sind. Hinzu kommt ein weiterer Stressfaktor: Das Ausmaß und das Ende der Krise ist nicht abzusehen. Der Ausgang ungewiss. Wir erleben ein so hohes Maß an Machtlosigkeit wie wir es nicht kennen. Wir erleben Kontrollverlust auf vielen Ebenen.

Manche Menschen kompensieren Stress indem sie sich Kontrolle vorgaukeln um ihre Gefühle von Unsicherheit und Hilflosigkeit zu  kompensieren. Bei anderen wiederum stellt sich unter emotionalem Stress mehr und mehr eine selektive Wahrnehmung ein, die nur noch die bedrohlichen Aspekte des Lebens aufnimmt und andere positive ausgeblendet. Das Gefühl der Unsicherheit und Ungewissheit führt bei Menschen mit einer Disposition zu Ängsten zur Verstärkung dysfunktionaler Denkmuster. Es kommt zu katastrophisierendem Denken.  

 

Je länger die Bedrohung anhält, umso unberechenbarer sie ist, desto mehr versagt letztlich bei fast allen Menschen die Fähigkeit zur Selbstregulation. Selbstregulation und Selbstberuhigung sind das, was wir jetzt nötig brauchen um diesen Herbst ohne größere psychische Schäden zu bewältigen. Selbstregulation ist die Fähigkeit, mit der es uns gelingt  unsere Emotionen, unsere Aufmerksamkeit, unsere Impulse und Handlungen zu steuern um nicht zum Opfer der Umstände zu werden. Zur Selbstregulation gehört auch die Kompetenz, kurzfristige Befriedigungswünsche längerfristigen Zielen unterzuordnen. Und das müssen wir jetzt gerade alle notgedrungen. 

Die Medizinsoziologie definiert Selbstregulation als „eine permanente, flexible, bedürfnisorientierte Eigenaktivierung in Bezug auf den Körper und die physische und soziale Umwelt mit dem Ziel, dort Bedingungen und Zustände zu erreichen, die sowohl eine kurzzeitige Bedürfnisbefriedigung ermöglichen als auch eine Selbstorganisation derart stabilisieren, dass eine Entwicklung und Integration unterschiedlicher Bereiche für eine effektive Problemlösung gewährleistet wird.“ Eine gute Selbstregulation besteht dann, wenn wir fähig sind uns auf Gegenwärtiges auszurichten, das Wohlbefinden, Lustgewinn und Sicherheit ermöglicht oder als Sinnerfüllung erlebt wird. Dann spricht man von einer Situations- und bedürfnisangepassten flexiblen Selbstregulation. 

 

Das Erlernen der Fähigkeit zur Selbstregulation ist ein Autonomietraining, das uns hilft auch in Krisenzeiten und Phasen emotionaler Überflutung bei uns selbst zu bleiben. Wenn wir lernen uns selbst zu regulieren stärken wir unsere Fähigkeit durch Eigenaktivität unser mentales und emotionales Wohlbefinden zu steigern, uns selbst zu beruhigen und wieder Sicherheit zu erreichen. Je besser uns die Selbstregulation gelingt, desto mehr fühlen wir wieder das gerade jetzt so lebenswichtige Gefühl von Kontrolle über uns selbst, wir erfahren, dass wir allen äußern Umständen zum Trotz unsere eigenen Gefühle und unser Verhalten aktiv selbst regulieren können. Selbstregulation ist somit ein entscheidender Faktor für die Prävention seelischer und körperlicher Krankheiten. Zur Selbstregulation gehört sich selbst achtsam wahrzunehmen und zu erkennen, was uns hilft unser Wohlbefinden im gegenwärtigen Moment steigern.

Alle Entspannungsmethoden, insbesondere  Achtsamkeitsübungen, Yoga und Mediation, die wir regelmäßig praktizieren, sind hilfreiche und effektive Methoden um uns selbst zu beruhigen. Auch alle kreativen Beschäftigungen und Aktivitäten helfen uns dabei im Moment zu bleiben und geben uns das Gefühl autonom etwas zu gestalten und Herr im eigenen Haus zu sein. Durch Achtsamkeit wird übrigens nicht nur die Selbstregulation gesteigert, auch die Konzentrationsfähigkeit nimmt zu. Wir lernen uns auf den Augenblick zu konzentrieren und destruktive Gedanken und angstbesetzte Befürchtungen nicht permanent an uns herankommen zu lassen uns unsere Psyche stabil zu halten.
Darüber haben wir noch die Kontrolle. 

 

 

 

 

 

 

 

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