Donnerstag, 7. März 2019

Wenn verletzte innere Kinder sich verlieben


Foto: A.W.

Wenn wir das verletzte innere Kind in uns angenommen haben, haben wir die Verantwortung für seine Verletztheit und seine Verletzungen übernommen. Wir haben uns verpflichtet es zu beeltern. Das bedeutet auch: Wir schützen es künftig davor, das es sich wieder an einen Menschen bindet, von dem es erwartet, dass es einen oder gar beide Elternteile ersetzen soll. Der innere Erwachsene weiß nämlich allzu gut, dass es nicht gesund und zudem nicht möglich ist von einem anderen zu erwarten, dass er uns das gibt, was uns die Eltern nicht geben konnten. 

Eine gesunde Beziehung ist nur dann möglich, wenn beide Partner die Verantwortung für das verletzte innere Kind in sich übernommen haben. Beziehungen in denen die Partner diese Verantwortung für sich selbst nicht übernommen haben, zerstören sich mit der Zeit selbst.
Warum ist das so? Am Anfang geben uns Beziehungen in denen sich zwei verletzte Kinder begegnen das Gefühl von Seelenverwandtschaft. Da ist endlich einer, der unseren Schmerz spüren kann, weil er ihn selbst spürt, da ist einer, der unsere Ängste fühlen kann, weil er sie selbst fühlt, das ist einer, der unsere Trauer fühlt, weil er sie selbst fühlt. Da ist einer, bei dem es sich so vertraut anfühlt als seien wir endlich zu Hause angekommen. All das sind Gefühle unseres inneren Kindes, das sich danach sehnt einen von seiner Art zu finden um endlich heil zu werden. Es sieht in dem anderen etwas, das es selbst gut kennt und zugleich hat es die Hoffnung, dass Verstanden werden auch bedingungslose Liebe bedeutet, eine Liebe, die es nicht bekommen hat und sein Leben lang verzweifelt sucht. 

Das innere Kind fühlt sich angekommen. Mit diesem Gefühl des Angekommen seins glaubt das verletzte Kind, dass der andere sich jetzt endlich um seine tiefsten Bedürfnisse kümmern wird.  
Er wird zu der Mutter oder dem Vater, den es nie hatte. Es werden Ansprüche an den Partner gestellt hinter denen sich unbewusste Erwartungen verbergen, die mit jenen unerfüllten Sehnsüchten beladen sind unter denen beide verletzten Kinder leiden. Die innere Leere, der Schmerz, die Hoffnung gerettet zu werden, überfrachtet die Wirklichkeit und macht blind. Es heißt nicht umsonst Liebe macht blind. Sie macht blind, in dem Sinne, dass wir im anderen etwas sehen, was wir selbst nicht haben und so nötig brauchen. Das was er ist, sehen wir nicht. 

Übervoll mit dem Wunsch: Jetzt soll es endlich gut werden, retardieren wir. 
Wir fühlen kindlich.  
Dieses kindliche Gefühl sagt: Es soll vervollkommnet werden was unvollendet geblieben ist: Das Gefühl bedingungslos und um unserer selbst willen geliebt zu werden. Was das Kind in uns nicht weiß: Was wir als Kinder von den Eltern nicht bekommen haben, kann uns der andere nicht mehr geben. Er ist eben nicht die Mutter, er ist nicht der Vater. Er trägt wie wir selbst ein verletztes Kind in sich, das von uns erhofft, was wir uns von ihm erhoffen.

Beziehungen zwischen zwei Menschen, die ein verletztes Kind in sich tragen um das sie sich selbst nie gekümmert haben, scheitern in der Regel an einer dysfunktionalen Dynamik, die sich, ist der erste Liebesrausch vorbei, schleichend entwickelt und beiden nicht bewusst ist. 
Im Zustand des Verliebtseins und im weiteren Verlauf der Beziehung entwickelt sich eine Wiederholung der früheren Eltern-Kind-Beziehung. Beide übernehmen hier genau das Verhalten und die Rolle, die sie als Kind übernommen haben um emotional zu überleben. Nicht selten kommt es auch dazu, dass der eine den anderen oder beide sich gegenseitig so provozieren, dass sie beginnen sich wie der Vater oder die Mutter zu verhalten. Das, was der andere uns vermeintlich „antut“,  wird so verzerrt, dass er uns mehr und mehr an den jeweiligen Elternteil erinnert. Es kommt zu Kämpfen. Verzweiflung macht sich breit: Das kann doch nicht sein, dass es schon wieder nur weh tut. Er, sie, sollte mir doch gut tun. Und wieder und wieder holen sich beide neue Verletzungen ab, die die alten Wunden nach Oben bringen. 

Aber es wird nicht aufgehört, der Schmerz ist so vertraut, das fühlt sich so nach Heimat an. Dieses Mal, sagt sich das innere Kind, muss es gut werden und es kämpft weiter, wo es längst mit dem Kämpfen aufhören sollte. Die Wunde kann nicht heilen, wenn sie immer wieder neu aufgerissen wird. Und genau das geschieht durch die Dynamik einer solchen Beziehung. Sie wirft uns in die dunklen Erinnerungsräume der Kindheit. Diese Dynamik aber hat auch ihr Gutes: Sie zeigt uns, dass wir uns auf hartem Parkett bewegen. 

Ein hoch komplexer Tanz beginnt, in dem zwei innere Kinder eine destruktive Choreografie entwickeln und an dessen Ende beide Tänzer ermüdet und enttäuscht voneinander am Boden liegen. 
Der alte Schmerz ist nicht geheilt, er ist wieder ganz groß da. Die alte Wunde ist aufgerissen. Die Hoffnung nach dieser einen Liebe hat sich in das Gefühl von Vergeblichkeit gewandelt. Wir fühlen uns wieder verlassen und ungeliebt.

Ist eine Beziehung an diesem Punkt angekommen, kommt es in den meisten Fällen zur Trennung. In Wahrheit aber gab es diese Trennung von Anfang an. Was sich begegnete waren zwei getrennte Individuen, die ihre Individualität nicht verstanden und nicht geachtet haben, sondern den anderen für sich und das Füllen ihres inneren Mangels brauchten. Anstatt ihn als das wahrzunehmen was er ist: Ein selbstständiges eigenes, hoch komplexes, wunderbares Individuum, wollten sie sich ihn einverleiben um die Wunde es Ungeliebtseins nicht mehr spüren zu müssen.

Unendlich viel Herzeleid ist darauf zurückzuführen, dass wir Menschen kein ausreichendes Maß an Verantwortung für das verletzte Kind in uns zu übernehmen bereit sind.
Eine Partnerschaft sollte eine Begegnung zwischen zwei Menschen sein, die beiden hilft, sich klarer als bisher zu erkennen und zu verstehen. Wenn wir uns selbst helfen wollen, müssen wir dem inneren Kind erlauben mit all seinen Bedürfnissen und Gefühlen da zu sein. Wir müssen ihm die Chance geben, es kennen zu lernen und wir müssen, ja, ich sage „müssen", es lieben lernen, auch wenn es uns so viele Probleme bereitet und wir es manchmal am liebsten in die Wüste schicken möchten. 
Erst wenn wir uns um dieses Kind in uns gekümmert haben und jeden Tag neu kümmern, werden wir Beziehungen eingehen können, in denen es nicht um Bedürftigkeit und Kampf geht, sondern um eine Liebe, die nichts einfordert, was sie selbst nicht besitzt.





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8 Kommentare:

  1. Es macht mir immer wieder Freude, deine Artikel zu lesen. Da steckt so viel Wissen, eigene Erfahrung und Versändnis drin. Einfach großartig!

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  2. Und ich bin froh, dass ich das erkannt habe. Seit 12 Jahren lebe ich alleine und lerne mich um die Kleine zu kümmern.
    Liebe Angelika, vielen Dank für Ihre Texte, die mir meine Gedanken und Gefühle immer ein Stück ordnen helfen.
    Eine schöne Woche für Sie.
    Tanja

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  3. Hallo Angelika,

    ganz klasse, was du schreibst und der gesunde Impuls, den ich gerade brauchte!

    Danke für deine Arbeit und das Teilen.

    Viele Grüße!
    Lotte

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  4. Liebe Lotte,

    danke für Deine Wertschätzung!

    Namasté
    Angelika

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  5. Liebe Frau Wende, ich habe Ihren Text gelesen und stehe kurz vor der Trennung. Allerdings fange ich nun langsam an meinen Mann wieder zu "sehen" also ihn, nicht meine Mutter. Gibt es tatsächlich eine Möglichkeit eine Beziehung ( 26 Jahre Ehe ) mut solch einer Konstellation zu beleben mit echter authentischer Liebe?

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  6. Hallo, ja ich erlebe es. Mein Mann und ich haben uns Hilfe geholt und tun es immer wieder, jeder für arbeitet an seinen " verletzten Kind. Wir als Erwachsene lieben und wertschatzen uns, merken auch, wenn" unsere Kinder" in den Kampf ziehen. Wir sind seit 25 Jahren zusammen und gemeinsam gehen wir, jeder in seinem Tempo den Weg zu gesunden.
    Gruß aus Ostfriesland

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