Mittwoch, 23. Januar 2019

Würde



Michelangelos Fresko „Die Erschaffung Adams“

Es war der Philosoph Giovanni Pico della Mirandola, der den Begriff Würde (lat. dignitas) begründete. Mirandola wurde 1463 in in Norditalien geboren. Er starb im Alter von 31 Jahren. 
Seine Rede über die Würde des Menschen verfasste er mit vierundzwanzig Jahren. 
Nach Mirandola gründet die menschliche Würde darauf, dass die Natur des Menschen darin liegt, dass er eben keine festgelegte Natur hat, sondern die Freiheit besitzt, sein Wesen selbst zu erschaffen.
So lässt Mirandola Gott zu Adam sagen: „Keinen bestimmten Platz habe ich dir zugewiesen, auch keine bestimmte äußere Erscheinung und auch nicht irgendeine besondere Gabe habe ich dir verliehen, Adam, damit du den Platz, das Aussehen und alle die Gaben, die du dir selber wünschst, nach deinem eigenen Willen und Entschluss erhalten und besitzen kannst. Du wirst von allen Einschränkungen frei nach deinem eigenen freien Willen, dem ich dich überlassen habe, dir selbst deine Natur bestimmen.“

Pico war so radikal, dass er behauptete, ein Mensch der seinen Trieben und Sinnen gedankenlos folgt, sei es nicht wert, menschlich genannt zu werden.
Der Philosoph war der festen Überzeugung, dass die menschliche Würde in der Herausforderung besteht ein selbstbestimmtes Leben zu gestalten. Diese Fähigkeit zur Selbstbestimmung des Menschen macht, nach Pico, seine Würde aus.

Immanuel Kant konnte gar nicht genug über die Würde des Menschen schreiben.  
Er begründete die Menschenwürde in mehreren seiner Schriften zur praktischen Philosophie mit der Vernunft des Menschen, die sich selbst ihr eigenes Gesetz für die Beurteilung des moralisch Guten gibt. Die Würde als innerer Wert also, die auf der Fähigkeit vernünftiger Wesen beruht, ihr Denken und Handeln autonom als moralisch gut oder moralisch schlecht zu bewerten. 
Folgen wir den Gedanken der beiden Philosophen, so fällt Würde dem Menschen nicht aufgrund irgendwelcher zufälliger Eigenschaften zu, sie ist vielmehr eine Frage der Bereitschaft sein Denken und Handeln nach moralischen Prinzipien und Werten auszurichten.

Der Mensch, schreibt Kant, hat die Pflicht, seine Würde, die „ihn vor allen anderen Geschöpfen auszeichnet, auch in seiner eigenen Person niemals zu beleidigen.“ 
"Diese Pflicht gegen sich selbst besteht darin, dass der Mensch die Würde der Menschheit in seiner Person bewahre", so Kant weiter. Würde ist nach Auffassung beider Philosophen ein innerer Wert. Geschützt von den Zumutungen und Unwägbarkeiten des Lebens. Unveränderlich und weder Zufälligkeiten ausgeliefert noch irgendeiner Gewalt.

Würde, Dignitas, ein schweres, ein schönes Wort. Schwer im Sinne von schwerwiegend, schön im Sinne von wertvoll.
Würdevoll zu leben beinhaltet viel mehr als das Bewusstsein und die Fähigkeit uns selbst Gesetze zu geben, denen wir uns verpflichten, die wir achten und leben und in unser Leben hineintragen zum eigenen Wohl und zum Wohl anderer, sie ist eine lebenslange Verpflichtung uns selbst gegenüber.

Aus neurobiologischer Sicht handelt es sich bei der Würde um ein neuronales Verschaltungsmuster, das eng an die Vorstellung unserer Identität gekoppelt ist.  
Es geht dabei um ein inneres Bild, das ein Mensch von sich hat, ein Bild davon was für ein Mensch er sein will. Unsere Würdevorstellungen sind orientierungbietende Vorstellungen, die uns dazu verhelfen eine stabile Identität zu formieren und damit autonomer Mensch zu sein, im Sinne von: Wir verpflichten uns dem, was wir als würdevoll erachten und entscheiden uns es zu vertreten. Und damit vertreten und achten wir uns selbst als menschliches Wesen in unserem ganzen Sein, was beinhaltet: Selbstbewusstsein, Selbstverwirklichung, Sinn und Erfüllung.

„Wer sich zum Wurme macht, darf nicht darüber klagen, mit Füßen getreten zu werden“, so Kant weiter.
Unter seiner Würde wird sich ein würdevoller Mensch weder gebärden, noch behandeln lassen. Würdevolle Menschen erleben sich aus sich selbst heraus als wertvoll und bedeutsam. Sie brauchen keine Macht, keine Statussymbole und keine Claqueure, um sich selbst als wertvoll und bedeutend zu erleben. Sie verraten ihre Werte nicht auf Kosten irgendeines Gewinns, sei er monetär oder emotional. Sie sind sich ihrer selbst bewusst und sie sind authentisch, was bedeutet: Denken, Fühlen und Handeln stimmen überein. Sie spielen anderen nichts vor, sie sind nicht bedürftig aus einem unbewussten inneren Mangel heraus. Sie sind sich ihrer selbst mitsamt ihrer Schatten bewusst und sorgen gut für sich selbst. Ein Mensch der Würde besitzt ist durchdrungen vom tiefen Bedürfnis Verantwortung für sich selbst und sein Handeln zu übernehmen. Er ist sich selbst und seinen Werten gegenüber verpflichtet und richtet sein Leben danach aus. Auch wenn die äußeren Umstände widrig sind. 

Ein Mensch, der sich seiner Würde bewusst ist, wird auch andere nicht würdelos behandeln. 
Er wird sie nicht benutzen, sprich: sie zum Objekt seine eigenen Absichten machen. Er wird sie nicht belügen um eines Vorteils willen, er wird ihnen nichts vorgaukeln um etwas für sich selbst zu erreichen. Wer die Wahrung seiner eigenen Würde und der Würde anderer zur Grundlage seines Handelns macht ist nicht verführbar und wird nicht zum Verführer.

Was aber wenn schon als Kind unsere Würde mit Füßen getreten wurde? Was, wenn unser kleines Menschsein mit Ignoranz, Verachtung oder gar Demütigung beantwortet wurde? Wie erlangen wir dann ein Gefühl für unsere Würde? Geht das überhaupt im Nachhinein?
Ich kenne Menschen die als Kinder schlechter als ein Hund behandelt wurden. Die einen sind  empathielose Soziopathen geworden, die anderen sind liebevolle und gerade Menschen geworden, Wer sich in die unzähligen Aspekte des Menschseins vertieft, wird die Unterschiede, die Möglichkeiten, den großen Reichtum und die große Herausforderung entdecken, die in jedem von uns liegen. Als erwachsener psychisch einigermaßen gesunder Mensch können wir entscheiden, wer wir sein wollen. Wir können uns für ein Leben in Würde oder für ein Dasein in Würdelosigkeit entscheiden. Wir können unsere Identität gestalten, auch wenn man sie einst zertrümmert hat, denn in jedem von uns ist dieser unzerstörbare Kern, der auf die Frage: „Wer bin ich?“ eine Antwort hat, die von anderswo herkommt als aus den schmerzlichen Kindertagen. Wir müssen nur wieder und wieder mit dieser Frage tief in uns hineinfühlen und die Antwort wird kommen.

„Sie haben mich klein gemacht als ich klein war. Je mehr ich beobachte wie klein ich mich mache, desto klarer wird mir: Ich entscheide mich, mich nicht mehr zu behandeln wie man mich als Kind behandelt hat.“  
Das sagte neulich ein Mensch zu mir, dessen Würde man von der Kindheit bis ins frühe Erwachsenenalter in den Boden gestampft hat. Dieser Mensch hat sich für seine Würde entschieden. Er ist bereit aufzustehen und sich den Dämonen der Kindheit zu widersetzen. Dafür ist es nie zu spät.

Das Bewusstsein für unsere eigene Würde ist etwas, das unser Leben tiefgreifend verändert. Wir werden klarer, selbstbewusster, achtsamer, mitfühlender, liebevoller, geduldiger. Wir ruhen mehr und mehr in uns selbst und strahlen diese Ruhe auf andere ab. Wir lassen uns nicht manipulieren und wir beugen uns nicht Dingen, Menschen und Situationen, die wir mit unseren Werten nicht vereinbaren können.Wir sind bereit die Konsequenzen für ein "Nein" zu tragen.

Würde gleicht einem inneren Kompass, der uns durch die Höhen und Tiefen des Lebens führt, im Gewahrsein unseres eigenen Wertes. Dem können wir uns anvertrauen und darauf können wir vertrauen. Komme, was da wolle. Würde ist gelebte Menschlichkeit. Sie ist ein Akt der Autonomie. Sie ist Freiheit im Denken, die einzige Freiheit, die man uns nicht nehmen kann. 

Namaste





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen