Donnerstag, 19. November 2015


Liebe und Schmerz
Laudatio zur Ausstellung von Angelika Wende
von Joachim Braun

14.11.2015 – 14.01.2016
Frauenfriedenskirche Frankfurt am Main




„Warum malst du?“ – Angelika Wende diese Frage zu stellen, ist, als würde man jemandem die Frage stellen, warum er atme. „Ich male“, sagt sie, „weil Worte nicht reichen. Meine Bilder sind die Folgen meiner Erfahrungen, meiner Lebensspur. Meine Suche ist meine Aufgabe: zu tragen und zu lösen, was mir widerfährt und aufgetragen wird. Mein Antrieb ist die Achtung vor dem Geschenk meines Lebens.“[1]
Neben Sprache und Beratung von Menschen sind Malerei und Fotografie Angelika Wendes Leidenschaft. Aus eben jener inneren Notwendigkeit heraus, die der Maler Christian Felder so beschrieben hat: „Angelika Wende ist keine staatlich lizenzierte Künstlerin. Sie hat keinen Abschluss einer Kunsthochschule vorzuweisen. Doch sie hat etwas das vielen ,Meisterschülern’ fehlt: innere Notwendigkeit. Der Trieb die Ereignisse der Welt malerisch zu verarbeiten ist tief in ihr verwurzelt. In jedem Zyklus werden wir mit einer ungeschönten aber auch zugleich unumstößlich notwendigen Bildwelt konfrontiert. Diese lockt durch ihre Intensität. Wendes ,Müssen’ ist deutlich sichtbar. Sie wirft ihre Leidenschaften in die Waagschale, kämpft um jedes Bild und erzeugt etwas, das in der Kunst unbezahlbar bleibt: Authentizität.“[2]

Immer geht es im Schaffen von Angelika Wende um Menschen, um die Gründe und Abgründe menschlicher Existenz. Wir sehen Figuren, als Einzelne, Paare, zu dritt. Existenzen, zurückgeworfen auf sich selbst, auf der Suche nach Ergänzung und Ganzheit. Gesichter, die nach innen schauen und auch den Blick des Betrachters nach innen ziehen, auslotend, was in der Tiefe des eigenen Selbst einen Interpretationsraum eröffnet.
„Liebe und Schmerz“ – der Titel dieser Ausstellung ist inspiriert von ihrem Ort. Die Idee der Frauenfriedenskirche entstand fast genau vor 100 Jahren, mitten im Ersten Weltkrieg. Unter dem Eindruck des Kriegsleids ergriffen Frauen aus allen Teilen Deutschlands, die den Tod ihrer Partner und Söhne auf den Schlachtfeldern betrauern mussten, die Initiative zum Bau einer nationalen Gedenkstätte, als Denkmal für die Toten und als Mahnmal für den Frieden. Bei der Einweihung der Kirche 1929, in ihrer Ansprache zum Festakt, sagte Maria Heßberger als Vertreterin des Katholischen Deutschen Frauenbundes: „Wir katholischen Frauen haben diese Kirche erbaut als Ausdruck unseres großen, gewaltigen Schmerzes ... Die Frauenfriedenskirche soll aber auch ein Ausdruck unserer großen dankbaren Liebe sein für diejenigen, die ihr Leben hingaben, um unser Leben zu schützen.“[3] Ausdruck des Schmerzes und zugleich der Liebe - gerade angesichts der aktuellen Bilder aus Paris scheint dieses Junktim aktueller denn je. Und mir scheint es, im wahrsten Sinne des Wortes, not-wendig, davon zu schreiben, zu dichten, zu komponieren – und zu malen.

Die Wahl dieses ungewöhnlichen Ortes für diese Ausstellung hat noch eine zweite Brücke zum Schaffen von Angelika Wende. Frauenfrieden ist eine Marienkirche, geweiht der Mater Dolorosa (Schmerzensmutter). In der klassischen Gestalt der Pietá, wie sie auch in der Krypta von Frauenfrieden, gestaltet von Ruth Schaumann, zu finden ist, verbindet sich das Leiden Christi mit dem Leiden Mariens, der bereits in den ersten Kapiteln des Lukasevangeliums aus dem Mund des greisen Simeon geweissagt wird: „Durch ihn (deinen Sohn) werden viele aufgerichtet und viele zu Fall kommen ... Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen“ (Lk 2, 34f.). Der Crucifixus leidet körperlich, die Dolorosa seelisch – ein ohnmächtiges Leiden um des eigenen Kindes willen. Körperlicher Schmerz ist selten beeinflussbar, seelischer schon eher. Maria als unsagbar Leidende hat dennoch das Größere gesehen. Mütterlich, Leben schenkend hat sie Verantwortung für das Leben übernommen, ihre Ohnmacht überwunden, ohne daran zu zerbrechen.




Angelika Wendes Werke sind Ausdruck eben dieser Erfahrung. Ihre Figuren sind Psychogramme, künstlerische Ausgestaltungen innerer Seelenzustände. Das Wesentliche daran ist das Unsichtbare, Nicht-Gemalte, Abgespaltene, Verdrängte. Wir sehen weibliche Gestalten, zumeist Köpfe, die verletzt und verwundet sind. Nicht selten fehlt das eine Auge, als ob etwas nicht wahrgenommen, nicht gesehen werden dürfte. Schmerz ist vielgestaltig: Trauer, Angst, Wut, Verlust, Traurigkeit, Liebeskummer, Ohnmacht ... 


Gesichter stehen miteinander in Beziehung und sind sich doch verloren und fremd. Trotz des großen Schmerzes sind Wendes Köpfe irgendwie dennoch schön. Es ist eine fragile Schönheit – so wie die vieler Menschen, die gelitten haben und trotzdem die Liebe nicht verloren haben. Es ist eine tiefe und zugleich sehr berührende Liebesfähigkeit, die das geknickte Rohr nicht zerbricht und den glimmenden Docht nicht auslöscht (Jes 42, 3).



Die Liebe zu sich selbst und zur Schöpfung zu behalten – als große Herausforderung gegen Hass und Selbstzerstörung. Als Joseph Beuys 1976 seine Installation „Zeige deine Wunde“ vorstellte, sagte er dazu: „Zeige deine Wunde, weil man die Krankheit offenbaren muss, die man heilen will ... Eine Wunde, die man zeigt, kann geheilt werden." Das Kunstwerk bleibe nicht bei der Verwundung stehen. Es enthalte, so Beuys, darüber hinaus „Andeutungen, dass die Todesstarre überwunden werden kann […] etwas […], das, wenn man genau hinhört, einen Ausweg weist.“[4]

 
Eine Wunde, die man zeigt, kann geheilt werden. Die Sehnsucht nach dieser Heilung, dem Ganzwerden durch die letzte Annahme seiner selbst, mag eine starke, treibende Kraft im Schaffen von Angelika Wende sein, die von sich selbst sagt: „Ein starker Glaube hat mich im Leben getragen.“[5] 
Es ist bemerkenswert, dass sich in den jüngsten ihrer Bilder, die teilweise in dieser Ausstellung erstmalig zu sehen sind, ihre Art zu malen weiterentwickelt hat. Ihre Bilder werden klarer, realistischer, weniger kompromissbereit, ihre Farben weniger gebrochen, eindeutiger, tiefer. Was klärt sich gerade in diesen Bildern? Was wird tiefer? Die Erkenntnis, dass nur die Liebe fähig ist, den Schmerz zu heilen? Die Klarheit einer Antwort? Oder doch eher die Sehnsucht nach dieser Antwort? Oder der, der sich uns mitteilt und sie mit uns teilt? Wer Augen hat zu sehen, der sehe!
Joachim Braun 







[1]  Gespräch mit Angelika Wende am 28. September 2015 in ihrem Wiesbadener Atelier.
[2]   Christian Felder, auf: www.angelikawende-kunst.de
[3]    Greta Krabbel (Hrsg.): Frauenfriedenskirche. Den Gefallenen des Weltkrieges. Düsseldorf 1935, 27.
[4]  Süddeutsche Zeitung, 26./27. Januar 1980.
[5]  Wende, Gespräch, a. a. O.

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