Samstag, 21. Februar 2015

Kunst Hoch 3 im KV Eisenturm - Die Welt unser Spiegel

 
Schau, ich habe alle meine Bilder unter dem Aspekt der Form der Kugel ausgesucht“, sagt Brigitte Zander zu mir, als ich zum Gespräch mit den 3 Künstlern in den Eisenturm komme. Und Renate Ott lächelt: „Irgendwie hatte ich die Intuition, ich muss ein rundes Loch in die Figur machen, rund wie eine Kugel, und das, bevor ich Donald Untereckers Installation sah.
Was Brigitte Zander, Renate Ott und Donald Untereckers Kunst verbindet, ist nicht auf den ersten Blick sichtbar. Die Arbeiten der Malerin, der Bildhauerin und des Fotografen führen uns in verschiedene Welten, sie zeigen unterschiedliche künstlerische Positionen – aber immer ist es Welt. Und die ist rund wie eine Kugel, das wissen wir seit Galileio Galilei.
Raum und Zeit, Innen und Außenwelten, sich selbst reflektierende Welten – all diese Welten sind aus und von Menschen gestaltete Mikrokosmen inmitten von Welt. Ohne sich aneinander anpassen zu müssen, ohne sich gleichen zu müssen, sind sie Teile des Ganzen, Teile von Welt und damit sind sie Eins, auch ohne jegliche Konstruktion von Verbindung zu bemühen – sie sind Eins, im Sinne der Weltenseele, die Trennung nicht kennt. Jedes Werk für sich ist somit ein Aspekt des Ganzen. Das Symbol der Kugel, das Sie hier und in allen anderen Räumen des Turms sehen, symbolisiert dieses Ganze.



Schon im Altertum galt die Kugel nicht nur als Bild der Einzelseele, sondern auch als Bild der Weltseele. Platon hat die Kugelgestalt als die vollkommenste erklärt. Nach Platons „Timaios" ist sie Symbol für Vollständigkeit und Ganzheit, Ausdrucksform der Gesamtheit aller einander aufhebender Gegensätze. Für den Psychoanalytiker Carl Gustav Jung stellen alle kugelförmigen Gebilde eine psychische Dynamik dar, die sich auf ein gemeinsames Zentrum hin orientiert und Aspekte des Selbst symbolisiert. Hier ist sie Sinnbild für das Streben der Psyche nach der Herstellung des innerpsychischen Gleichgewichts. All das und viel mehr zeigt sich im Symbol der Kugel. Eine tiefe Symbolik. Tief wie die Absichten dieser 3 Künstler, die ihr Innenleben mit dem Außen abgleichen, um ihr Verständnis von sich Selbst und von Welt zu deuten, zu be-deuten und es wieder in die Welt zu geben. Was Sie hier sehen ist die Identitätssuche schöpferischer Menschen, die aus der eigenen Welt in die äußere drängt, sich in Form, Farbe, Material und Haptik Ausdruck sucht, um in den Dialog mit dem Betrachter zu treten und – über den Trialog dreier Künstlerseelen – vielleicht zu Ihrem ganz persönlichen inneren Monolog inspirieren. Das wäre ein kommunikativer Kreislauf, rund wie eine Kugel, zirkulierend, von einen zum anderen hin und wieder zurück, ohne Anfang und Ende, sich in und um sich selbst drehend, wie Donald Untereckers spiegelnde Kugeln aus Stahl, in deren glatter, perfekt runden Projektionsfläche Sie, der Betrachter, zum Mittelpunkt werden und damit zum Zentrum der Installation, die Sie braucht um ihren Sinn zu erfüllen und zu entfalten.


„Spiegelplaneten“ – poetisch mutet der Name der Installation von Donald Unterecker an, doch weniger poetisch ist die Absicht des Künstlers.
 
Einen Spiegel will er uns vorhalten. Einen Spiegel, der den kollektiven Trend der verzweifelten Suche nach der eigenen Identität in einer sinnentleerten Welt zitiert und reflektierend einfängt. Haben Sie schon mal ein Selfie gemacht, meine Damen und Herren? Und es dann in Facebook oder Instagram allen und jedem zum Anschauen ins Netz gestellt? Nicht? Dann können Sie das heute und hier tun. Wenn Sie mögen, gehen Sie in den unteren Raum, stellen sich vor die große Kugel, die sich hinter dem kleinen abgegrenzten Raum im Raum befindet, nehmen ihr Smartphone oder die gute alte Kamera und drücken auf den Auslöser, bitte mit Fokus auf die Kugel, die Sie dann zurückspiegelt. Das Foto können Sie dann nach Belieben ins Netz stellen oder es Donald Unterecker mailen, denn er sammelt die Unikate mit Ihrem werten Konterfei und wird damit eine weitere Ausstellung machen. Er wird sich freuen.


Selfies ...
Die virtuelle Welt ist voll davon.
Das ist ein Zeitgeistphänomen, das sogar Wissenschaftler der Ohio State University zu einer Studie veranlasste. Was viele von uns schon lange ahnen, belegt die Studie: Jemand, der häufig Selfies von sich macht und in soziale Netzwerke stellt, ist auf narzisstische Weise selbstverliebt - das gilt zumindest für Männer. Trauen Sie sich später bitte trotzdem, meine Herren, Ihr Selfie ist ja heute wertvoll für die Kunst. 

Donald Untereckers Spiegelplaneten führen den Betrachter nicht nur zu einer bewussten Wahrnehmung seiner selbst im Kontext mit dem, was in der Kugel ohnehin zu sehen ist – die Umgebung und der Betrachter konzentrieren sich auf den runden Projektionsflächen der Kugel. Eine irritierende Beobachtung bei welcher, so der Künstler „jeder eine andere Welt in der selben sieht, in deren gespiegeltem Zentrum ausschließlich und unausweichlich er selbst agiert“ – die Welt als Produkt individueller Reflexion. 
„Wir sehen, was wir sehen können.“ Und jeder von uns sieht etwas anderes. Wir sehen und erleben die Welt basierend auf dem, was an Erlerntem und Erfahrenem im Kopf gespeichert und in der Folge des Lebens erinnert wird. Das macht, wie wir Welt sehen, das macht uns zu dem Menschen, der wir werden und der wir sind. Alle Erlebnisse, alle Erfahrungen, alles Gefühlte hat eine Spur in Form von raum-zeitlichen Aktivierungsmustern in den neuronalen Netzwerken hinterlassen. Das bedeutet, dass man sich die Erinnerung wie einen Film mit zeitlichem Verlauf vorstellen muss und nicht wie bislang angenommen, wie ein statisches Foto. Was wir in Raum und Zeit erleben wird demnach nicht als wertfreier Schnappschuss oder wertfreie Aufzeichnung der Wirklichkeit kodiert, sondern es wird mit den Bedeutungen und den Gefühlen des Augenblicks aufgenommen und verinnerlicht. Das so komplex Gespeicherte entscheidet dann darüber, was wir aus dem Strom der täglichen Ereignisse herausgreifen und behalten. Wir sehen, was wir sehen können, wenige aber sehen in sich selbst hinein. Das ist die tiefere Ebene des Spiegelplaneten. Hier zitiert und inszeniert ein Künstler den Zeitgeist einer immer narzisstischer werdenden Gesellschaft. Er stößt uns auf spielerische Weise in das Drama des modernen Menschen, das dem des Narziss gleicht, der durch die Welt geht und versucht, sich überall auf der Suche nach sich selbst zu spiegeln. Am Ende kommt er an einen See, sieht sein Spiegelbild und ist so verliebt, dass er sich berühren möchte. In dem Moment, wo seine Hand die Wasseroberfläche berührt, zerfällt er.


 
Nun denken viele, dass das Drama des Narziss die Selbstverliebtheit ist. Das ist aber nicht richtig. Das Drama des Narziss, damals und heute ist die Überzeugung: In dem Moment, in dem ich mit mir in Berührung komme, zerfalle ich und bin nichts. Wer das Gefühl hat, im Inneren nichts zu sein, der muss im Außen alles sein.
Hand aufs Herz! Ist es nicht immer schwieriger, der zu sein, der man ist?
In einer Welt, die immer größeren Wert auf das Unwesentliche legt, die den Superlativ fördert und in der Authentizität zunehmend verloren geht, wird es für jeden Einzelnen zum Kampf, bei sich selbst anzukommen. Nicht wenige ergreifen die Flucht vor sich selbst und verbringen ihr Leben im Außen. Dieses Außen wird immer schneller, will immer mehr, immer höher, immer perfekter, es fordert laut ein „du musst weiter gehen“, um mithalten zu können und nicht herauszufallen aus der Welt, sprich dem Bild von Welt, das man uns Tag für Tag in der multimedialen Welt als Wirklichkeit malt. Wie da ein Leben leben, das uns selbst entspricht? Wer vor sich selbst flieht, kann sich selbst nicht kennen. Vielleicht denken Sie demnächst daran, oder jetzt gleich und fragen sich, wenn Sie ihr Selfie machen – wen Sie da eigentlich vor sich in der Kugel haben.



Und damit bin ich bei der Bildhauerin Renate Ott.

Die Blätter, beschrieben mit Worten zu ihren Werken, die sie mir gab, sind philosophische Gedankenkreise einer Frau und Künstlerin, die um dieses „bei-sich-sein-wollen“ weiß, die weiß, dass nur im „bei-sich-sein“ das Form und Gestalt annimmt, was das eigene Innere an Potenzial und Wachstum birgt. Renate Ott ist eine Künstlerin, die nichts mehr fasziniert als der Mensch in seinem Sein mit allem, was ihn ausmacht, im Innen und im Außen und zwischen Innen und Außen. Ich bin mir sicher, von ihr werden Sie keine Selfies im Netz finden, aber Sie werden in jeder Figur immer auch Portraits eines Künstlerselbst spüren, das um das Ganze und sein komplexes Geheimnis weiß: „Der Geist führt uns – wenn wir es zulassen – in Raum und Zeit zu jenem Ganzen, das uns die Schönheit und Harmonie des Universums erahnen lässt.“ So zieht Renate Ott in ihrer philosophischen Betrachtung über ihre aktuellen Arbeiten Resumée.
Was aber ist das Schöne? Sind sie schön, diese Skulpturen?
Sind sie für Sie schön, meine Damen und Herren?
Und worin liegt ihre Schönheit.
Und: Ist Schönheit nicht gleich Harmonie?
Das Schöne ist nicht das Gigantische, das Extravagante, das Effektvolle, das manieristisch Übersteigerte, nicht das Auftrumpfen mit Stilwillen – wir empfinden das als schön, was uns in seiner Einzigartigkeit zugleich selbstverständlich erscheint. Selbstverständlich wie diese Skulpturen, die sich nicht aufdrängen in ihrem klaren Ausdruck von Kraft und Stabilität in Zeit und Raum. All die formal überbetonten, ausladenden, üppigen weiblichen Formen aus Ton zeigen eine starke körperliche Präsenz, die sich nach Erdung anfühlt. Wir sehen zur Ruhe gekommene Figuren. Außen wie Innen, und wir ahnen – nur wer in sich ruht, ruht, der hat Erdung, der ist im wachen Dasein bei sich. „ Über unseren Körper also, der Denken und Fühlen erst zulässt, nehmen wir Wirklichkeit wahr“, postuliert Renate Ott, und sie schreibt weiter: „Der Körper ist das Gefäß, das Sammelbecken, das die Eindrücke von Außen in sich aufnimmt, filtert – gemäß dem Zusammenspiel von Denken und Fühlen – und schließlich, sobald das innere Gleichgewicht wieder hergestellt ist, freigibt nach draußen. Je mehr dieses innere Gleichgewicht hergestellt ist, desto präsenter wird der Körper, desto mehr gewinnt er an Authentizität.“ 


Authentizität, was nichts anderes bedeutet als Denken, Fühlen und Handeln eines Menschen stimmen überein. Dann, wenn, um es mit Renate Ott zu sagen, „Fühl- und Denksystem beim Erfassen von Wirklichkeit sinnvoll zusammenarbeiten, indem sich gegenseitig ergänzen.“ Wahrlich eine schwere Übung, eine lebenslange Übung für jeden von uns, denn die eigene Ganzheit bedingt mehr als die  Harmonie von Denken und Fühlen, sie bedingt das Wissen um das, was uns im Ganzen ausmacht, erst dann, wenn wir nur annähernd eine Vorstellung davon haben, wer wir sind und wer wir im Tiefsten auch sind und dieses Ganze annehmen mit einem klaren „Ich bin“, dann wird vielleicht, Harmonie im Inneren sein. Betrachten Sie die Liegende – sie nähert sich in ihrer Formgebung der liegenden Acht, das Symbol für Unendlichkeit. Die geschlossene Schleife als Symbol für das Absolute, für immerwährende Bewegung, Weiterentwicklung und Ausgleich, für Polarität und Ambivalenzen, für Innen und Außen. Renate Ott stellt es dem Betrachter anheim, auf welche Ebene er sich hier begeben möchte, auf welche Weise er sich der Figur nähern möchte und weiß dabei, „Der Geist macht, was er will.“ Ja, solange wir ihn in der Macht des Unbewussten belassen, möchte ich hinzufügen.
 
Diese Bildhauerin ist eine sensible Sucherin in Zeit und Raum, beseelt vom Drang, das Wesen der inneren und der äußeren Welt zu begreifen und das zum Ausdruck zu bringen. Jede Plastik hat eine bestimmte Aussage, zwingt durch ihre Präsenz zur Auseinandersetzung. Eine Plastik zu erstellen heißt für Renate Ott immer auch, die Frage nach dem Menschen zu stellen. Was suchst du an ihm? Was entdeckst du an ihm? Und wenn ich hinzufügen darf: Wer bist du? Das sind existentielle Fragen, nach deren Antworten die meisten Menschen ein Leben lang suchen. Und ich wage zu behaupten, dass der Antrieb für diese Suche dieses rund werden ist, das der Bildhauerin im Wesen ihrer Figuren längst gelungen ist. 

Das Wesen der Welt begreifen, Leben malerisch in Form und Farbe zum Ausdruck zu bringen – da würde Brigitte Zander sicher zustimmen.
Seit über 30 Jahren ist sie Malerin. Ihr liebstes Sujet ist die Natur. Ihr Antrieb ist, sie über ein realistisches Abbilden hinaus, so darzustellen wie sie selbst Natur und Landschaft wahrnimmt. „Ich möchte mehr darstellen als das Sichtbare, sagt Brigitte Zander, wobei sie einschränkt, „natürlich kann man das Unsichtbare nicht malen, aber ohne das Unsichtbare bleibt das Sichtbare leer.“

Wir bekommen bei der Betrachtung ihrer Bilder eine leise Ahnung davon, was sie meint. Das Unsichtbare sichtbar machen, das Unsichtbare, das nirgendwo liegt als in uns selbst.Im eigenen Fühlen, im eigenen Wahrnehmen, auf dem Grund der Seele –  da finden wir das Unsichtbare, das nur dann sichtbar wird, wenn es Ausdruck im Außen findet, es Gestalt annimmt. Das ist es, was Brigitte Zander meint und zeigt, ohne es sagen zu müssen, in ihren Bildern. Mit handwerklichem Geschick gelingt ihr sowohl eine Kombination intuitiver, als auch konzeptioneller Art, ihre Bilder zu gestalten. Aus der Fülle des eigenen Erlebten, inspiriert von Cézanne, Klee, Purrman, Jawlenski und den Malern der Brücke, schafft sie ein Lebenswerk, das ihre eigene unverkennbare Handschrift trägt, findet ihren expressionistischen Stil, gekennzeichnet von starker Farbigkeit, flächenhaftem Charakter und zunehmender Reduktion der Formen, die den Betrachter auf der emotionalen Ebene ansprechen. Nicht selten verwendet sie unrealistische Farben. Häuser erscheinen plötzlich in flammenden Rot und Bäume in schrillem Grün und sattem Blau. Sie malt sich die Welt, wie sie ihr gefällt. Experimentierfreudig und inspiriert vom Dialog der Farben, herausgefordert vom inneren Auge der Malerin nimmt Leinwand für Leinwand, das Gestalt an, was Brigitte Zander den Ausdruck ihres Lebens nennt – und damit schafft sie ihr ganz persönliches Weltbild.
 
Renate Ott und Brigitte Zander
Donald Unterecker
Bilder vom in-der-Welt-sein, das prägt und verbindet diese drei künstlerischen Positionen. Und jedes dieser Welt-Bilder, Donald Untereckers Spiegelplanet, Renate Otts Plastiken oder Brigitte Zanders Landschaften, ist wahr, ist als Kunstwerk wahrhaftig und zwar nicht gegenüber der äußeren, dinglichen Welt, sondern gegenüber der inneren, geistigen Wirklichkeit. Wir sitzen alle auf einer Kugel, und von der kann keiner runterspringen, sagte einmal jemand, dessen Namen ich vergessen habe, aber in der Tiefe unter der runden Oberfläche liegt ein Meer von Möglichkeiten, aus dem wir das für uns Stimmige herausfischen. Um was zu gewinnen? Inneren Halt auf dem ehrlichen Weg zu uns selbst, fernab des Bildes, das wir von uns haben oder haben wollen. Ich bin mir sicher – nur dieser Weg gibt uns das Gefühl „kugel-rund“ zu sein.





© Angelika Wende, 20. Februar 2015, KV Eisenturm, Mainz



mehr zur Spiegelplaneten Installation hier ... http://spiegelplanet.blogspot.de/












2 Kommentare: