ich sitze auf der bank im park. der hund jagt tauben und wundert
sich, dass er nicht fliegen kann. neben mir sitzt eine alte dame und
strickt.
irgendwie haben wir alle unsere hausgemachte philosophie, sagt
sie unvermittelt.
ich wende mich ihr zu, nicke, ja das ist wohl wahr.
wissen
sie, sagt sie, ich habe mein leben lang die wahrheit gesucht. das war
fast schon ein tick. immer auf der suche nach der wahrheit, meiner
natürlich, die der anderen nützt einem ja nicht viel.
sie haben recht, antworte ich, jeder hat seine eigene wahrheit.
dabei,
sie grinst, was ist denn schon wahrheit, weiß doch kein mensch, was das
ist. die einen sagen so, die anderen so und am ende ist alles relativ.
vielleicht, sage ich, ist wahrheit der völlig falsche begriff.
sie stutzt, schaut mich an.
wahrheit, das klingt so bedeutungsschwanger. vielleicht sollten wir
nicht von wahrheit sprechen, sondern von ehrlichkeit.
ehrlichkeit, ich weiß nicht, sie schüttelt den kopf.
ja,
ehrlichkeit. wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, wissen wir, dass das
ding mit der wahrheit eine einbildung ist, was ist denn wahr? alles und
nichts. relativ eben, sie haben es gerade selbst gesagt. alles kann sein
und kann nicht sein. aber wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, dann ist
das so für uns, dann ist das gefühlt ehrlich. ob das dann auch wahr ist, ist eine andere sache.
hm, sie
denkt nach. ich warte, denke auch nach, denke, warum denke ich
eigentlich immerzu nach und wie wenig mir das bringt, ausser immer mehr
verunsicherung und zweifel. je mehr ich denke, je mehr ich lese, desto verwirrter
werde ich. vor allem was meine eigene wahrheit angeht.
ja, wir haben die weisheit nicht mit löffeln gefressen, sagt die alte dame.
und auch nicht die wahrheit, sage ich. haben wir überhaupt einen anspruch darauf, sie behaupten zu können?
aber
das machen doch alle. alle menschen, die mir im laufe
meines langen lebens begegnet sind, hatten ihn. die haben darauf
gepocht, auf ihre wahrheit. ich auch.
ich auch, sage ich, manchmal verschanze ich mich sogar dahinter.
oh,
das kenne ich. die alte dame lächelt. ich war eingeschlossen in
meiner wahrheit. und wissen sie was? sie hat mich einsam gemacht.
die
eigene wahrheit macht bisweilen einsam. im besten falle sucht sie
andere, die sie teilen und das sind meist nicht viele. mal ehrlich,
wieviel einfacher wäre es, wir wären alle nur ehrlich zu uns selbst. und
wenn wir das wären, müssten wir sagen - sorry, wenn ich mal ganz
ehrlich bin, weiß ich nichts.
die alte dame lacht, ja, wenn ich ehrlich bin, ist das wahr.