Ausgangssituation: Eine Prüfung.
Das ist zunächst einmal nichts
Unerwartbares für den Prüfling, nichts was in irgendeiner Weise zu Panik führen
sollte. Sollte, heißt aber
nun einmal nicht – könnte.
Er steht vor einer
Herausforderung.
Auch das ist zunächst
einmal nichts, was zu Panik führt. Möchte man meinen.
Tut es aber. Der Prüfling gerät in einen Wirrwarr von Gedanken und Gefühlen, er schläft schlecht, er somatisiert, erlebt sogar Anfälle von Panik. Der Gedanke an die Prüfung löst eine Überflutung mit Affekten aus, deren Auswirkung auf die mentale und körperliche Befindlichkeit des Prüflings man als temporären Angstzustand bezeichnen würde.
Was passiert? Unterhalb der Metaebene „Prüfung“.
Der Kopf macht mit, immer
und überall, manchmal anders als wir das wollen.
Das Gehirn mit seinen
unergründlichen neuronalen Prozessen, den Erfahrungswerten von Versagen, die im
limbischen System gespeichert sind, übernimmt die Herrschaft.
Der Körper gerät in eine Stresssituation. Wenn wir starke emotionale
Erlebnisse haben, was eine bevorstehende Prüfung für ein Individuum durchaus
sein kann, werden in unserem Gehirn die Stresshormone Adrenalin und Cortisol
freigesetzt und wirken als Stimuli. Die sympathische Aktivität
ist Teil des vegetativen Nervensystems, das bei Stress auf
Hochtouren läuft. Die Vernunft gerät außer Kontrolle.
Die Stresssituation des Prüflings steigert sich so weit,
dass er von Kopfkrieg redet, weil das so ist, in seiner Wahrnehmung. Das
Gefühlte wird zu Gedanken – diese führen am Ende zur Handlung oder zur Lähmung. So funktioniert
unsere psychische Struktur. So
entsteht Verhalten.
Im Kopf des Prüflings braut
sich etwas zusammen.
Plötzlich sind da Fragen
nach dem ganz alltäglichen Wahnsinn. Woher kommt er, woher kommen diese von
Angst besetzten Gefühle, die in jedem von uns stecken, und uns im Zweifel, in
den Wahnsinn treiben.
Er fragt:
Und wo
führt das alles hin?
Was
passiert, wenn er diesen Wahnsinn nicht mehr unter Kontrolle hat, wenn er den
Realitätsbezug völlig verliert? Wenn er nicht mehr abschalten kann?
Er sucht Antworten.
Die eigene
affektive „Schieflage“ wird zum Motor mentaler Produktivität und schließlich
zum Motor künstlerischer Produktion.
Der „ganz
normale Wahnsinn“ findet einen Kanal im kreativen Tun. Der Prüfling schaut seine Angst an und
die Blüten die sie treibt und gibt
dieser Angst ein Gesicht. Er nutzt alle ihm zur Verfügung stehenden kreativ-künstlerischen Mittel als Medium diesem Gesicht etwas Wesenhaftes und damit
etwas Fassbares zu geben, etwas das nicht diffus ist und unbestimmbar wie die Angst,
die lähmt und den Wahnsinn als Möglichkeit in sich trägt.
Er wird
schöpferisch.
Beuys sagte
einmal – jeder Mensch ist ein Künstler.
Ich sage –
jeder Mensch ist potentiell schöpferisch.
Darum geht
es. Schöpferisch tätig sein, um dem ganz normalen Wahnsinn zu entkommen, besser
- um mit es mit ihm auszuhalten.
Der Mensch hat die Anlage zum Kippen. Er hat die Anlage zum
Herausfallen aus dem, was er Realität nennen, wenn die eigene
Normalität, das eigene „in er Welt sein“ einen Knacks bekommt. Wenn es uns den
Kopf fickt!
Bei Kopf
assoziieren wir Vernunft, Ratio, Denken und
Kopflosigkeit ...
Kopflos -
im Kopfkrieg. Das ist ungut in einer rationalen Welt, wo das Kopfdenken die
Herrschaft längst übernommen hat und das Herzdenken ein Luxus für Spinner,
unbelehrbare Idealisten und verkrachte Künstler geworden ist.
Die wahren
Abenteuer sind im Kopf, singt André Heller. Sie verstecken sich ängstlich vor dem, was das wirkliche
Leben fordert. Überforderung ist die Folge. Kopfkrieg ist Standard in einer
Welt, die sich als vernünftig bezeichnet und die Vernunft als das Maß aller Dinge
heiligt.
Welche Vernunft? Die
Vernunft einer Welt, die zu immer verkopfteren Produkten und Dienstleistungen
neigt, welche die eigene kleine Welt ihrer Konstrukteure widerspiegelt, aber
nicht mehr die Bedürfnisse der Menschen, für die sie eigentlich gemacht sind,
in der Wirklichkeiten von Unternehmen dominieren, die ihre eigene Welt von
Macht und Geld für den einzigen Hort der Realität halten. Gut fürs Geschäft,
schlecht für die Menschheit.
Der
Prüfling wird in einer solchen Wirklichkeit nicht enden. Er ist kreativ und
damit in Hinblick auf das, was eigentlich zu tun ist, die Vorbereitung auf die
Prüfung – unvernünftig.
Schon Peter
Handke hat es in den Siebzigern befürchtet: „Die Unvernünftigen sterben aus“.
Wie
vernünftig kann der Mensch eigentlich sein, wie rational ist er?
Statt
Klarheit herrscht Zweifel, statt Glaube und Zuversicht, herrschen Unsicherheit
und latente Angst.
Schon unsere Kinder haben Angst zu versagen, ob einer Wirklichkeit, die sich
ausschließlich in Erwartungen, Forderungen und Erfolgsdenken präsentiert und
die sie aussortiert, wenn sie anders sind.
Zum
wahnsinnig werden?
Sind die Wahnsinnigen nicht die authentischeren Menschen, jene die ver - rückt werden, weil sie sich in den vernünftigen Parametern der von einer Massendoktrin inszenierten Wirklichkeit nicht mehr auskennen?
Sind die Wahnsinnigen nicht die authentischeren Menschen, jene die ver - rückt werden, weil sie sich in den vernünftigen Parametern der von einer Massendoktrin inszenierten Wirklichkeit nicht mehr auskennen?
Wie
wirklich ist die Wirklichkeit?, fragt der Psychologe Paul Watzlawick und entwickelt
den Konstruktivismus. Und stellt
fest: Die Wirklichkeit ist allein und einzig von unserer Wahrnehmung abhängig.
Von unserer Vorstellung von Welt.
Für das Wirkliche gibt es kein Skript, kein: So ist es richtig und so ist es falsch.
Für das Wirkliche gibt es kein Skript, kein: So ist es richtig und so ist es falsch.
Der
Kopfkrieg geht weiter im Kopf des Prüflings.
In vielen
Köpfen, in Euren?
Die
Vernunft wird ihn nicht verhindern.
Frei davon
ist nur der Dumme.
... „denn
in der Nomenklatur der Dummen ist nichts unmöglich, also gibt es das Unmögliche
an sich nicht, also besteht eine Harmonie zwischen dem, was der Trottel
erwartet, und dem was eintritt. Die Dummheit kann bis ins Unendliche ordnen und
klassifizieren, ohne in ihrem Tun je auf Grenzen zu stoßen, denn sie lässt ein
Formulieren von Grenzen nicht zu.“
Konstatiert
der französische Philosoph André Glucksmann.
Kopfkrieg
ist in den Köpfen derer zu Hause, die denken, die fühlen, die Fragen haben und schöpferisch sind. Ja, vielleicht ist in diesen
Köpfen auch die Möglichkeit des Wahnsinns, aber wie gefragt: Was ist
wirklich?