Ich leide unter einer depressiven Episode. Das habe ich selbst diagnostiziert. Wie, geht nicht? Doch geht! Erstens, weil ich das von mir kenne. Zweitens, weil ich eine Ausbildung habe, die mir die Diagnose erlaubt. Davon abgesehen, es reicht auch schon der gesunde Menschenverstand um es zu erkennen, vorausgesetzt man besitzt ihn noch, aber das ist eine andere Krankheit, um die ich mich jetzt nicht kümmere. Ok, ich habe eine depressive Eisode. So nennt man eine rezidivierende depressive Phase, die, wenn sie persistiert, heißt - bestehen bleibt - in eine echte Depression münden kann.
Ich bin noch episodisch befallen, also nicht reif für die Klapse.
Woran merke ich, dass es wieder mal so weit ist?
Manche depressiven Episoden haben Auslöser, die von außen kommen. Bei anderen kommen sie von innen – endogene Depression – was für ein Wort, das hört sich schon ziemlich nach Krankheit an. Die endogenen sind die Schlimmsten, weil da die eigene Seele nicht mehr mitmachen will, die die von Außen kommenden haben einen Grund. Also meine depressive Epsiode hat einen Grund. Das spüre ich.
Einen?
Mein Therapeut ist da nicht ganz meiner Meinung. Für den ist das Alarmstufe ROT. Er wedelt mit dem Rezeptblock: „Mittelchen gefällig?“ Obwohl er genau weiß, dass ich von Mittelchen, die die Symptome beheben und nichts an den Ursachen ändern gar nicht schätze. Mir ist es auch völlig egal ob diese Mittelchen mich dann besser drauf machen würden. Das hilft nämlich auf lange Sicht nichts, ist nur Selbstbetrug und der hat fatale Folgen, wie jeder einigermaßen intelligente Mensch weiß.
Ich habe einen Grund depressiv zu sein und den will ich herausfinden und wenn ich dann nach der Einnahme des Mittelchens gut drauf bin finde ich nichts heraus und mache so weiter wie bisher. Bis zu nächsten Episode, denn die kommt bestimmt, spätestens sobald das Mittelchen abgesetzt werden muss, wegen der Suchtgefahr.
„Na gut, dann eben kein Mittelchen, erst mal runterkommen“, meint mein Therapeut. Runterkommen? Ich bin unten. Genau das heißt ja Depression - lat. deprimiere – zu deutsch: es drückt nach unten. Und warum? Damit ich mal gucke, was da unten so los ist, im Schattenreich des Verdrängten.
Also dann guck ich mal nach unten und vorher sage ich mir: Wenn du depressiv bist dann ist das jetzt so. Ist wie ein Winterschläfchen. Fakt ist, mein System hat keinen Bock mehr. Es schaltet sich aus und es wird wissen warum. Oder kommt vielleicht einer auf die Idee ein Tierchen beim Winterschlaf zu wecken: „Hey du Penner, das geht ja mal gar nicht. pennen, ne, du musst was schaffen und wenn du das nicht mehr kannst, weil du müde bist, dann nimm gefälligst ein Mittelchen! Also, wenn so ein Winterschläfer sprechen könnte, na der würde uns was erzählen. Oder beißen im Zweifel.
Gut, dass ich depressiv bin habe ich jetzt erst mal akzeptiert. Aber, warum bin ich depressiv? Das ist hier die Frage, die sehr an das Hamletsche „Sein oder nicht Sein“ erinnert.
Weil - „Sein“ ist nicht depressiv der Wunsch nach „nicht Sein“ ist eindeutig depressiv. War Hamlet übrigens auch, oder war der manisch-depressiv? Aber Hamlet will ich jetzt nicht analysieren, jetzt bin ich dran. Der kluge Therapeut weiß: die Lösung liegt im Patienten selbst. Und er kluge Therapeut bringt ihn da auch hin, zur Lösung. Also ran an die Lösungsfindung. Jetzt bin ich Therapeut und Klient in persona unica. Das funktioniert nicht? Na, das will ich jetzt aber wissen.
Ich guck jetzt mal, was mir meine depressive Episode sagen will. Ich lade sie zu einer Flasche Rotwein ein und höre ihr zu. Die Epsiode interessiert auch überhaupt nicht wie ich gerade aussehe, der ist das völlig schnurz, ob ich Ringe unter den Augen habe und Kaffeeflecken auf dem Bademantel - die mag mich nämlich so wie ich bin. Nicht wie all die lieben sogenannten Freunde, die nur da sind, wenn es mir gut geht und es gar nicht mögen wenn es mir nicht gut geht. Könnte ich gerade gut gebrauchen, echte Freunde, die das sind wenn es mir nicht gut geht. Aha, das ist ein Grund für meine depressive Episode – die sogenannten Freunde, die gar keine sind oder die Menschen, die sagen, dass sie mich nicht verletzen wollen und obwohl ich sie hundert Mal eindringlich gewarnt habe, meine Grenzen nicht überschreiten. Das brauchst du nicht mehr, sagt meine depressive Episode, und Recht hat sie.
Weiter geht’s! Noch ein Glas Wein, Episode? Sie ist schon ein bisschen kleiner geworden, aber noch immer schön schwarz. So sieht sie nämlich aus, die Depression – schwarz. Eine schwarze Dame, wie der von mir hoch geschätzte C. G. Jung es einmal formuliert hat, und die Empfehlung gab, dass man sie zu Tisch bitten soll, weil sie einem etwas zu sagen hat.
Eine schwarze Dame am Tisch, na das ist doch mal was anderes . Sonst bin ich da immer die schwarze Dame. Ich gebe nämlich gern die Diva. Was will man auch machen, wenn die Jugend der Vergänglichkeit anheim fällt und der verbleibende Rest einstiger Schönheit sich noch nicht vollendends verflüchtigt hat?
Alternative? Eine dicke gemütliche Mama? Nein, dick steht mir nicht und gemütlich bin ich nicht. Die Diva andererseits ist auf Dauer anstrengend und vor allem nutzt sie mehr Anderen als mir selbst. Ich mache nämlich bei künstlerischen Veranstaltungen einen überzeugenden Eindruck, nur verdienen tu ich da nichts mit, trotz der Arbeit die mir das macht. Nach Kosten - Nutzen Abwägung sage ich mir – das lässt du ab jetzt mal schön bleiben. Danke, schwarze Dame, dass du mir das so schön spiegelst.
Nicht das ich jetzt doch dick und gemütlich werden will, ich neige ja zu Extremen, aber anstatt mir schöne Texte für Leute auszudenken, die für das, was mein kluger Kopf so alles zum Vorschein bringt, nicht mal ein paar Euros springen lassen wollen, schreib ich doch endlich mal meinen Roman zu Ende und nutze meine Klugheit für mein eigenes Werk, heißt, ich denke nicht mehr für andere, sondern für mich selbst. Fein, fühlt sich gut an.
Vermissen wir mich niemand. Wir sind alle ersetzbar, nur nicht für uns selbst und daran habe ich schon lange nicht mehr gedacht - an mich selbst.
Mein Unterberwusstsein allerdings schon. Sonst hätte ich, also mein Unterbewusstsein für mich, nicht meinem softskillarmen cholerischen Chef empfohlen, er kann mich mal. Dass dies das Ende meiner Agenturkarriere war, war meinem Vorbewusstsein klar, aber das Unterbewusstsein war stärker und hat mich herauskatapultiert aus der Welt des monitären Habens und emotionalen Nichthabens.
Hilfe, stimmt ja. ich habe keinen festen Job mehr! Und schon droht die schwarze Dame wieder und ich muss jetzt noch einen Wein trinken, sonst kommt die schwarze Katze Angst und die will ich nicht auch noch einladen, ausserdem habe ich eine Katzenallerige. Davon abgesehen, der Wein reicht auch nur für zwei. Ich bin joblos und bald pleite - also wer da nicht depressiv wird. Kann da ein Mittelchen helfen?
Etwa so: Nimm Fluctin, dann klappts vielleicht mit nem neuen Job. Mal ehrlich zu mir selbst, so einen Job will ich gar nicht, nur damit ich mir einen gewissen Luxus leisten kann, ich will machen was mir entspricht und was für mich Sinn macht, und nicht irgendwelchen verblödeten Leuten verblödete Events verkaufen, die sie noch blöder machen. Danke, schwarze Dame, auch da hast du Recht!
Andererseits, will ich lieber Hartz IV Empfängerin sein und von 380 Euro im Monat leben? Da hat sich’s dann auch mit meiner neunzig Quadratmeter Wohnung erledigt. Ist das den Preis wert? fragt mich jetzt hämisch grinsend die schwarze Dame. Ich nehme erst mal noch einen Schluck aus dem Weinglas um die Angst runterzuspülen bevor sie doch noch anschleicht.
Nutzt nix. Das sitzt. Ich bin immer noch am Boden - tief deprimiert. Und weit und breit keiner der mich aufhebt. Die schwarze Dame sieht nicht so aus, als würde sie ihren Hintern heben und mir die rettende Hand reichen. Die hat mit sich selbst genug zu tun. Wie jeder eben. Auch so was. Wenn du gut drauf bist sind sie alle da, aber wehe du schwächelst. Hatte ich schon, stimmt, das war das mit den Freunden, die keine sind. Ich glaube, die meisten Menschen haben keinen Bock auf Drama oder Depris - weil sie befürchten sie könnten sich anstecken. Und Zeit für andere haben die meisten nur wenn sich’s lohnt und ich lohne mich zur Zeit für niemanden.
Ich bemerke, das Damoklesschwert, das da über mir schwebt, ist die Vereinsamung aufgrund des nicht mehr Teilnehmens an der Arbeits- und Freizeitwelt mangels monitärer Kompetenz. Dabei - ich bin noch genauso klug, genauso unterhaltsam, genauso adrett, wenn ich mich rausputze, wie zuvor. Aber, wer nicht zahlen kann, zählt nicht.
Jetzt tue ich mir richtig leid. Die depressive Stimmung steigt wieder und das ist entschieden nicht der Zweck der Übung. Oder doch?
Wann habe ich mir denn mal so richtig Leid getan? Mir tun immer die Anderen leid. Mein Sohnemann, der es erst mal verbockt hat und seine Freundin, die leidet, weil sie es mit verbockt hat und der Galerist, der mich braucht, damit sein Laden nicht vor die Hunde geht und mein Exmann, der wieder mal in der Sinnkrise der Midlifecrisis steckt und mein bester Freund, der todunglücklich ist weil er eine Malblockade hat und die ganzen haltlosen Kids, die sich mit Drogen voll dröhnen und anderen aufs Maul hauen aus purer Verzweiflung und der arme Künstler, der eine Ausstellung will und sie nicht kriegt und das ganze Leid in der Welt, das mir jeden Tag entgegen schreit - nein, wer und was mir nicht alles leid tut. Da kann ich mich ja gleich im Rhein ertränken, weil ich das ganze Mitleiden auf Dauer nicht mehr aushalte.
Ich will jetzt Mitleid! Nein, Mitgefühl will ich und Trost will ich und keine Mittelchen.
Diagnose nach eingehender Exploration des Klienten: Das System ist überfordert. Darum schaltet es jetzt mal ab. Indikation: Nutzen sie ihre depressive Episode, gehen sie auf Tauchstation, behandeln sie sich wie eine gute Mutter ihr Kind behandeln würde und nehmen sie an diesem Wahnsinn eine Weile nicht mehr teil. Ok, ich stelle mich tot. Das hat den Vorteil, dass ich kaum Energie verbrauche und nebenbei ist das Kosten sparend in jeder Hinsicht.
Tschüss, und morgen ist auch noch ein Tag...