Mittwoch, 30. Juli 2025

Die Leute

 



 
Die Leute sind doch alle strunzdumm, verblödet, ignorant, desinteressiert. Die kapieren gar nicht was los ist, die haben eine völlig falsche Einschätzung der Dinge, die machen nix, sagt der alte Mann, der sich auf den freien Stuhl an meinem Tisch setzt.
Er bestellt sich einen Kaffee und ein Sahnetörtchen. Er hört nicht auf zu schimpfen und sich zu beklagen wie schlimm die Leute sind. An seinen unentwegt plappernden Lippen klebt hellbraune Schokocreme.
Als er kurz Luft holt, frage ich ihn: Und was machen Sie?
Er sieht mich an. Für einen Moment vergisst er weiter zu atmen.
Ich?
Ja, Sie. Was tun sie?
Er saugt nervös an seiner Unterlippe: Tja, was kann ich denn schon tun?

Montag, 28. Juli 2025

Selbstvertrauen


                                                                                      Foto: A.Wende

 

Sei dir deiner Gedanken, deiner Gefühle, deiner Gewohnheiten und deiner Zeit bewusst.

Wenn du dir deiner selbst bewusst bist, kann dich niemand manipulieren. 

Nicht mal du selbst.

 

Hör auf immer nur zu reagieren. 
Wenn du immer emotional reagierst, können andere dich kontrollieren. 
Bleib ruhig. Atme. Nutze den Raum zwischen Reiz und Reaktion.
So behältst du die Kontrolle über dich selbst.
 
Wenn du eine Meinung hast, hör auf dich zu erklären oder zu rechtfertigen, 
besonders wenn du sie klar und begründet hervorgebracht hast. 
Jeder hat seine Meinung. Und du die deine. Du musst nichts weiter erläutern.  
 
Jage nicht ständig nach Aufmerksamkeit oder Anerkennung im Außen. 
Hör auf ein Bild von dir abzugeben von dem du glaubst, das andere es gut finden. 
Hör auf Erwartungen erfüllen, nur weil du Angst vor Zurückweisung hast.
Sei du selbst.
Vertraue dir selbst und deiner inneren Wahrheit. 
 
Löse dich von Situationen, Gewohnheiten und Menschen, die deiner Seele schaden. 
Das zieht Energie von Wachstum ab und schwächt Körper, Geist und Seele.
Achte auf heilsamer Energie.
 
Öffne ein Kapitel, das du bereits geschlossen hast, nicht erneut. 
Du hast deine Arbeit gemacht und es abgeschlossen. 
Halte deine Grenzen ein.
 
Hör auf dich zu sorgen. 
Dich sorgen zieht heilsame Energie ab und verstärkt negative Energie.
Die Dinge geschehen, ob du dich sorgst oder nicht. 
Du erschaffst damit selbst ein Hindernis.
Sag dir stattdessen: Egal, was passiert, ich kann mir vertrauen.  
 
Entscheide nicht aus dem Bauch heraus.
Der Bauch kann dich täuschen, in ihm sitzen Triebe.
Nimm bei wichtigen Entscheidungen deinen Verstand und dein Herz mit.  
 

 
 

Samstag, 26. Juli 2025

Wie Wachstum aussehen kann

 

                                                                     Foto: A.Wende


 
Ich kann das nicht – Ich lerne noch
Das ist viel zu schwer – Es wird leichter werden, wenn ich dranbleibe
Ich habe Angst – Ich gehe mit der Angst
Ich darf keine Fehler machen – Durch Fehler lerne und wachse ich
Ich kann nicht mehr – Ich versuche einen anderen Weg
Ich weiß nicht wie es geht – Ich kann lernen wie es geht
Ich bin fühle mich nicht gut genug – Ich kann lernen mich besser zu fühlen
Ich kann nichts ändern – Ich kann lernen es zu ändern
Ich vertraue mir nicht – Ich kann lernen mir zu vertrauen
 
 
 

Freitag, 25. Juli 2025

"Be water, my friend"

 

                                                                 Foto: A. Wende

 

Bruce Lee's "Be water, my friend

ein Satz, den ich immer mehr fühlen kann.

Nichts kann ich erzwingen.

Nichts kann ich wegmachen, was nicht wegzumachen ist.

Nichts kann ich geben, was mir nicht gegeben ist.

Nichts kann ich einfordern, was nicht zu mir will.

Nichts festhalten, was mich verlassen will.

Nichts verdrängen, was ist und gesehen werden will.

Nicht dem Widerstand leisten, was angenommen werden will. 

Nicht fight and flight.

Nicht push and pull.

Es geschehen lassen.

Im Fluss sein.

Flexibel bleiben.

Mich nicht versteifen, sondern angemessen reagieren auf das, was jetzt ist.

Mich wie das Wasser, das sich jeder Form anpasst, anpassen. 

Be water my friend ... 

Donnerstag, 24. Juli 2025

Eine erschütternde Wahrheit

 

                                                                  Foto: A.Wende


Du lebst Jahre in der Überzeugung, dass alles, was du weißt, alles was dich und dein Leben ausmacht, wahr und echt ist. Du vertraust auf den oder die Menschen um dich herum, du fühlst dich sicher und gehalten und bildest deine Überzeugungen auf der Grundlage ihrer Worte und Taten. Doch eines Tages kommt der Moment des Erwachens in Gestalt einer erschütternden Wahrheit, die alles in Frage stellt, was dein Leben ausmachte. Du erkennst, alles, was du für wahr gehalten hast, alles woran du geglaubt hast, alles worauf du deine Identität gebaut hast, war nichts weiter als eine Illusion. Diese Entdeckung reißt dir den Boden unter den Füßen weg. 
 
Da ist Fassungslosigkeit. Ein überwältigender Schock. Der Verstand wehrt sich gegen die Realität, versucht verzweifelt sie zu begreifen und irgendwie einzuordnen, während das Herz vor Schmerz schreit. Du wurdest belogen, betrogen und verraten. Du dachtest, dass alles echt war und du fragst dich: Wie konnte ich nur so blind sein? Wie naiv, wie dumm und wie gutgläubig war ich? Was habe ich verdrängt? Wem kann ich jetzt noch vertrauen?
Und vor allem fragst du dich: Wie kann ich mir selbst noch vertrauen?
Das ist das Schlimmste am Verrat, er lässt dich an dir selbst zweifeln. Du hast das Gefühl, dass du dich nicht einmal mehr auf dich selbst und deine Wahrnehmung verlassen kannst. Du hast in einer Welt gelebt, die nicht wahrhaftig war. Du hast in einer Welt gelebt, die eine Lüge war. Sie war nicht echt. Und jetzt weißt du es und du weißt nicht mehr was und wem du überhaupt noch glauben kannst. Du weißt nicht einmal mehr ob du jemals wieder vertrauen kannst. Das ist die tiefste Wunde, die ein Verrat hinterlässt: Die Welt ist ein unsicheres Gebiet geworden.
Nie mehr, sagst du dir, wirst du so naiv sein, nie mehr wirst du so blind vertrauen. Und du legst einen Panzer um dein Herz. 
 
In diesem Chaos liegt das Gefühl von Verlust.
Der Verlust von Vertrauen, Glauben, Sicherheit, Liebe und der Annahme, dass deine Welt ein sinnvolles, zusammenhängendes Ganzes ist. Mit der Zeit wandelt sich dieses innere Chaos in Trauer. Trauer um die Beziehung(en), die auf falschen Annahmen aufgebaut waren, Trauer um die Zeit, die du in einem illusionären Leben verbracht hat. Trauer um dein „altes Ich“, dessen Identität auf einer Lüge basierte. Diese Trauer kann sich wie ein Schatten über alles legen und ein tiefes Gefühl der Verlassenheit und inneren Einsamkeit hervorrufen. Du verkriechst dich vielleicht, ziehst dich in die selbstgewählte Isolation zurück, willst mit den Menschen und der Welt da draußen nichts mehr zu tun haben. Du fragst sich, ob du diese Enttäuschung jemals überwinden wirst oder ob du für immer in dieser dunklen Erkenntnis gefangen bleibst. Du fragst dich vielleicht sogar, ob es besser gewesen wäre, mit einer Lüge weiterzuleben, wenn dadurch der Schmerz weniger wäre.
Wut kann aufkeimen. Wut auf dich selbst, dass du so blind gewesen bist, Wut auf die, die dich jaherlang in die Irre geführt haben. Diese Wut kann eine kathartische Energie freisetzen. Anklagen, vielleicht Rachegefühle oder den Drang, dich von diesen Menschen, die dich verletzt, belogen und betrogen haben, die dein Vertrauen und deine Liebe missbraucht haben für immer zu verabschieden. 
 
Wie kommst du über eine solche Erschütterung hinweg?
Fakt ist: Die Wahrheit ist ans Licht gekommen und sie verändert dich und dein Leben.
Fakt ist: Lieber eine brutale Wahrheit als weiter die ahnungslose Marionette einer Lebenslüge zu sein, die an Fäden hängt, die andere für dich führen.
Fakt ist: Die Wahrheit macht frei, auch wenn du das jetzt noch nicht glauben kannst.
 
Du könntest ewig Fragen nach dem Warum stellen.
Warum hat man dir das angetan?
Aber keine Erklärung, keine Rechtfertigung, keine Entschuldigung wird deinen Schmerz lindern. Nichts davon kann ungeschehen zu machen sein, nichts dein verlorenes Vertrauen reparieren. Es ist verloren, weg, nicht mehr da. Nur du bist noch da und dieser Schmerz, der dich innerlich zerreißt.
Weine es raus, weine um das, wovon du dachtest, dass es wahrhaftig war, weine um den Verlust, den du erlitten hast. Lass deine Wut raus, schrei, fühle, was immer du fühlst, aber hör auf nach einer Erklärung zu suchen. Hör auf dich selbst zu fragen, was du anders hättest machen können, hör auf dir die Schuld zu geben oder dich dafür zu schämen, dass du vertraut und geliebt hast.
Der Verrat sagt absolut nichts über dich aus.
Er sagt alles über den oder die, die dich verraten haben. Es war ihre Entscheidung, nicht deine. Es lag nicht in deiner Macht. Und es hat absolut nichts mit dir und deinem Wert als Mensch zu tun.
Was in deiner Macht liegt ist, wie du die Lüge bewertest und wie du auf sie antwortest. Letztendlich liegt es an dir, wie du mit dem, was dir widerfährt, umgehst. 
 
Die Entdeckung einer Lüge hat nicht nur destruktive Auswirkungen. 
Die Wucht dieser Kränkung kann ein Katalysator für dein persönliches Wachstum sein. Sie zwingt dich dazu, genauer hinzusehen und dein Leben und deine inneren Überzeugungen zu hinterfragen. Sie ist eine Möglichkeit deine Grenzen zu erforschen und sie setzen zu lernen, nicht aus Angst, sondern aus Selbstachtung und dem Gefühl für deine Selbstwürde, wenn du das bisher nicht konntest. Sie kann zu einer komplexeren, authentischeren Wahrnehmung der Welt führen. Sie kann dazu führen deine eigene innere Wahrheit zu suchen und neue Beziehungen zu gestalten, die auf Ehrlichkeit und Vertrauen basieren.
 
Jeder Lüge, jeder Verrat ist eine Chance.
Sie birgt die Möglichkeit dankbar zu sein, nicht für das, was du erleben musstest, sondern dafür, was du daraus lernen darfst, dafür, dass du jetzt weißt, was du nie mehr akzeptieren und nie mehr mit dir machen lässt. Du kannst daran wachsen, du kannst klarer, stärker und mutiger werden und lernen für dich einzustehen.
Du bist viel stärker als das, was man dir angetan hat.
Du wirst darüber hinauswachsen. Du wirst eine neue Identität erschaffen – frei von Lügen. Und das Gift der Lüge wird nach und nach aus deinem Leben verschwinden. Du wirst nicht mehr das ohnmächtige Opfer fremder Mächte sein, sondern selbstermächtigt. Du wirst es überleben, auch wenn es weh tut, auch wenn es dauert. Du schaffst das. 
 
Jede entlarvte Lüge, jeder Verrat ist eine Möglichkeit das gebrochene Fundament deines Lebens neu zu gestalten, um eine Gegenwart zu schaffen, die authentisch und wahrhaftig ist.
Eine Lüge kann deine Welt erschüttern, doch die Wahrheit, hat die Kraft, sie wieder neu aufzubauen. Im Prozess der Neugestaltung deines Selbst kann eine innere Stärke hervortreten, die das Leben in einem ganz neuen Licht erscheinen lässt. Auch wenn es dauert, auch wenn du es jetzt nicht gauben kannst, am Ende des Prozesses wartet die Freiheit du selbst zu sein. 
 
 
"Die Wahrheit ist eine unzerstörbare Pflanze. Man kann sie ruhig unter einem Felsen vergraben, sie stößt trotzdem durch, wenn es an der Zeit ist."
Frank Thiess
 
Angelika Wende

Mittwoch, 23. Juli 2025

Die Magie liegt in der Mitte

 

                                                       Malerei: A.Wende

 

Kann man trotz der Trauer lächeln? Trotz einem gebrochenen Herzen Freude empfinden? Trotz der Angst Selbstvertrauen haben? Trotz verletzt sein stark sein? Sich verloren fühlen und sich trotzdem sicher fühlen? Traumatisiert und selbstbewusst sein?

Man kann.

Scheinbar widersprüchliche Gefühle können aufgrund der Komplexität menschlicher Emotionen nebeneinander bestehen. Gefühle können koexistieren. Wir Menschen können eine Reihe von Emotionen gleichzeitig erleben, auch wenn sie widersprüchlich erscheinen.

Dies geschieht, wenn verschiedene Aspekte einer Situation unterschiedliche emotionale Reaktionen hervorrufen oder wenn vergangene Erfahrungen, innere Überzeugungen, Bedürfnisse und Wünsche in uns kollidieren.

Scheinbar widersprüchliche Gefühle zu empfinden ist vollkommen normal, das eine schließt das andere nicht aus.

 

Ein dumpfer Geist trennt und schließt aus.

Ein weiser Geist weiß um den Mittelweg.

Die Magie liegt in der Mitte.

 

Dienstag, 22. Juli 2025

Verluste

 



Ich lebe, ich bin noch da, aber tief in mir fühlt es sich an, als sei etwas abgeschnitten. Ich spüre keine Freude mehr, ich habe kein Gefühl mehr von Lebendigkeit, ich fühle mich wie betäubt, innerlich bin ich leer, mein Herz ist schwer.
Diese Worte höre ich oft in der Arbeit mit Menschen und oft ist dieser Zustand Folge eines Verlustes. Dabei spielt es keine Rolle was verloren ist, entscheidend ist die Bedeutung, die das Verlorene für uns hatte. Je mehr Sinn es in unserem Leben hatte, desto schmerzhafter ist der Verlust.
 
„Verluste gehören zum Leben“, kennen wir alle, den Satz. Aber im Zustand der Trauer und der Orientierungslosigkeit, die ein großer Verlust nach sich zieht, hilft er uns nichts. Auch die Aufforderung das Unabänderliche loszulassen hilft uns nichts.
Wir fühlen uns lost, verloren, ohne den Anker, den das Verlorene für uns bedeutete.
Wir alle brauchen einen Anker, etwas an dem wir uns festhalten können. Am besten wir selbst sind dieser Anker, aber auch das ist so leicht gesagt.
Überhaupt, all das leicht Gesagte ist nicht leicht lebbar.
 
Der Kopf kann uns hundert Mal einsagen, was gut für uns wäre, das Gefühl kommt nicht mit.
Wie soll ich fühlen, was ich denke?
Es funktioniert nicht.
Gedanken sind das eine, Gefühle sind das andere.
Gedanken und Gefühle beeinflussen einander und manchmal sind sie im Widerstreit miteinander.
Ich kann mir Akzeptanz und Loslassen nicht denken.
Ich kann es geschehen lassen.
Und dieses Geschehen lassen braucht Zeit.
Und manchmal braucht es viel Zeit.
Je größer der Verlust, desto mehr Zeit braucht es um damit klarzukommen. In der Zwischenzeit ist da genau der Zustand, den ich oben beschrieben habe.
Und den gilt es auszuhalten.
 
Nicht drängen, nicht etwas von uns selbst erwarten, wozu wir noch nicht fähig sind. Nicht drängen lassen.
Es da sein lassen, auch wenn es sich nicht gut anfühlt.
Damit leben, auch wenn es sich nicht gut anfühlt und von der Illusion ablassen, dass alles, was schmerzt, schnell wieder gehen muss. Egal in welcher belastenden Situation wir sind, der größte Fehler ist uns zu drängen, dass es schnell weggehen soll.
 
Wir können nicht heilen, wenn wir vor unserem Schmerz weglaufen. Der einzige Weg geht durch ihn hindurch. Wir müssen mit unserem Schmerz sitzen. Vielleicht sogar länger als uns lieb ist. Aber, der Schmerz, den wir jetzt fühlen, ist nicht das Ende unserer Geschichte. Er ist ein Teil unserer Geschichte. Wir dürfen darauf vertrauen, dass er weniger wird. 
 


 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

Freitag, 18. Juli 2025

Die Vorstellung des Nichts im Tode

 




Seit meinem Stromschlag denke ich wieder einmal mehr über den Tod nach, der ja kommen wird, auch wenn er mich jetzt noch nicht haben wollte. Und ich denke an das Konzept vom ewigen Leben, an das viele Menschen glauben und an das ich nicht glaube. Mir stellt sich bei dem Konzept vom ewigen Leben immer wieder die Frage: Warum sollte dieses zeitlose unzerstörbare Zuhause existieren?
Weil der Mensch nicht willens oder fähig ist, sich selbst als vergänglich zu sehen, seiner Zerstörbarkeit und seiner eigenen Sterblichkeit ins Auge zu blicken, nicht willens anzuerkennen, dass es Lebendiges gibt, das leblos und tot werden kann, sich auflösen kann, vergehen kann, zu Staub werden kann, zu Nichts?

Das Nichts.
Der Mensch kann sich das Nichts nicht vorstellen.
Dazu reicht die Vorstellungskraft des menschlichen Gehirns nicht aus. Er kann sich nicht vorstellen wie es ist, wenn es überhaupt nichts gibt. Er kann sich das Nichts nicht vorstellen, denn könnte er es, wäre es ja wieder etwas und nicht Nichts.

So sucht er seine Rettung vor dem Unvorstellbaren in der Vorstellung vom ewigen Leben, vom zeitlosen unzerstörbaren Zuhause des Selbst. Für mich ist diese Vorstellunge die Abwehr der Angst vor dem eigenen Tod, dem Eingehen ins Nichts. Man könnte sagen: eine omnipotente Strategie der Verleugnung des eigenen Verschwindens ins Nichts.
Ich glaube, je einverstandener man mit dem gelebten Leben ist, desto weniger hat man Angst um die Nichtexistenz des eigenen Selbst und desto weniger wird man sich an die Vorstellung eines zeitlosen unzerstörbaren Zuhauses klammern.

Wenn alles Wandel und Veränderung ist, gibt es auch kein festes und kein ewiges Selbst, an das es sich zu klammern lohnt. Dieses Anklammern des Menschen an etwas, das er als sein unzerstörbares Selbst betrachtet, ist eine der Wurzeln des Leidens.
Wie sagte Frida Kahlo einmal: "Ich erwarte freudig den Ausgang – und hoffe, nie wieder zurückzukehren."
Das hoffe ich auch. 

Und bis dahin ... Viva la Vida!


Donnerstag, 17. Juli 2025

Carpe Diem


 
Ich renoviere gerade meine Wohnung. Während ich die Fliesen im Bad streiche, sehe ich die alte Lampe über dem Spiegel, die ich für tot halte. Ich beschließe sie anzuschließen, um zu sehen, ob sie noch funktioniert.
Zack! Ein lauter Knall und ein Gefühl, als würde ein Blitzeinschlag direkt in meiner Hand zünden. Mein Herz rast, ich zittere am ganzen Körper und denke: „Wow, das war´s jetzt.“
Mit Herzklopfen, zitternd und schwindelig, befrage ich Dr. Google, was ich machen soll. Ist ja sonst keiner da, den ich fragen kann. Der meint: Auch nach einem kleinen Stromschlag soll man unbedingt den Arzt rufen und sich gründlich durchchecken lassen. Insbesondere das EKG gibt Aufschluss über Herzrhythmusstörungen.
Hm, ich rufe ja nicht so gern den Notarzt, was ein Act, aber als ich an mein Herz denke, das so bedrohlich klopft und an meine angeborene dritte Leitung zu viel, die schon ohne Stromzufuhr ab und zu außer Takt gerät und wie irre losrast, hab ich es doch gemacht. In drei Minuten war er da.
In die Augen geleuchtet, EKG gemacht. „Alles gut“, meint er und ich soll mich 24 Stunden beobachten und sofort wieder anrufen, falls es mir schlechter geht und, ich solle doch in Zukunft die Sicherung rausdrehen, bevor ich mich am Strom vergehe.
Tja, wie blöd kann man sein.
Jedenfalls, ich habe großes Glück gehabt. Ich bin noch am Leben und sehr dankbar, dass ich es noch bin und für die zündende Erinnerung: Das Leben kann verdammt schnell vorbei sein. Das wusste ich zwar schon immer, aber gefühlt ist es was anderes.
Also, Carpe Diem, mach das Beste aus jedem Tag, du weißt nie, wie lange du es noch kannst.

I am still here and that is everything.

Montag, 14. Juli 2025

Unsere eigene Geschichte

 

Die meisten Menschen tragen ihre Wunde mit sich herum, als wäre sie die Person, die sie sind, und erkennen nicht, dass es nur die Wunde ist, die sie mit sich herumtragen. Sie sind so damit identifiziert, dass sie sich nie fragen, ob es einen Ausweg gibt, oder sie sind davon überzeugt, dass es ihn nicht gibt und sich die Mühe nicht lohnt, ihn zu finden.
Dabei haben wir alle haben die Chance zu erfahren, wer wir wirklich sind, jenseits der Geschichten unserer Kindheit, wenn wir uns auf den Weg machen.
 
Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte und seine eigenen Wunden, die einzigartig sind.
Daher hat jeder Mensch seinen eigenen Weg, um zu genesen. Was für den einen hilfreich ist, ist es für den anderen nicht. Was bei einem wirkt, wirkt beim anderen nicht. 
 
Heilung ist eine sehr persönliche Reise.
Sie erfordert die Bereitschaft unseren ureigenen Weg zu finden.
Dann, wenn wir ihn gehen, wird es unsere eigene Geschichte.
 
 

Alles, was uns passiert, kann zu einem Segen werden.
Wenn wir ein Trauma oder Schmerzen erleiden, ist das für uns das Schlimmste auf der Welt. Aber wenn wir den Schmerz verarbeitet haben, wird er zu etwas, das uns Kraft gibt. Er wird zu etwas, das uns als Wegweiser und Lehrer dient.
 
Wir alle sind hier, um einander zu helfen zu heilen. Wenn ich nur einem Menschen helfen kann, sich besser zu fühlen, dann folge ich meiner Bestimmung. 
 
 

 
 
 
 
 
Angelika Wende

Sonntag, 13. Juli 2025

Schatten

 



Du denkst du hast etwas abgeschlossen und deine Lektion gelernt. Du denkst, das wird dir nie mehr in ähnlicher Weise passieren und wähnst dich immun. Und dann holt dich die Erinnerung, mitsamt allen Gefühlen, in Gestalt des Ähnlichen wieder ein. Du denkst, das kann doch nicht wahr sein. Du bist verwirrt und spürst wie dich das, was du abgeschlossen zu haben glaubtest, wie magisch anzieht.
Und dann begreifst du: Es gibt Dinge und Menschen, die dich immer magisch anziehen werden, das wird sich nicht ändern. Da ist etwas in dir, was damit in Resonanz geht, was so intensiv ist, dass es dich reizt. Da ist dieser Teil in dir, nenn es Schatten, den du nicht los wirst, weil es eben ein Teil deines Ganzen ist. Der bleibt. Was sich aber ändert, ist deine Reaktion darauf.
Du lässt die Finger davon, auch wenn es dich magisch anzieht.
Du widerstehst der Versuchung und backst dir ein Ei drauf.

Samstag, 12. Juli 2025

Aus der Praxis: Gewalt in Beziehungen

 

                                                                 Malerei: A.Wende



Die Gewalt ist ein Bereich undurchdringlicher Dunkelheit des Menschseins, den wir niemals vollständig begreifen werden. Der Mensch ist zu allem fähig, zu Liebe und Mitgefühl ebenso wie zur Grausamkeit und zur Zerstörung.

Wenn die Gewalt spricht, schweigt das Argument.
Menschen können zu gewalttätigen Monstern werden. Darin zeigt sich die dunkle Seite ihres Menschseins. Gewalt ist eine für jeden von uns zugängliche Handlungsoption. Wo Gewalt ausgeübt wird gibt es Täter und Opfer. 

 

Gewalt, egal ob es emotionale, psychische oder körperliche Gewalt ist, wirkt auf den Körper, sie hinterlässt tiefe Spuren an Körper und Seele. Gewalt verletzt und verursacht Schmerzen ud Leid. Wenn uns Gewalt widerfährt ist nichts wie zuvor. Für den Täter ist es das Gefühl von Allmacht, das er empfindet, für das Opfer ist es das Gefühl absoluter Ohnmacht.

 

Gewalt in Beziehungen verändert die Bedingungen unter denen Menschen einander begegnen, denn nach der Gewalttat ist nichts mehr wie es zuvor war.

Dennoch bleiben viele Opfer von Gewalttätern in diesen Beziehungen.

Sie versuchen die Gewalt als Ausnahmehandlung des anderen zu rationalisieren, sie versuchen sie wegzuerklären um ihre Fassungslosigkeit zu domestizieren.

Sie versuchen den, der ihnen Gewalt angetan hat, zu verstehen.

Sie suchen nach Rechtfertigungen, nach Erklärungen, nach Entschuldigungen für den Täter. 

Sie wenden sich dem Täter und seinen Absichten und Motiven zu und nicht den eigenen Gefühlen.

 

Die Intention des Täters verstehen zu wollen gehört immer zum Erleben des Opfers.

Das liegt daran, dass wir Menschen nicht nur auf Handlungen reagieren, sondern nach den dahinterliegenden Absichten fragen.

Wir fragen uns: Ist die Gewalt, die mir angetan wurde, absichtsvoll oder versehentlich geschehen, aus dem Affekt heraus oder mit Vorsatz?

Ist die Gewalt mit Erniedrigung und Demütigung verbunden?

Was habe ich getan, dass mir Gewalt widerfährt?

Womit habe ich den Täter vielleicht provoziert?

Was hat er für Probleme?

Welche Umstände haben es ihm ermöglicht, seine Hemmungen abzulegen?

Was wird durch die Gewalt mitgeteilt?

All das hat einen Einfluss darauf, wie eine Gewalttat bewältigt wird und wie Menschen auf sie antworteten.

 

In der Definition des Soziologen Heinrich Popitz ist Gewalt „eine Machtaktion, die zur absichtlichen Verletzung anderer führt, gleichgültig, ob sie ihren Sinn im Vollzug selbst hat, als bloße Aktionsmacht, oder, in Drohungen umgesetzt, zu einer dauerhaften Unterwerfung, als bindende Aktionsmacht führen soll“.

In dieser Definition liegt die Antwort: Bei jeder Art von Gewalt geht es um Machtausübung über andere. Darin liegt der Ursprung von Gewalt: "Ich erhebe mich mächtig über dich und versetze dich in Ohnmacht."

 

Wer ohnmächtig ist, ist hilflos, gelähmt, handlungsunfähig, erstarrt.

Er ist manipulierbar und kontrollierbar.

Er ist seiner Ich – Stärke und seinen Selbstwertes beraubt. Er ist in seiner Würde verletzt.

Er ist Opfer.

Ein Opfer, das begreifen muss, dass Gewalt aus einem Macht- und Kontrollbedürfnis resultiert.

Das wissen muss: Aggressoren nutzen Gewalt als Mittel, um Kontrolle über ihre Opfer auszuüben und ihre eigenen Unsicherheiten oder Probleme zu kompensieren.

Das wissen muss, dass es normal ist, sich nach einem gewalttätigen Vorfall verwirrt, ängstlich, beschämt oder machtlos zu fühlen.

Das wissen muss: Es gibt keine Rechtfertigung und keine Entschuldigung für Gewalt – sie ist ein NO GO in jeder Art von Beziehungen. Sie ist maximale Grenzüberschreitung.

 

Wenn wir Opfer von Gewalt wurden, egal ob es körperliche, emotionale, psychische oder sexuelle Gewalt war, ist es immens wichtig über unsere Gefühle zu sprechen, unsere Gefühle, Gedanken und Erfahrungen, als real anzuerkennen, ohne sie zu bewerten oder zu verurteilen. Es geht darum uns auf uns selbst zu konzentrieren und auf unsere innere Welt und nicht auf den Täter. Es geht darum, das Gefühl der Demütigung und der Scham, die viele Opfer von Gewalt empfinden, dahin zurückzugeben wo sie hingehören -  zum Täter.

Es geht darum zu erkennen: Es war nicht mein Fehler und nicht meine Schuld.

Denn, egal was ich gesagt oder getan habe, Gewalt ist niemals eine gerechtfertigte Antwort.

Sie ist inakzeptabel und zerstörerisch.

 

Eine Gewalterfahrung zu verarbeiten kann dauern, denn Gewalt ist, weil sie verletzt und Schmerzen verursacht, eine fortwährende Irritation von Körper, Geist und Seele und eine Herausforderung für das Begreifen des Unfassbaren.  

Und damit ist sie eine Traumatische Erfahrung, die bewältigt werden muss, um zu genesen. 

Für Opfer von Gewalt ist es wichtig sich Hilfe zu suchen, um die Dynamik zu verstehen und sich nicht allein oder schuldig zu fühlen. Erst dann kann es m.E. Sinn machen das Verhalten des Aggressors zu kontextualisieren und zu validieren, um das Opfer emotional zu entlasten.

 

Wenn uns Gewalt widerfahren ist können wir es nicht ändern. 

Wir müssen es verarbeiten, so gut wir können, aber wir können Vorkehrungen treffen, die künftig Menschen davon abhält, Gewalt gegen uns auszuüben.

 

 

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit habe ich auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

 

Angelika Wende

www.wende-praxis.de

 

 

Mittwoch, 9. Juli 2025

Ein neues Drehbuch

 



 
Das Gelingen eines therapeutischen Prozesses ist der Punkt an dem der Mensch als Autor seines Lebens ein neues Drehbuch zu schreiben beginnt. Es unterscheidet sich vom alten Drehbuch dadurch, dass es weniger rückwärtsgewandt in der Vergangenheit spielt, sondern vielmehr ein Entwurf auf das Jetzt und die Zukunft hin ist. Es ist weniger verhaftet und gefangen in kindlichen Gefühlen, Mustern und Überlebensstrategien, weniger verstrickt in Selbstlügen und innerseelischen Konflikten, Mythen der alten Geschichten und infantilem Wunschdenken, freier von belastenden und quälenden Wiederholungen, sondern erwachsener und reifer, akzeptierender, selbstverstehender, gelassener, klarer und selbstbewusster, mehr der Wirklichkeit im Jetzt und der eigenen inneren Wahrheit zugewandt.

Montag, 7. Juli 2025

Alter Schmerz

 
 
                                                   
Malerei: A.Wende
 
 
 
Wir holen uns immer wieder in Dosen den alten Schmerz zurück, den wir am meisten loswerden wollen.
Die alte Trauer, die alte Wut, die alte Schuld, die alte Ohnmacht, die alte Scham, die alte Angst unserer Kindheit.
Wir tun das solange und so oft, bis wir innerlich bereit sind ihn nicht mehr zu verdrängen, abzuwehren, auf äußere Schauplätze zu verlagern, in ihn unheilsamen Beziehungen zu verpacken, zu dissoziieren oder zu kompensieren.
Wir tun das solange bis wir bereit sind ihn endlich zu fühlen und zu verarbeiten um ihn loslassen zu können.

Samstag, 5. Juli 2025

coming home von Lars Amend

 



„Das größte Geschenk, das wir unseren Eltern machen können, besteht darin, gesunde Beziehungen zu führen, ein gesundes Zuhause aufzubauen und gesunde Kinder zu erziehen. Nur so können wir den Kreislauf des Schmerzes durchbrechen, alte Traumata auflösen und ihre Weitergabe an die nächste Generation verhindern.“
Das ist ein Satz aus dem Buch „coming home“ von Lars Amend, der mich besonders berührt hat, weil er Recht hat. Und es ist nicht nur das größte Geschenk für unsere Eltern, es ist auch das größte Geschenk, das wir uns selbst machen können und unseren Kindern. Ich habe mich oft gefragt, ob mir mir das für meinem Sohn gelungen ist. Vor langer Zeit habe ich ihn einmal gefragt, ob er sich geliebt fühlt, ob er mit seinem Leben zufrieden ist und ob er es liebt. Er sagte ja. Es hat mich entlastet, das zu wissen, denn nichts war mir, seit ich Mutter wurde, wichtiger als das Familentrauma für ihn aufzulösen und ihn vor den dunklen Schatten meiner Ursprungsfamilie zu bewahren. 
 
„Coming home“ ist ein kluges, intensives und sehr persönliches Buch in dem sich der Autor nach dem Tod seiner Mutter fragt, was im Leben wirklich von Bedeutung ist. Er fragt nach seiner Bestimmung, nach dem Paradies und wo es zu finden ist, ob unsere Lebensgeschichten ein gutes Ende nehmen können und welche Möglichkeiten in unserer Hand liegen. Das Buch berührt Fragen, die viele von uns beschäftigen. Und es erinnert daran, dass Wissen bedeutet, die richtigen Fragen zu stellen.
 
Ich mag das Buch. "coming home" ist ein heilsames Buch für alle, die auf dem Weg nach Hause zu sich selbst sind.

Freitag, 4. Juli 2025

Aus der Praxis: Die Psychologie der Angst vor Veränderungen

 



Wenn wir mit unserer Situation unzufrieden sind, sei es im Beruf, in der Beziehung, mit unserer Umgebung, unserer Gesundheit, unserem Lebenssinn oder weil wir das Gefühl haben zu stagnieren, kurz – wenn wir spüren so wie es ist, ist es nicht mehr gut, kommt der Wunsch nach Veränderung. Wir sagen: Wir sind bereit und dann, wenn wir ins Handeln kommen müssen, kommt Angst. Wir fürchten die ersten Schritte, wir haben Angst vor dem, was uns erwartet.
Die Angst vor Veränderungen ist tief in der menschlichen Natur verwurzelt. Ein zentraler Aspekt der Angst vor Veränderungen ist die Ungewissheit. 
 
Gemäß der Uncertainty Reduction Theory Charles Berger und Richard Calabrese, die in den 1970er Jahren entwickelt wurde, suchen wir Menschen nach Vorhersehbarkeit und Stabilität im Leben. Jede Veränderung, ob gewollt oder ungewollt, bringt die vertraute Stabilität ins Wanken. Sie bringt unvorhersehbare Ergebnisse mit sich. Auch wenn wir eine bestimmte Entscheidung treffen, die wir für notwendig halten - wir wissen nicht was kommt, wir haben keine Kontrolle über das Ergebnis und den Ausgang und das kann zu erheblichem emotionalem Stress führen. In der Psychologie gilt das Bedürfnis nach Kontrolle als grundlegendes menschliches Bedürfnis. Wenn wir das Gefühl haben, die Kontrolle über unsere Umgebung, unser Leben oder unser Schicksal zu verlieren, empfinden wir Angst. Wir Menschen haben ein natürliches Bedürfnis, Unsicherheit zu reduzieren, unsere soziale Umgebung zu verstehen und Vorhersagen über das Verhalten anderer zu treffen. Je größer das Gefühl von Kontrolle desto sicherer fühlen wir uns. Je geringer das Gefühl von Kontrolle, desto unsicher und ängstlicher fühlen wir uns. Und umgekehrt: je größer die Angst, desto größer das Bedürfnis nach Kontrolle. Veränderung geschieht, sie ist ein Prozess der nicht unserer Kontrolle unterliegt. Wir müssen uns darauf einlassen und darauf vertrauen, dass es gut geht. Und hier gilt – je weniger Vertrauen ein Mensch hat, desto größer ist die Angst und das Bedürfnis nach Kontrolle.
 
Ein weiterer Grund für die Angst vor Veränderung ist die emotionale Bindung an bestehende Strukturen, Menschen, Gewohnheiten oder Routinen. Die Bindungstheorie besagt, dass sichere Bindungen einen essentiellen Einfluss auf die emotionale Entwicklung und das Wohlbefinden eines Individuums haben. Bei Veränderungen kann die Angst vor dem Verlust dieser Bindungen zu emotionalem Stress führen. Daher fürchten viele Menschen, dass sie durch Veränderungen vertraute Beziehungen verlieren könnten.
 
Kognitive Verzerrungen, wie die Negativitätsverzerrung – die Tendenz, negative Informationen stärker zu gewichten als positive – spielen bei der Angst vor Veränderung ebenfalls eine Rolle. Diese Verzerrungen können dazu führen, dass wir uns auf die potenziellen negativen Konsequenzen einer Veränderung fokussieren, anstatt die Vorteile zu erkennen. Dieser Mechanismus ist eng mit der Vermeidungstendenz verbunden, einem Abwehrmechanismus, der dazu führt, unangenehme Situationen oder Entscheidungen zu vermeiden.
 
Veränderung geht einher mit der Frage des freien Willens.
Können wir wollen, was wir sollen?" ist eine zentrale Frage der Kantischen Ethik. Der amerikanische Neurobiologe Robert Sapolsky behauptet in seinem Buch „Determined“, dass es keinen freien Willen gibt. Er sagt, dass es kein einziges Verhalten gibt, das völlig unabhängig ist von jeglichem Einfluss durch Genetik, Hormone, sozioökonomische Bedingungen, Umwelt und der persönliche Geschichte eines Menschen und dass man, wenn es um den freien Wille geht, die Verknüpfungen zwischen all diesen Daten berücksichtigen muss. 
Weiter behauptet er, dass der freie Wille nicht aus dem Nichts entsteht, sondern dass es sich vielmehr um Feedback-Schleifen handelt, um Rückkopplungsmechanismen im Hirn, die eine Form der metakognitiven Überlegung und letztendlich des Willens ermöglichen und dass Menschen zudem biologisch gesehen unterschiedliche Gehirne haben, um auf Metakognitionen einzuwirken. Kurz: Je nachdem wir unser Gehirn funktioniert, können wir mehr oder weniger wollen was wir wollen.
 
Soziale Normen und Erwartungen haben ebenfalls einen erheblichen Einfluss auf die individuelle Bereitschaft zur Veränderung. Viele von uns sind bestrebt, sich den Erwartungen ihres Umfelds, ihrer Freunde, der Familie und der Gesellschaft anzupassen. Diese Dynamik wird durch den „Bandwagon-Effekt“ verstärkt, der besagt, dass die meisten Menschen vornehmlich Entscheidungen im Einklang mit dem Verhalten der Mehrheit treffen, um Akzeptanz und Zugehörigkeit zu finden. Hier kommt die Angst vor Zurückweisung, Ablehnung oder sozialer Ausgrenzung ins Spiel. 
 
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, heißt es, und da ist viel dran. Uns allen fällt es schwer Gewohnheiten abzulegen, und das aus mehreren Gründen:
Gewohnheiten sind im Gehirn fest verankert. Sie werden durch wiederholtes Verhalten verstärkt und bilden neuronale Pfade, die leicht aktiviert werden, was zur Automatisierung führt. Gewohnheiten bieten Sicherheit und Komfort. Veränderungen dagegen erfordern Anstrengung und sind mit Unsicherheit und emotionalem Stress verbunden. Um das zu vermeiden bleiben viele lieber in ihrer Komfortzone, die ist vertraut und bequem, auch wenn sie unheilsam oder selbstschädigend ist.
Eine wesentliche Rolle spielt hier das Belohnungssystem. Gewohnheiten sind häufig mit positiven Gefühlen oder Belohnungen verbunden, was es schwierig macht, sie aufzugeben, selbst wenn sie zerstörerisch sind, wie z.B. alle Arten von Süchten.
Zudem sind unsere Gewohnheiten Teil unseres Selbstbildes.
Die Änderung einer Gewohnheit kann als Bedrohung für die eigene Identität empfunden werden, was den Prozess zusätzlich erschwert. Gewohnheiten können auch durch das soziale Umfeld beeinflusst werden. Wenn Freunde oder Familie bestimmte Gewohnheiten pflegen, ist es schwierig, sich davon zu distanzieren oder zu lösen.
Das Aufgeben von Gewohnheiten erfordert zudem neue Fähigkeiten und Strategien. Der Lernprozess kann anstrengend und herausfordernd sein, er erfordert Beständigkeit und Geduld und eine gewisse Frustrationstoleranz, wenn es nicht auf Anhieb klappt, daher geben die meisten auf.
 
Die Angst vor Veränderungen ist ein komplexes Phänomen, das tief in psychologischen Mechanismen und menschlichen Bedürfnissen verwurzelt ist. Wenn uns Veränderung nicht gelingt, kann das viele Ursachen haben. Dann macht es Sinn herauszufinden, was uns maßgeblich daran hindert. Indem wir uns unserer Ängste und Blockaden bewusst werden und diese hinterfragen, können wir lernen, Veränderungen beewusst anzugehen, im Wissen: Veränderung ist für unser Wachstum notwendig.
 
Meine Erfahrung sagt:
Menschen ändern sich nur dann, wenn sie sich ändern wollen,
wenn die Bereitschaft sich ändern zu wollen hoch ist und wenn sie ein Ziel vor Augen haben, dass ihnen Belohnung verspricht.
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de