Mittwoch, 10. Dezember 2014

AUS DER PRAXIS - Hilfe für die Kinder depressiver Eltern


"Depression", Acryl auf Leinwand, Angelika Wende, 2014

Depressive Menschen haben meist auch eine Familie. Sie haben erwachsene Angehörige und sie haben Kinder und meistens leiden alle mit. Wer selbst Depressionen erlebt oder erlebt hat, oder wer mit einem depressiven Menschen lebt, weiß, dass sich der Schatten der Depression immer über das ganze Familiensystem legt. Erwachsene Angehörige können zu verstehen versuchen, was da mit dem Partner gerade passiert und wenn sie die Schwere der Situation zu sehr belastet, wie der depressive Partner auch, professionelle Hilfe suchen um mit der Situation besser umgehen zu können. Kinder können das nicht. Aber gerade sie leiden am Meisten. Sie sind hilflos und ohnmächtig dem ausgesetzt, was mit Mutter oder Vater in der Depression geschieht. Sie müssen dabei zusehen, wie der geliebte Elternteil unerreichbar und fremd wird, denn je nach Schwere einer Depression verändern Menschen ihr Wesen und ihr Verhalten. Das macht einem Kind Angst. Es wird in eine Krankheit hineingezogen mit der es nicht umgehen kann. Das Kind ist seelisch völlig überfordert und wird im Zweifel selbst krank, an der Seele oder körperlich.

Ein Beispiel: Eine Klientin berichtet, dass sie in den depressiven Phasen nicht nur den Kontakt zu sich selbst, sondern auch den Kontakt zu den eigenen Kindern verliert. Sie sagt, dass sie das wie von Außen beobachten kann und nichts dagegen tun kann, dass sie darunter zusätzlich leidet, aber trotz allen Wollens mit ihren Kindern nicht mehr klarkommt. Das geht soweit, dass sie sich wünscht, sie wären einfach nicht da, solange sie nicht gesund ist. Das mache ihr zusätzlich Scham- und Schuldgefühle und die Depression werde noch schlimmer. 

Aber wie erklärt man seinen Kindern, dass Mama jetzt so ist, wie sie ist und es nichts mit ihnen zu tun hat? Wie erklärt man einem Kind, dass die Mama nichts mehr spürt und sich selbst nicht mehr versteht? 
Kinder fühlen sich schuldig, wenn es der Mama schlecht geht, sie glauben etwas falsch gemacht zu haben, nicht lieb genug zu sein und sie denken, dass sie möglicherweise die Ursache dafür sind, dass Mama auf einmal so komisch ist. Wenn einem Kind Zuwendung und Unterstützung eines Elternteils fehlen und der gesunde Elternteil, der diesen Mangel ausgleichen könnte, zu sehr mit dem kranken Partner belastet ist, verändert sich die Mutter-Vater-Kind-Beziehung massiv. Das System krankt wie der seelisch Kranke und alle sind im Tiefsten allein.

Untersuchungen ergaben Folgendes: Das Verhalten depressiver Mütter äußert sich nicht nur in Defiziten wie weniger Interesse und wenig emotionaler Beteiligung, sie sind weniger einfühlsam, entwickeln vermehrt negative Gefühle und fühlen sich den Ansprüchen des Kindes und der Erziehung nicht mehr gewachsen. Es kommt zu erheblichen Problemen in der Aufmerksamkeits- und Zuwendungshaltung. Denkstörungen in der Depression können zudem starke Ängste und sogar offene Feindseligkeit gegenüber dem Kind aufkommen lassen. Häufig beschrieben wird eine affektive Übererregtheit und eine verringerte verbale Expressivität und Kommunikationsfähigkeit.

Was macht das mit dem Kind?
In emotionalen Belastungssituationen kommt es bei Kindern zu einer Überflutung durch sich von innen und außen aufdrängende Informationen, die es nicht begreifen und entschlüsseln kann. Das führt auf der psychischen Ebene zu Anspannung, Angst und Erschütterungen des kindlichen Selbstverständnisses. Die Risikoforschung ergab, dass Kinder, die in Familien aufwachsen, in denen ein Elternteil psychisch krank ist, ein hohes Risiko haben, selbst eine psychische Störung zu entwickeln. Das Risiko ist sogar um den Faktor zwei bis drei erhöht. Dabei weisen ein Drittel der untersuchten Kinder keine Beeinträchtigungen auf, ein weiteres Drittel lediglich vorübergehende Auffälligkeiten, beim restlichen Drittel zeigen sich fortdauernde seelische Störungen. Diese Auffälligkeiten betreffen vor allem die geistig-intellektuelle und die seelische Entwicklung der Kinder. Am häufigsten finden sich depressive, dissoziale und aggressive Störungen sowie Verhaltensstörungen. Das Risiko für eine seelische Störung wie die Depression ist etwa 3 bis 6 mal höher als bei gesunden Eltern. Sind beide Elternteile depressiv erkrankt, liegt die Erkrankungswahrscheinlichkeit der Kinder bei ca. siebzig Prozent. Was Alter und Geschlecht der Kinder angeht, so zeigen Kinder aller Altersstufen ein erhöhtes Risiko für psychische Störungen bei elterlicher Erkrankung. Je älter das Kind ist und je bewusster es erlebt, was geschieht, desto nachhaltiger sind die negativen Folgen für seine eigene seelische Gesundheit.
Diese Ergebnisse sind traurig und alarmierend. Deshalb ist es so wichtig, die Kinder in die Behandlung der depressiven Mutter oder des depressiven Vaters mit einzubeziehen und als nicht betroffener Elternteil die Sorge für die Kinder nicht allein zu tragen, (die meisten Menschen sind mit dem depressiven Partner sowieso schon extrem belastet), sondern sich hilfreiche Unterstützung, also professionelle Betreuungs- und Behandlungshilfe für die Kinder zu suchen.

Was hilft den Kindern?
Eine alters- und entwicklungsadäquate Aufklärung über die Erkrankung der Mutter oder des Vaters ist immens wichtig. Verleugnung oder Verzerrung der Realität helfen dem Kind nicht, es spürt ja, dass etwas nicht stimmt und vertraut seiner Wahrnehmung. Das Kind muss in seiner Wahrnehmung ernst genommen werden, es muss begreifen dürfen, was da mit dem geliebten Menschen geschieht. Es muss wissen, dass es keine Schuld daran hat und nicht für das Leiden des Elternteils in irgendeiner Weise verantwortlich ist. Des Weiteren ist eine tragende und sichere emotionale Bindung an die gesunde Bezugsperson im Familiensystem hilfreich, oder bei Alleinerziehenden, zu nahen Verwandten. 

Von großer Bedeutung ist das Erziehungsklima selbst. Ist es empathisch und liebevoll und hat es feste und klare Regeln und Strukturen, fühlt das Kind sich dennoch geborgen. Allerdings ist es schwer in belastenden Situationen ein stabiles, gesundes Familienklima zu schaffen. Das ist nur dann möglich, wenn trotz aller Belastungen eine gute Paarbeziehung besteht, die dem Kind vermittelt: Wir schaffen das, die Mama (oder der Papa) werden wieder gesund. Deshalb ist auch die Art, wie der gesunde Partner mit dem Kranken umgeht von großer Bedeutung. Ist er selbst überfordert und leidet er sichtbar mit, ist das zutiefst beängstigend für das Kind. Dann bricht im Zweifel, je nach Resilienz des Kindes, die innere kindliche Welt vollends zusammen. 

Immens wichtig ist letztlich auch die Einstellung des depressiven Elternteils zu sich selbst und seiner Depression, nämlich in welchem Maße er fähig ist die Krankheit zu akzeptieren, ohne in die totale Resignation zu verfallen. Hier gilt wie bei jeder psychischen Störung: Je bewusster die Einstellung zur Fähigkeit der Krankheitsbewältigung ist, desto besser ist ihr Umgang damit und desto besser greifen Hilfe-und Heilmaßnahmen.
  
Fazit: Eine Depression ist nicht nur für den Depressiven eine erdrückende Last, sie belastet ein ganzes System und deshalb braucht das ganze System Hilfe. Diese findet sich in allen therapeutischen Bereichen, als auch in der Kinder-und Jugendhilfe.


Ich danke meiner Klientin Claudia Krug von ganzem Herzen, für den Mut und die Größe, mir dieses berührende Gedicht zur Veröffentlichung zu überlassen. 

Traurigkeit…

spüre ich wenn ich meine Kinder weinen lasse wenn sie mich brauchen,
wenn sie ersaufen, in Ihrer Angst.

In Ihrer Klemme feststecken zwischen klein sein und allein sein,
zwischen nicht groß sein und nicht doof sein, ungut und ohne Mut,
zwischen ihrem hier und meinem dort
und dem Teil von mir, von dem ich nichts spüre, nur er ist fort.
Zwischen dem was ich ihnen nicht geben kann, weil ich es selbst nicht
habe, außer der Gabe sie leiden zu lassen und mich dafür zu hassen.

Weil ich selbst mir so fremd bin, ungut und ohne Mut
und mit einem Herz in der Klemme zwischen klein sein und allein sein.
Und ich weiß, groß sein ist doof sein
zwischen meinem hier und ihrem dort
und dem Teil von mir von dem auch meine Kinder nur spüren, er ist fort.

Und dort wo er ist, da kann ich nicht hin.
Doch ich suche ihn weiter dort wo er nicht sein kann,
mit dem Gefühl, das nicht vergisst wie schön er ist.
Weil mein Herz eben hofft, vielleicht komm ich noch dran.
Weil meine Kinder wissen wie sehr sie ihn vermissen.
 

Mamas schönen Teil den sie so dringend brauchen
um nicht zu ersaufen in ihrer Angst.
Und wir wissen er ist irgendwo dort
dieser Teil von dem wir nur spüren, er ist fort.


(c) Claudia Krug 2014

mehr von Claudia lest Ihr hier: http://endlichblog.blogspot.de/



7 Kommentare:

  1. Hallo! Gerade bin ich hier über "Fliedermütterchen" gelandet.
    Wir betreuen eine gerade 17 Jahre alt gewordene junge Dame, deren Mutter schwer psychisch krank ist und leider keinen Partner hatte, der diese Krankheit (Depression ist hier nur ein Teilbereich) mittragen konnte.
    Üble Sache, das Mädel ist echt gestraft und bräuchte eigentlich selber psychotherapeutische Unterstützung, die der LV leider verweigert (wie so einiges andere auch). Schwierig.

    Liebe Grüße vom
    LandEi

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. hallo, ich wünsche euch viel kraft!

      dann ist es umso besser, dass die junge dame euch hat.

      lieben gruß und alles GUTE,
      angelika

      Löschen
  2. Für nicht zu kleine Kinder fande ich das Buch "Warum ist Mama so traurig, auch wenn die Sonne lacht?" nicht schlecht.
    Auch die anderen Bücher auf der Seite http://www.mzfk.net scheinen, je nach Krankheitsbild, interessant zu sein.

    AntwortenLöschen
  3. Danke für diese lieben und sehr informativen Zeilen, die ich gern geteilt habe. Es ist schwer für Familien, mit dieser Krankheit zu leben. Es ist schwer für die Betroffenen, für die Kinder da zu sein und seinen eigenen Ängste, ihnen nicht gerecht zu werden, auszublenden.

    AntwortenLöschen