Samstag, 6. Dezember 2014

AUS DER PRAXIS – Vom Sinn der Depression



Die schwarze Dame, AW

Carl Gustav Jung sagte einmal: „Die Depression gleicht einer Dame in Schwarz. Tritt sie auf, so weise sie nicht weg, sondern bitte sie als Gast zu Tisch und höre, was sie zu sagen hat." Ein schönes Bild, finde ich, wenn auch für einen unschönen Seelenzustand. Was Jung damit vorgibt ist ein wertvoller Impuls um mit der Depression Kontakt aufzunehmen, in Dialog zu treten mit einem Teil des eigenen Inneren. Er hat das selbst getan, denn auch der große Analytiker hatte in seinem Leben eine schwere Depression. 
Wie der Name schon sagt, besteht  bei der Depression (von lat. deprimere „niederdrücken“) ein Druck nach unten, besser ausgedrückt - nach innen, sie ist ein zutiefst introvertierter Zustand.  
Es gibt unzählige Arten von Depressionen. Depressionen sind so verschieden wie die Menschen, die sie erleiden.
Von einer endogenen Depression spricht man, wenn es weder eine körperliche, noch eine psychische Ursache für die Depression zu geben scheint. Deswegen nimmt man an, dass die Ursachen von innen heraus entstanden sind. So können hier zum Beispiel auch genetische Faktoren zum Ausbruch der Krankheit beitragen. Die endogene Depression verläuft in in Phasen, die Abstände variieren zwischen wenigen Tagen und einem Jahr oder mehr. Man hat herausgefunden, dass besonders Männer hierbei häufiger auf berufliche Probleme oder Besitzverlust, Frauen hingegen eher auf partnerschaftliche oder familiäre Probleme, reagieren, die dann einen neuen Schub auslösen. Innerhalb der endogenen Depression unterscheidet man zudem zwischen der unipolaren und der bipolaren Depression. Die endogene Depressionen kennzeichnet sich durch den phasenhaften Verlauf. Sie beginnt sehr langsam, der Betroffene spürt kaum Anzeichen.  Bei manchen Menschen kommen nach einigen Tagen, Wochen oder Monaten Symptome auf, die nach einiger Zeit wieder von selbst verschwinden. Sie kann im Laufe des Lebens nur einmal auftreten oder immer wieder in schweren Schüben.
Die unipolare Depression kann sich in der Melancholie zeigen. Sie ist die am häufigsten auftretende Erkrankung bei den Depressionen. Sie wird als einpolig bezeichnet, was bedeutet, dass die Betroffenen zwar depressive, aber keine manischen Phasen haben. Man nennt diese Art der Depression auch Major Depression. Sie tritt in einer schwierigen Lebenssituation auf in der eine Reaktion nach außen notwendig wäre,  die Betroffenen aber sind in ihre Handlungsfähigkeit gelähmt. Die Energie, die sie nicht nach Außen geben können richtet sich nach innen. Die so dringend benötigt konstruktive Kraft, die sie brauchen um ihre Aufgaben zu lösen, wandelt sich in eine destruktive Kraft gegen sich selbst. Anstelle eines Ausdrucks kommt es zur Niederdrückung.
Die Dysthymia, auch die neurotische Depression genannt, ist eine krankhafte Neigung zu melancholisch-traurigen Stimmungen. Als Unterform einer chronischen Depression ist sie nicht so schwer, dafür hält sie länger an. Die Betroffenen sind im Schnitt zwei Jahre depressiv, sie empfinden aber immer wieder auch gute Tage und Wochen. Meist versinken sie jedoch in einer dumpfen niedergeschlagenen Stimmung, sind müde und antriebslos, haben kein Selbstwertgefühl, fühlen sich als Versager und sind nicht fähig ihr Leben zu meistern. Sie haben eine ausgeprägte Angst, die sie handlungsunfähig macht und lähmt.
Egal um welche Form der Depression es sich handelt, man muss sie von mehreren Seiten beleuchten, um sie zu verstehen. Zu Beginn hat sie im allgemeinen immer eine innerpsychische Ursache, aber sie kann bei jahrelangem extremen sozialen oder seelischen Stress oder auch im Zuge einer posttraumatischen Belastungstörung auftreten. Auch durch eine tiefe Veränderung der Nervenzellen im Gehirn kommt es zur Depression. Für die Entstehung und Aufrechterhaltung einer Depression sind zwei Botenstoffe besonders wichtig: das Serotonin und das Noradrenalin. Serotonin und Noradrenalin sind deswegen von besonderem Interesse für die Depression, weil alle Antidepressiva auf diese beiden Botenstoffe Einfluss nehmen und ihre Symptome lindern. Daher ist man in der Depressionsforschung der Überzeugung, dass bei der Depression die Funktionsfähigkeit der Nervenzellen, die Serotonin und Noradrenalin produzieren, gestört oder massiv beeinträchtigt ist.
Aber welchen Sinn hat die Depression? 
Für einen Menschen, der in der Depression gefangen ist, ist das eine schwere Frage. Sein Leid ist nahezu unerträglich, das Gefühl der Sinnlosigkeit hat ihn fest im Griff, also wie könnte er in seinem Leid etwas Positives sehen oder gar einen Sinn? Wenn es ihm aber dennoch gelingt, die Dame in Schwarz an den Tisch zu bitten und ihr zuzuhören, könnte sie Folgendes zu sagen haben: „Wenn du erstarrst, wenn du zu nichts mehr fähig bist, kann das durchaus einen Sinn haben: Die Depression sorgt dafür, dass du keine unnötige Energie mehr verschwendest. Sie zwingt dich endlich innezuhalten, sie sorgt dafür, dass du zunächst keine Handlungsmöglichkeiten mehr sehen kannst.“
So gesehen ist die Depression, so paradox das klingt, eine gesunde Anpassungsleistung an schwere Bedingungen oder Lebenssituationen. Nicht zuletzt ist auch das Gefühl der Schwere, des Niedergedrücktseins, welches Menschen in der Depression empfinden, Ausdruck  einer realen Schwere im Leben, sprich - etwas lastet so schwer auf uns, dass es uns erdrückt. Symptome haben immer eine Bedeutung, sie verweisen auf Ursachen.

Schwierige Lebensumstände allein lösen noch keine Depression aus. 
Depressiv wird ein Mensch erst wenn er keine Möglichkeit mehr sieht, in einem konstruktiven Sinn Einfluss auf seine Lebenssituation zu nehmen. Dabei kommt es nicht auf die objektiven Möglichkeiten an, die dieser Mensch hat, sondern auch auf die Möglichkeiten, die er für sich selbst sieht. Sieht er keine Möglichkeiten mehr, so bleibt letztlich nur noch die Depression, als leidvoller Versuch, einen seelischen Konflikt oder eine traumatische Erfahrung zu bewältigen. Die Depression hat immer eine Signalfunktion. Sie erzählt uns Wesentliches über unser Verhältnis zu unserem Umfeld, unsere Lebensumstände, unsere Lebensqualität und den Zustand unserer Seele. Sie erzählt uns etwas über den Zustand in dem wir uns im Jetzt befinden. Sie zeigt uns unsere Grenzen auf und sie bewahrt uns davor, diese Grenzen weiter zu verletzen, indem wir über unsere Kräfte leben. Sie bremst auf radikale und schmervolle Weise das Weitergehen. So hat Depression, auch wenn wir das im tiefen Leid, das sie schafft, zuerst nicht begreifen können, eine Schutzfunktion: Sie zwingt uns innezuhalten und im Prozess der Depression neue Lösungen zu finden, um uns künftig besser zu behandeln.

Die Depression ist ein psychischer Zustand der, wenn er intensiv beleuchtet wird, dem Betroffenen auf seinem Weg zur Individuation helfen kann. 
Deshalb ist es von enstcheidender Bedeutung um die Depression zu verstehen, den depressiven Zustand zu beobachten, der bei aller anderen Symptomatik eine Regression erzeugt: Oft kommt es nämlich zu einer Reminiszenz an die Vergangenheit. C. G. Jung schreibt dazu in „Symbole der Transformation“ sinngemäß: "Es vollzieht sich eine Übertragung der Vergangenheit, hervorgerufen durch eine Depression in der Gegenwart. Dies ist ein unbewusstes kompensatorisches Phänomen, welches bewusst gemacht werden muss, um Heilung zu finden." Mit anderen Worten - eine Wahrheit über das eigene Leben oder das eigene Ich, die man bis zu diesem Moment verdrängt hat, der man sich durch Kompensation und Selbstlügen entzogen hat, kann gerade in Krise der Lebensmitte eine Depression auslösen.  

Um hören zu können, was die Dame in Schwarz zu sagen hat, brauchen depressive Menschen Mut und Kraft, die sie eigentlich nicht mehr haben. Das erscheint unmöglich, denn wenn ein Mensch in der Starre verharrt, hat er das Gefühl, dass nichts mehr geht. Die Depression aber drückt genau deshalb nach unten, damit wir genau dahin spüren – ins eigene Tiefgeschoss, dahin wo die Antworten liegen und zwar darauf, was in unserem Leben ungut ist, was zu verändern ist, was verändert werden muss, um wieder neuen Lebensmut zu finden. Wenn der Depressive bereit ist, sich der eigenen Wahrheit zu stellen und die Fassade, die längst gebröckelt ist, endgültig herunterzureißen, erkennt er, dass er mit seinen bisherigen Lösungsversuchen und Handlungsweisen keinen Erfolg hatte. Im Gegenteil, genau diese Handlungsweisen haben gegen ihn gearbeitet. Er braucht also neue konstruktivere und heilsamere um sein Leben positiver und sinnvoller zu gestalten.
Mit der Dame in Schwarz in einen Dialog zu treten, bedeutet zunächst einmal Mitgefühl mit sich selbst zu  entwickeln, sich nicht zu verurteilen und Verständnis für die depressive Reaktion zu haben und dann Antworten zu finden auf folgende Fragen: „Wie kann ich mich künftig besser schützen? Wie kann ich mein Leben in Zukunft so zu gestalten, dass meine Seele nicht überfordert ist? Wie kann ich besser für mich sorgen? Wovon muss ich mich verabschieden und welche Bedürfnisse habe ich, die ich verdränge oder mir nicht erlaube zu erfüllen? Wo gebe ich vor etwas zu sein, was ich nicht bin?

Wer allerdings in einer schweren depressiven Phase steckt, hat kaum eine Möglichkeit, sich selbst ohne professionelle Hilfe zu befreien.  
Auch leichtere depressive Verstimmungen können, solange sie akut sind, einen Menschen vollkommen lähmen. Selbsthilfe kann immer nur in einigermaßen depressionsfreien Phasen gelingen. Eine schwere Depression braucht unbedingt therapeutische Intervention.  In einer Studie wurden Depressive gefragt, was ihnen hilft, wenn sie in einer depressiven Phase stecken. Als hilfreich empfanden sie Folgendes: Gespräche mit verständnisvollen Menschen, sich Zeit geben sich über ihre Gefühle klar werden, nach den Ursachen der Depression zu forschen und genau das zu tun, was die Depression verlangt: Sich zurückziehen, weinen, alle Gefühle wertfrei zulassen, keinen Widerstand gegen die Depression zu leisten, aufschreiben was sie fühlen, viel schlafen und, in den weniger depressiven Phasen, Bewegung in der frischen Luft und sportliche Betätigung.

Es ist bei allem Leid sinnvoll sich immer wieder bewusst zu machen: „Ich bin nicht meine Depression, ich habe eine Depression: So beginnen wir uns von ihr zu disidentifizieren. Wir schaffen bewusst eine Distanz zu dieser Krankheit und helfen uns damit sie anzunehmen, als das, was sie wirklich ist: Ein Hilferuf der erschöpften Seele und eine Chance sie gesunden zu lassen.
Auch der Glaube: „Ich werde diese Krankheit überwinden“, ist von großer Bedeutung für die Heilung. Wer an sich selbst glaubt, fühlt sich der Depression nicht hilflos ausgeliefert. Er weiß, dass sie vorbeigeht.


6 Kommentare:

  1. Danke, ganz wunderbar auf den Punkt gebracht!

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  2. ich danke dir für deine wertschätzung. liebe elisabeth.

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  3. Ich weiß ganz genau was du meinst , gehe diesen Weg schon sehr lange ein sehr langsamer Prozess .lg Galina

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  4. ....ich konnte mich zu 99,9% wiederfinden.....Dankeschön....

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  5. Der Text bringt es auf den Punkt; 6 Jahre liegt meine Depression nun hinter mir, aber ich bin nicht mehr der Mensch, der ich vorher war und ich gehe wesentlich behutsamer mit mir selber um und vor allen Dingen: ich ziehe GRENZEN!

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