Sonntag, 12. Oktober 2014

AUS DER PRAXIS - Innere Leere, oder: Ich weiß nicht wer ich bin.



Gefühllosigkeit ist das, was Menschen allgemein als innere Leere beschreiben. Diese innere Leere ist ein wesentliches Merkmal der Depression. In der Depression erleben Menschen den Verlust der Gefühle, also die Fähigkeit Freude, Trauer oder Wut zu spüren und sie ausdrücken, bzw. zeigen zu können, sie fühlen sich leer und sehen nur noch ein schwarzes Loch.

Aber nicht jedes Gefühl von innerer Leere ist ein Indiz für eine Depression.
 
Innere Leere spüren auch Menschen, die so weit von ihrem inneren Wesen entfernt sind, dass sie sich selbst nur wenig oder nicht spüren können. Diese Menschen fehlt der Zugang zu ihrer eigenen Identität, mit anderen Worten: Sie wissen nicht, wer sie sind.
Dieses nicht wissen: „Wer bin ich?“, ist meist so alt wie diese Menschen selbst und nicht selten ist es die Folge einer in der Kindheit nicht stattgefundenen Identitätsbildung. Für diese Menschenkinder wurde entschieden, alles und jedes. Ihnen wurde gesagt, was man fühlen und was man nicht fühlen darf, was man sein und was man nicht sein darf, wie man sein und wie man nicht sein darf, was man tut und was man nicht tut. Die Betonung liegt auf: man. Sie wurden erzogen um angepasst zu sein und jeder Impuls eines kreativen Ausdrucks oder einer eigenen Meinung wurden im Keim erstickt oder verpönt. Meist wurden sie irgendwann brave Kinder, die man nicht sehen und nicht hören durfte.

Aufgrund der frühkindlichen Introjektionen, sprich der tiefen Verinnerlichung von Werten, Überzeugungen und Normen des elterlichen und/ oder des sozialen Umfelds, wie sie zu sein haben, fehlt ihnen das Gefühl für das eigene Sein. Sie haben die Introjektionen des Umfeldes nicht nur widerstandslos übernommen, sondern diese, meist bis zur Krise, die aufgrund der dauernden inneren Leere irgendwann unweigerlich im Leben eintritt, niemals hinterfragt. 

Menschen über die bestimmt wurde, bis ins eigene Gefühlsleben hinein, sind als Kinder abhängig von den Erwachsenen die über sie bestimmen und ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.  

Noch als Erwachsene sind sie fatalerweise genau aufgrund dieses frühen Ausgeliefertseins, abhängig von der Meinung und der Bestätigung anderer Menschen, die sie auch ständig suchen, weil sie nicht spüren, wie es sich anfühlt, sie selbst zu sein. Die leere Identität ist angewiesen auf Füllung von außen. Je weniger diese statt findet, desto leerer fühlen diese Menschen sich. Sie brauchen andere um sich zu spüren wie die Luft zum Atmen. Alles was das Loch im Inneren füllt ist lebensnotwendig. Das kann Aufmerksamkeit jeder Art sein, das kann ein Job sein, das können wechselnde Liebhaber sein, das kann Sport sein, das kann Einkaufen sein, alles was dazu dient zu kompensieren, dass da nichts ist, eben alles, was das Loch füllt. Aber ebenso schnell wie es gefüllt wird, fließt alles wieder aus ihm heraus und wieder fühlen diese Menschen die zermürbende Leere. 

Mit dieser Leere einher geht das Gefühl der Unsicherheit, besser der Selbstunsicherheit. 

Es gibt ja kein Selbst, es wurde nie formiert. Unbewusst spüren diese Menschen das. Nicht selten haben sie Ängste, sind permanent unsicher und angespannt, immer am Suchen und immer enttäuscht von der Welt und den Menschen, die ihre Bedürfnisse nicht befriedigen, ohne allerdings überhaupt zu wissen, was ihre wahren Bedürfnisse sind. Ein solches Leben ist wie das wahllose Fischen in einem großen Meer, in der Hoffnung endlich einen versunkenen Schatz zu finden. Aber sie finden ihn nicht, vielmehr spült sie eine Flut von nicht fassbaren Emotionen immer wieder zurück in die eigene Leere. 

Die Suche geht weiter.  

Auf der Suche nach Sinn, Halt und Bestätigung probieren sie alles Mögliche aus, um ihrem Leben einen Inhalt zu geben. Sie leben Beziehungen, die auf Projektionen, Idealisierungen und Wunschbildern basieren. Zu echter Nähe sind sie nicht fähig, denn wir Menschen können anderen nur so nahe kommen und sein, wie wir uns selbst nahe sind. Sind wir von uns selbst entfernt, gelingt uns keine Verbindung mit einem anderen. Es ist unmöglich sich einen anderen Menschen vertraut zu machen, solange der Mensch sich selbst ein Fremder ist.
 
Alles was von außen kommt und nicht aus dem eigenen Selbst, gibt niemals verlässliche Anhaltspunkte für das Spüren der eigenen Identität, wenn sie nicht existiert, weil sie, bevor sie sich entwickeln konnte, im Keim erstickt wurde.  

Das Ersticken kindlicher Individualität ist eine Form emotionaler Vergewaltigung. Die Opfer sind bedauernswerte Geschöpfe, solange bis sie sich dessen nicht bewusst sind, solange bis sie sich nicht aufmachen um die Türen nach hinten zu öffnen,Tür für Tür, bis zur allerletzten, um das zu finden, was in ihnen angelegt wurde, bevor man es ihnen zerstört hat: Den göttlichen Funken, mit dem sie das Licht der Welt erblickt haben, ihr schöpferisches Potential. Das ist der Schlüssel zum Gestalten einer eigenen Identität. Dafür ist nie zu spät.


9 Kommentare:

  1. Sehr schön geschrieben und super erklärt, weil man kann es ja selbst kaum irgendwie ausdrücken wie es sich anfühlt. In der Traumatherapie finde ich langsam wieder Zugang zu mir und zu meinem Ich. Aber es ist schwer in sein jetziges Leben zu integrieren. Aber es ist trotz allem schön zu wissen, dass da noch etwas in einem drin ist außer diese Leere. Ich hoffe ich finde mit Hilfe meiner Therapeutin meinen Weg für mich der stimmig ist zu meinem inneren Ich.

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  2. Finaly! Exactly what i was looking for... thank you
    innere leere

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  3. Danke! Ich fange an, mich gaaaaanz langsam zu verstehen. Aber: wie soll man Angehöriegn, bspw dem Partner, der einen 14 jahre anders kennt, erklären, dass man jetzt langsam zu dem Menschen wird, der man eigentlich ist...

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  4. Wie gehe ich am besten vor? Innere Kind arbeit?

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  5. Welches Buch könnte mir da weiterhelfen

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  6. Welches Buch könnte mir da weiterhelfen

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  7. "Wenn alles zusammenbricht" von Pema Chödrön

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