Dienstag, 20. Mai 2014

Lebensmitte






Die Lebensmitte, die Mitte dessen, was wir glauben teilen zu können – ein Leben.
Widersinnig, denn wenn ich recht darüber nachdenke, ist es lediglich eine Annahme, die Annahme, dass, wenn wir die Mitte überschritten haben, noch einmal eine Hälfte Leben bleibt. Die andere Hälfte, die Hälfte, die das Ganze voll macht.

Im Grunde wissen wir alle, dass es nur eine Annahme ist, denn, auch wenn kein größeres Unglück geschieht, woher die Gewissheit nehmen, es gibt ihn, diesen Rest Leben. Die meisten Menschen beruhigen sich mit der Annahme, mit der Hoffnung, mit der Zuversicht oder indem sie den Gedanken einfach ignorieren. Hoffnung ist für die zu oft Enttäuschten, Zuversicht für die Mutigen und Ignoranz für die, die sowieso nicht zu beeindrucken sind. Das alles funktioniert bei mir nicht, im Hinblick darauf, dass ich den Zenit längst überschritten habe, ansonsten halte ich mich an die Zuversicht.

Im Überschreiten der Lebensmitte liegen unendlich viele Fragen. Sie haben die Eigenart, dass unsere Ängste sich gern dazugesellen. Wer von uns kennt sie nicht, die Angst etwas versäumt zu haben, die Angst nicht mehr erreichen zu können, was wir uns vorgenommen haben, die Angst vor der Einsamkeit im Alter, die Angst vor Krankheit und Siechtum und schließlich die Angst vor dem Sterben und dem Tod. Das sind Gedanken und Gefühle, die uns als junge Menschen nicht in den Sinn kommen, aber wenn wir die Fünfzig überschritten haben sind sie da und bei vielen Menschen sind sie recht groß.

Die Kinder sind aus dem Haus, aus dem Gröbsten raus oder nicht, was wir erreichen wollten ist erreicht und wenn es erreicht ist beginnt die müde Langeweile des immer Gleichen, die staubige Aura der Gewohnheit erdrückt, oder es ist nicht erreicht und das Gefühl des Drängens, es doch noch zu schaffen, etwas endlich zu tun oder endlich etwas zu tun, was wir doch schon immer tun wollten, wird immer größer, die Unzufriedenheit mit dem, was ist, wächst. Was wir aufbauen wollten ist gebaut oder erschüttert und so manches Lebenskonzept ist gescheitert. Zeit für Veränderung, flüstert die Lebensmitte oder schreit es uns entgegen, unüberhörbar und ziemlich laut von Innen.

Was will ich jetzt noch anders haben, wenn ich es nicht haben will wie es ist, aus welchem Grund auch immer? Was jetzt? Was mache ich mit dem Rest meines Lebens? Und wie viel Rest bleibt mir noch?

Habe ich einen Traum, den ich nicht gelebt habe, ein Ziel, das ich nicht erreicht habe, ist es mir wichtig genug um es noch einmal zu versuchen, bin ich zufrieden da wo ich stehe, habe ich alles was ich brauche um die zweite Hälfte so zu gestalten, dass ich nicht denke, ich bin im falschen Leben gelandet? Was belastet mich und was macht mich unglücklich und will ich das so weiter machen oder noch einmal meine ganze Kraft zusammennehmen und den Sprung ins Ungewisse wagen? Welche Rolle spiele ich noch, der ich längst entwachsen bin? Habe ich Teile meiner Vergangenheit noch nicht verarbeitet? Bin ich im Frieden mit mir selbst und den Menschen, die mir wichtig sind oder gibt es da noch Unversöhnliches in meinem Leben? Was trage ich wem nach und was mir selbst? Und die entscheidende Frage: Kann ich am Ende sagen: Das war mein Leben. Es war gut wie es war, oder muss ich noch etwas tun oder erledigen um das sagen zu können, vorausgesetzt ich will es sagen können?

Das sind große Fragen, das sind sogar gewaltige Fragen und wenn wir sie uns ernsthaft stellen, spüren wir die Angst, die sie uns machen. Denn würden wir uns ihnen allen stellen, könnte das bedeuten etwas verändern zu müssen oder akzeptieren zu müssen, was wir nicht verändern können oder wollen und auch das ist keine leichte Übung. All diese Fragen sind ein Ballast, solange wir sie ignorieren oder der Hoffnung überlassen - das wird sich schon von selbst lösen. Sie sind ein Ballast für die Seele solange wir nicht bereit sind sie ehrlich zu beantworten. Aber was wenn die Antworten bedeuten: Ich will handeln? Was dann? Ist da wirklich genug Energie, genug Kraft, genug Mut, genug Wissen um die Veränderung anzugehen und wie stehen überhaupt die Chancen etwas zu verändern ohne in einem Chaos von neuen Fragen und Problemen zu landen. Und dann kommt sie von hinten und erwischt uns eiskalt, die fieseste aller Fragen: Warum aufgeben, was du hast um zu gewinnen, was du nicht kennst oder im Zweifel alles zu verlieren, was du hast?

Das ist die Bremse, die Bremse, die das Leben anhält und starr macht, die Bremse die uns da feststellt wo wir stehen. Sie hat Macht, ihre Macht ist so groß, dass wir am Ende aufhören nachzudenken und das Fragen sein lassen. Und genau damit überlassen wir die Antwort dem Leben selbst - es wird sie für uns finden, eine, die uns im Zweifel überhaupt nicht gefällt.




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