Freitag, 1. November 2013

HERZRASEN

mein herz ist losgerast, plötzlich und ohne vorwarnung, machte es einen stolperer um dann zu rasen, so zu rasen als würde ich rennen, um mein leben. es raste in einer wilden hatz und ich fand nichts um das rasen zu stoppen. versuche, wie ein glas wasser trinken, mein gesicht mit kaltem wasser waschen, ruhig atmen, mich von hundert auf null zählen - alle untauglich. nichts half um meinem rasenden herzen einhalt zu gebieten. ich hatte todesangst. sei endlich ruhig mein herz, flehte ich es an, und ich flehte gott an, er möge mich bitte jetzt noch nicht sterben lassen, aber mein herz, im rasenden sturm, hörte mich nicht. gott hörte mich, er gab mir dir kraft das auszuhalten. in meiner todesangst rief ich den notdienst. innerhalb von wenigen minuten waren die sanitäter da. aber auch das beruhigte meine herz nicht. das ekg zeigte eine frequentz von 220 schlägen in der minute. mit meinem rasenden herzen raste der notarztwagen in die uniklinik. auf der fahrt gab mir die ärztin ein medikament. plötzlich, mit einem schlag, stoppte mein herz seine raserei. sie haben einen angeborenen herzfehler, sagte man mir nach der untersuchung, eine doppelte leitung, wo nur eine sein sollte, die mache dieses rasen. was es allerdings auslöse, wisse man nicht, und dass es menschen gibt, die das herzrasen sogar aus dem schlaf reisst. man könne das mit einem eingriff abstellen, die gefahr dabei sei aber, dass man einen herzschrittmacher braucht, wenn der eingriff nicht gut verläuft.

das war gestern. heute sitze ich, mit einer diagnose und einer riesenangst in meinem vom rasen müden herzen, da. ich frage mich, warum es so lange still war, warum es so lange nicht losraste, mein herz, wo es doch tausend gründe gegeben hat, die es dazu hätten veranlassen können. ich sitze da mit der angst, dass es ab jetzt, jeden moment, ohne vorwarnung, wieder losrasen kann. ich versuche mich nicht überfluten zu lassen von der angst, die jede zelle meines körpers als todesangst abgespeichert hat. es ist schwer, es ist eine herausforderung, dieser angst nicht nachzugeben und nicht vor lauter angst wahnsinnig zu werden.

ich konnte mich über fünfzig jahre auf mein herz verlassen und jetzt, nimm es mir nicht übel liebes herz, fühle ich mich von dir verlassen. "man stirbt nicht daran", sagte der arzt in der klinik, "du stirbst nicht daran", tröstet mich ein freund, der herzchirurg ist. ich danke dir auf diesem wege von herzen für deine hilfe. fakt ist - es gibt kein medikament, dass diese laune der natur heilen kann. ich muss damit leben oder diesen eingriff machen lassen. "man stirbt im zweifel an der angst", denke ich, "wenn man ihr die macht überlässt."

die angst ist mein lebensthema. ich bin mit ihr groß geworden. mit der angst kenne ich mich aus, so gut, dass ich vor jahren ein buch darüber geschrieben habe. ich lebe mit ihr wie mit einer schwarzen katze, die mich ab und zu anspringt, wenn sie sich langweilt oder in angriffslaune ist. ich habe gelernt mit der angst zu leben, ich habe gelernt, trotz der angst dinge zu tun, die ich tun will, auch dinge, die mir die angst nicht erlauben will, ich habe gelernt, dass da, wo die angst ist, immer auch der mut ist, ich habe eine dauerhafte beziehung mit ihr. eine beziehung, in der sie nicht die totale kontrolle über mich hat. weil ich die angst kenne und viel durch sie und über sie gelernt habe, kann ich anderen dabei helfen mit ihrer angst besser umzugehen, das ist das geschenk, das darin verborgen liegt. das wichtigste was ich über die angst gelernt habe ist: es hilft nichts sie zu verdrängen, sie lässt sich nicht wegdenken, sie lässt sich nicht ausreißen wie eine faulige wurzel. wenn die wurzel unseres lebens nicht mit dem genährt wurde, was uns mutig macht und angstloser - mit urvertrauen, das seinen anfang nimmt, wenn wir den ersten schrei machen um das leben zu begrüßen - gegeben von denen, die uns bedingungslose liebe schenken. das zweitwichtigste was ich gelernt habe ist: lass die angst zu und mach es trotzdem.

und jetzt ist da eine neue angst, eine angst, die mir das urvertrauen, das mir nie geschenkt wurde vollkommen unter den füßen wegreisst und die sich, glaube ich den ärzten, meinem einflussbereich entzieht, denn mein herz wird machen was es will, wann es will, auch wenn ich es nicht will. es wird losrasen und nicht aufhören bis es das will oder bis der notarzt mir eine spritze gibt. "es gibt keinen typischen auslöser", klingt es in meinen ohren und: "das haben sie nicht unter kontrolle."

das ist ein schlag in die unberechenbarkeit des lebens, die ihm eine völlig neue qualität von unberechenbarkeit verleiht. und ich fühle glasklar was ich immer wusste, was ich erfahren habe - das leben ist nicht berechenbar. das leben ist jetzt, in diesem moment. was der nächste moment bringt wissen wir nicht. mein herz hat mich das deutlich spüren lassen. und es hat mich auf sich aufmerksam gemacht. ich komme zu kurz, hat es gesagt, ich überrenne dich, ich laufe dir davon, wenn du nicht endlich gut für mich sorgst, für das, was ich brauche um ruhig zu bleiben. es hat mir gesagt, dass es von einem lebendigen rhythmus getragen werden will und nicht in einen starren takt gepresst werden will, es hat mir gesagt, lass es endlich still werden, damit ich mich beruhigen kann, hör auf mich zu hetzen, wo ich müde bin und hör auf mich zu überreden, wo ich die wahrheit sagen will, egal was andere davon halten. es hat mir mit einem rasenden hämmern in den kopf geschrieen: geh endlich dahin, wohin ich dich schon so lange tragen will!

das und noch viel mehr hat es mir gesagt, mir, die geglaubt hat, all das doch schon zumindest ansatzweise zu tun. aber, wie das so ist mit dem glauben, wenn wir nicht mit ganzem herzen nach unserem glauben leben, wenn wir nicht mit ganzem herzen nach unserem besten wissen und gewissen leben, wenn wir nicht mit ganzem herzen unseren wahren gefühlen nach handeln - dann nutzt der glaube nichts, das wissen nichts und das fühlen nichts.

mein herz will, dass ich das endlich nicht nur weiß, sondern es auch lebe - jeden moment, in diesem gewahrsein, lebe. damit es nicht mehr rasen muss, weil ich ihm nicht folgen will. mein herz will, dass ich mir zeit nehme, für das, was mir wirklich am herzen liegt und meine kostbare zeit nicht mehr dingen widme, die mein herz verletzten oder menschen schenke, die, weil sie selbst verletzt sind, gedankenlos in es hineintreten. mein herz will, dass ich es spüre, ohne dass es mir rasend bis ins hirn klopfen muss. was es sonst noch will wird es mir noch erzählen.

jetzt muss ich die menschen bitten, die mir am herzen liegen, ein bisschen geduld zu haben, bis ich mich mit meinem herzen ausgesprochen habe...

5 Kommentare:

  1. ... da möchte man nur sagen:
    hab keine angst. alles wird gut.
    manchmal braucht (man/) frau das ...

    ... auch ich kenne angst. sehr gut sogar.
    niemand ist allein.

    sehr eindringlich geschrieben, authentisch, und sehr gut interpretiert ... dieses herzrasen ...

    ... alles wird gut!

    lg von diana

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  2. alles wird gut und wenn es nicht gut ist, ist es nicht das ende ... danke diana.
    von herzen, angelika

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  3. Sehr berührend hast Du Deine Situation beschrieben und ja, es ist furcht-bar dieses Erleben. Wie Du erkannt hast was dahintersteckt und was es bedeutet, beschreibst, was es eigentlich will Dein Herz freut mich dennoch für Dich. weil es Deine Chance ist. Auf nichts ist so ein Verlass, wie auf den Körper. Seine Sprache zu lernen, sollte ein Pflichtfach schon in jungen Jahren sein.
    Ich würde Dich gerne ermutigen noch einen Schritt weiterzugehen, wenn ich darf ? Der angeborene Herzfehler mit der doppelten Leitung, das ist Dein Thema. Weil Du dort etwas auslebst, was in ein anderes Leben gehört.
    Du bist so stark, bring es auf den Tisch. Nicht auf den OP Tisch.
    Wenn es mir so ging, habe ich mir vorgestellt, dass ich mein Herz in beide Hände genommen habe. Das war ein schönes Bild und gleich schmerzte es weniger. Erst durch Deinen Post erinnere ich mich wieder daran, solange ist es schon her. Gut so.
    Alles Liebe zu Dir und Deinem Herzen
    Joona

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  4. Antworten
    1. liebe joona, ja das sollte ein pflichtfach sein, es gäbe weniger leid in der welt würden man den kindern das wesentliche beibringen - auf ihr herz zu hören. das habe ich meinem sohn immer gesagt und er lebt danach, das ist ein geschenk.
      ich danke dir von herzen für die anregung zu den beiden leitungen - ich werde darüber nachdenken. und nein, ich werde es nicht auf den op tisch bringen. ich freue mich für dich, dass du es überwunden hast. das macht mir mut! und der steht hinter der angst ... noch.
      alles liebe auch zu dir und deinem herzen.
      angelika

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