Dienstag, 22. Mai 2012
ANGST VORM FLIEGEN
er sitzt auf der bank am gate des flughafens. sein kurz geschnittenes haar hat ein sanftes silbergrau. es legt sich zu dem sanften in seinem gesicht wie eine blütenblatt in ein anderes. zwischen unzähligen falten zeigt er eine ruhige mine. wenn man genauer hinsieht, kann man sehen, dass sein linkes auge zuckt.
eine kleine, dicke frau mit streng nach unten zeigenden mundwinkeln steht neben ihm und hält sich am gepäckwagen fest. beide grüßen freundlich als ich auf sie zukomme. ich grüße zurück. der mann fragt in gebrochenem deutsch, wie alt denn mein kleiner hund sei, bückt sich zu ihm hinunter und streichelt sein weißes fell.
mir fehlt die kraft zu sprechen, ich habe angst vorm fliegen. ich muss mich konzentrieren um sie in schach zu halten, damit sie mich nicht überwältigt. aber ich will nicht unhöflich sein und antworte dem mann. er ist fünf monate alt, antworte ich. der mann lächelt. er ist jung, ein baby. ja, sage ich, ein hundebaby.
die frau mischt sich ein, erzählt von den nachbarn im haus. die nachbarn mit den zwei schäferhunden in der einzimmerwohnung nebenan. es stinkt aus der wohnung, sagt der mann und dass er nicht versteht, wie menschen so etwas aushalten können.
menschen halten viel aus, sage ich und schlucke mit mühe den kloß in meinem hals herrunter. die angst hatte mich im griff. diese angst, die ich nicht wirklich benennen kann, die sich nicht ausschalten lässt mit dem kopf, die keinen anker findet in meinem bewusstsein, die sich hochschleicht aus dem untergeschoss der furcht, immer wenn ich fliegen muss oder autofahren.
der mann blickt mir ins gesicht. sie haben angst, sagt er. ja, sage ich, ich habe angst. ach, wie dumm ist das denn, sie brauchen keine angst zu haben, krächzt die frau mit der harten stimme einer italienerin, es kommt wie es kommt, also was solls.
ich will aber nicht, dass es kommt, jedenfalls nicht das, was mir angst macht. da steige ich doch besser erst gar nicht ein in diesen verdammten stahlvogel. und überhaupt, warum müssen menschen fliegen, sollen sie das doch den vögeln überlassen. ich will heim und zwar sofort und ohne flugzeug. ich hätte daheim blieben sollen, ich habs doch gewusst, dass ich das nicht packe.
mein gefühlsuntergeschoss produziert kaskaden von fluchtimpulsen. ich bleibe einfach hier in sizilien. ich suche mir einen job in einem blumenladen, ich mag blumen. nein, keine gute idee. ich muss heim, mein sohn kommt mich besuchen und die arbeit wartet und alles andere, was ich liebe. also weiter mit dem die angst in schach halten kraftakt, sagt mein kopf und mein bauch fühlt etwas komplett anderes. ich bin der herr meiner gefühle oder etwa nicht? er soll die klappe halten, dieser blöde bauch. er tut es nicht, von wegen herr meiner gefühle. die angst überflutet mich wie die hitzewallungen meiner wechseljahre, legt sich wie eine schlinge um meinen hals. die wechseljahre denke ich, auch eine party, die man nicht absagen kann. jetzt nicht auch noch die altersangst, beschwöre ich mich, eine reicht völlig. ausserdem, im schlimmsten fall erledigt sich die ja jetzt von selbst. das wäre nicht das erste flugzeug, das abstürzt. hilfe, ich will nicht sterben, dann lieber alt werden und dann sterben.
madonna mia, krächzt die frau, ich hab vor nix angst. das macht eh keinen sinn. ich denke, halt die klappe du emotionsloses weib, und schäme mich im selben moment für meine schlechten gedanken. sie erzählt von dem unfall, den sie anfang des jahres hatte und wie locker sie das alles weggesteckt hat. ihre hängenden mundwinkel sinken eine etage tiefer und entlarven ihr lachen der falschheit. haha, der tod wollte mich noch nicht, setzt sie noch eins drauf. ich denke, wenn sie noch einen satz in diese richtung ausspuckt, sage ich ihr, dass mir ihre ignoranz weh tut und sie genau zu den menschen gehört, von denen ich mich fern halte. ich habe angst und dass sie keine angst hat ist mir völlig wurscht.
plötzlich berührt eine hand die meine. sie ist eiskalt. wissen sie was, ich habe auch angst, sagt der mann. in diesem augenblick wird unser flug aufgerufen.
der mann erhebt sich schwerfällig von der bank. arrividerci!
ich nicke ihm zu, weil mir kein wort mehr aus der kehle kommt.