anna sah aus dem weit geöffneten fenster, die kaffeetasse in der einen hand, die zigarette in der anderen. ihre hände zitterten, zitterten wie alles an ihr, innen und aussen.
draussen schlich eine schwarze katze über den hof. anna hatte sie noch nie zuvor gesehen. die katze war groß, ungewöhnlich groß, so groß wie ein kleiner hund. eine schwarze katze bringt unglück, dachte sie und dass es egal war, ob sie ihr von inks nach rechts über den weg lief oder unter ihrem fenster herumschlich. das unglück hatte ihr leben durchzogen. immer wieder, in immer neuen erscheinungen war es da gewesen und sie hatte es ausgehalten, immer wieder und es überlebt, weil sie stark war. an diesem morgen wusste sie, dass sie nicht mehr stark war. stärke ist eine sache des willens, dachte anna. ihr wille war gebrochen, schon lange. sie hatte nur so getan hatte, als sei sie stark, schon lange.
sie dachte an das, was sie für ihr leben gehalten hatte, bis zu diesem morgen für wahr gehalten hatte, und was nicht wahr war für den, den sie liebte. er hatte es gesagt, zu einem anderen, was er ihr nie gesagt hatte, dass er nicht glücklich gewesen war, niemals, dass es die hölle gewesen war mit ihr und dass er diese hölle ausgehalten hatte, weil er keine wahl gehabt hatte.
immer war da dieses ungute gefühl in ihr gewesen in einem moment in der zeit etwas falsch gemacht zu haben, absichtslos falsch gemacht zu haben, wo sie doch immer ihr bestes getan hatte, das, was sie gekonnt hatte und über das können hinaus getan hatte, damit er glücklich war. für ihn war es die hölle gewesen, was sie sicher nicht für den himmel gehalten hatte, aber für gut eben, so gut wie sie es hatte machen können mit ihren mitteln und dem, was sie war und mit ihrer liebe. für ihn war es kein einizger fehler gewesen, den anna zu glauben gemacht hatte, in einem moment in der zeit, für ihn war es ein allumfassender fehler gewesen, die ganze zeit.
seine worte hatten sie mitten ins herz getroffen, in ihr herz, das einen riss hatte. der riss klaffte, aber er musste an dünnen faden hängen, denn es schlug noch. die hölle hatte sie gedacht, die halbe nacht lang, zwischen langem wachen und leichtem schlaf war da dieses wort wie ein schwindelgefühl. wenn sie versuchte es nicht zu denken, fühlte sie, wie es hinter ihrem kopf entstand, sich gleich wieder nach vorne drängte, in die stirn. da schwoll es an, wurde riesengroß, bis es sie vollständig ausfüllte. anna fasste sich an ihr herz. sie hatte sich gewünscht, dass es aufhören würde zu schlagen. bleib stehen, hatte sie ihm befohlen, damit endlich ruhe einkehren konnte, in ihr. es schlug weiter, schlug auch an diesem morgen weiter, als wolle es sagen, du kommst nicht einfach so davon, du kannst dich nicht wegschleichen, wenn du es willst, so einfach mache ich es dir nicht.
durch den riss zog sich ein gift, das sich ausbreitete, dessen zersetzende wirkung sie spürte in der unbeschreiblichen schwäche, die sie fühlte in ihrem körper. in ihrem kopf hämmerte nur noch ein wort hämmerte - schuldig.
anna kannte das wort und das gefühl, das in diesem wort lag, gut. sie hatte sich schuldig gefühlt seit sie ein kind war, wo man ihr die schuld gegeben hatte, dafür, dass sie überhaupt da war. die schuld, immer wieder laut ausgesprochen und wiederholt und als ursache benannt für das unglückliche leben der eltern, das sie zerstört hatte, einfach weil sie da war. sie hatten sie spüren lassen, dass sie keinen platz verdient hatte, bei ihnen.
anna hatte es ausgehalten bis sie alt genug gewesen war und hatte gehen können, sich einen platz suchen, irgendwo, wo sie das gefühl hatte sein zu dürfen. sie war nirgends angekommen, am wenigsten bei sich selbst. was heimat war, wusste sie nicht. wer an keinem ort das gefühl von heimat spürt ist ein heimatloser, ein getriebener, ohne die schützende hülle
des vertrauten, ohne festen boden unter den füßen, immer auf der suche, niemals
im frieden mit dem, was ist. das wusste sie.
es war die hölle. die hölle, die sie ihm weiter gegeben hatte, dem, den sie liebte wie nichts anderes. sie hatte es getan, ohne sich dessen bewusst zu sein. die hölle, so hatte er es empfunden und sie war der teufel, der sie ihm bereitet hatte, absichtslos. das zu hören, zu fühlen, hatte sie getroffen wie ein
weiteres unglück, das mit einem schlag ihr ganzes sein in frage stellte. wie sollte sie damit leben? wollte sie damit leben? musste sie damit leben? und wenn sie entschied nicht damit zu leben, weil es nicht auszuhalten war, würde sie die hölle nicht nur größer machen, für ihn? es würde so sein. sie musste aushalten, die scham und die schuld und den schmerz, den sie ihm zugefügt hatte, von dem sich nichts gewusst hatte und den sie niemals würde heilen können, in ihm.
konnte sie ihm sagen, ich konnte
nicht anders, ihn um verzeihung bitten, für das, was sie nicht gekonnt hatte? konnte sie ihre unfähigkeit ihn glücklich zu machen entschuldigen? konnte sie ihm eine erklärung geben, warum sie nicht so war, dass sie ihm gut getan hatte? was konnte sie tun, um all das vergangene wieder gut zu machen von dem sie geglaubt hatte, dass es so ungut nicht gewesen war? anna fand keine entschuldigung, fand nur die schuld und die scham und seinen schmerz, der sich zu dem ihren legte, der schmerz, der so alt war wie sie und so alt wie er.
ihre wahrheit, seine wahrheit. eine gemeinsame wahrheit gab es nicht mehr. sie hatte sich getäuscht, sich geirrt in all ihren gedanken und gefühlen über das gemeinsame vergangene. eine illusion hatte sie sich gemacht, sich getäuscht. er hatte sie berichtigt, die täuschung, ihre wahrheit der selbstlüge gestraft, die wahrheit, an die sie geglaubt hatte, ganz fest. anna fragte sich, ob es eine wahrheit gab, die absolut war, eine die richtig war und eine, die falsch war oder ob es immer nur die wahhrheit dessen gab, der sie dachte und fühlte. sie fragte sich, ob die wahrheit dann wahr war, wenn die dinge zur wirklichkeit geworden waren, oder ob die
absolute wahrheit immer in frage stand, weil sie für jeden eine andere ist.