Foto: A. Wende
Da draußen ist es dunkel. Am Morgen, wenn ich aufstehe ist es dunkel und am Nachmittag ist es schon früh dunkel. Auch heute an diesem 1. Advent ist der Morgen dunkel. Die Dunkelheit liegt über den Tagen wie eine schwere Decke. Das ist schon für Daueroptimisten und Positivdenker nicht so leicht auszuhalten. Besonders schwer ist es für Menschen, denen es nicht gut geht, bei denen es Innen dunkel ist. Die äußere Dunkelheit legt sich zu ihrem inneren Dunkel und das macht es nicht leicht durch die Tage zu kommen.
Noch einmal schwerer ist es für Menschen, die eine Depression, eine Angsterkrankung oder sonst eine seelisches oder körperliches Leid zu tragen haben. Diese Menschen brauchen Licht, mehr Licht als andere, die ihr inneres Leuchten spürbar in sich tragen.
Seelisch belastete Menschen sind dünnhäutiger als andere, sie verkraften vieles nicht wie andere, sie sind sensibler, empfindsamer und leichter zu erschüttern als andere. Ihr Herz ist verwundet und es kann schneller brechen. Durch meine Arbeit mit diesen Menschen weiß ich: Sie haben viel Licht in sich, aber sie selbst spüren es nicht mehr, weil das Dunkel in ihrem Leben so groß und so übermächtig geworden ist, dass es ihnen den Zugang zu ihrem Licht versperrt. Aber - was wir nicht sehen und nicht spüren können, ist trotzdem da. Und da ist auch die Sehnsucht danach. „Was sich nach Licht sehnt ist nicht lichtlos, denn die Sehnsucht ist schon Licht“ schrieb Bettina von Arnim
Diese Sehnsucht ist ein Antrieb ins Licht zu gehen, es zu suchen und zu finden. Zugleich zeigt sie uns auch wo in uns selbst oder in unserem Leben ein Mangel an Licht ist. Wo fehlt, was uns Leuchten macht, wo fehlt, was unser Leben heller macht.
Heute Morgen zünde ich ein Licht an. Das erste von vier Lichtern. Auch ich sehne mich nach mehr Licht, denn die Zeiten sind dunkel. Um uns herum ist viel Dunkel. In mir ist es dunkel, weil ich einen geliebten Menschen verloren habe, der lange Jahre an meiner Seite war. Da ist die Sehnsucht nach dem, was war und dem, was hätte sein können und ich erkenne, während ich in das warme Licht der Kerze blicke, wie ich in meiner Vergangenheit feststecke, ihr anhafte und das Jetzt nicht voll und ganz erlebe mit all dem, was es auch ist, weil ich nach Hinten blicke. Jeden dunklen Morgen und jeden dunklen Tag. Ich habe Klienten, denen es gerade ebenso geht, die einen Menschen verloren haben, der Licht in ihr Leben brachte, und die ihr Jetzt mit dem Schatten des Verlustes bewältigen müssen. Der Kummer ist groß. Wo der Kummer groß ist, blenden wir aus, was sonst noch ist. Wir sind fokussiert auf das, was schmerzt und da hilft es auch nicht uns zu sagen, alles, alles geht vorüber, auch dieser Schmerz wird vergehen. Wahr ist, manchmal geht er nicht vorüber. Manchmal bleibt der Schatten des Gewesenen. Er wird zu unserem Begleiter in dunklen und in hellen Tagen. Immer ist er an unserer Seite. Aber er verwandelt sich, so wie wir uns wandeln mit jedem Atemzug. Irgendwann ist er dann einfach da, ohne zu schmerzen. Er ist zu Wehmut geworden, die leise und unaufdringlich ein Teil von uns geworden ist.
In dunklen Zeiten können wir uns das nicht vorstellen. Im aktuellen Kummer können wir nicht glauben, dass er sich eines Tages wandeln wird. Wir müssen das auch nicht glauben. Wir dürfen das Dunkel da sein lassen. Uns sein lassen im Dunkel. Nicht dagegen ankämpfen, es nicht weghaben oder wegmachen wollen, es nicht betäuben mit Drogen, Alkohol, Kaufen, Essen oder sonstigen unheilsamen Abwehrmechanismen, die alles nur schlimmer machen.
Nicht mehr wegrennen wollen.
Einfach da sein lassen, was da ist.
Ja, es erfordert Mut nicht mehr vor uns selbst wegzulaufen. Ich weiß das. Es erfordert Mut die Dunkelheit in uns selbst mitfühlend zu berühren. Aber es ist dieser Mut, der uns ans Licht bringt, an unser inneres Licht, das da ist, solange wir leben, mitten im Dunkel.
Ich wünsche allen von Euch, die in dieser dunklen Zeit so fühlen, dass ihr den Glauben an Euer inneres Licht nicht verliert, so sehr es auch gerade im Schatten liegen mag. Es wird dauern, aber es wird heller, dann, wenn wir den Glauben nicht verlieren an das, was in uns leben will und leben soll.
Nach jeder Dunkelheit leuchtet ein Licht, jedem Morgen folgt ein neuer Tag und jedem Winter ein Frühling. Ja, das klingt platt, aber es ist wahr. Haltet durch und vielleicht zündet ihr jeden Tag eine Kerze an oder ganz viele - für den wunderbaren Menschen, der Ihr seid.
"There is a crack, a crack in everything. That's how the light gets in", singt Leonard Cohen
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