Sonntag, 6. Dezember 2020

Leid kann man nicht vergleichen

 


 
„Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit“, schrieb einst der Philosoph Sören Kirkegaard. Vergleichen hat noch nie zu etwas Glückvollem geführt.
Vergleichen trägt den Impuls des Wegsehens und der Abwehr in sich. Wer vergleicht versucht sich emotional zu schützen vor dem, was ist, weil es ihn emotional überfordert oder weil er nicht tief und komplex genug zu denken vermag. 
 
„Ich darf nicht klagen, anderen geht es noch viel schlechter als mir, ist schon okay.“ Oder, was zur Zeit beliebt ist, ist der Vergleich der Pandemie mit dem Krieg, den unsere Großeltern und unsere Eltern erleben mussten. „Das war fürchterlich, also hör auf zu jammern, nur weil wir eine Maske tragen und zuhause sitzen müssen.“ Oder: „Du hast deinen Job verloren? In diesem Land muss keiner verhungern, denk mal an all die hungernden Kinder in der Welt!“ 
Ende der Argumentation. 
 
Solche drastischen Vergleiche machen Menschen, die es wagen zu sagen wie sehr sie leiden, mundtot. Wer drastische Vergleiche anführt, rammt jede Gesprächsgrundlage in den Boden und das Mitgefühl für seinen Nächsten gleich mit. Tatsache ist: Es gibt Schreckliches im Leben und dazu gehören Kriege, Hunger, tödliche Krankheiten, Gewalt und all die anderen Grausamkeiten, die Menschen einander antun, seit es Menschen gibt. Darüber muss man nicht diskutieren und vergleichen muss man es schon gar nicht.
 
Leid kann man nicht vergleichen.
Leiden tut jeder an etwas anderem und für jeden fühlt sich Leid anders an. Auch gemeinsames von außen auferlegtes Leid ist nicht gleiches Leid. Leid bezieht sich auf mehr als die Umstände – es betrifft und erfasst den ganzen Menschen. Und jeder Mensch ist anders. Aber das geht in so manche Köpfe nicht hinein. Leider, weil sie dort wo die Spiegelneuronen für Mitgefühl sitzen einen leeren Raum im Hirn haben. Menschen, die nur von sich selbst ausgehen, die Welt nur mit den eigenen Augen sehen und durch den Filter der eigenen begrenzten Wahrnehmung erfahren, bewerten und beurteilen, sind blind für das Anderssein im Anderen. Und so beurteilen sie auch das Leid anderer aus ihrem In - der -Welt - Sein, unfähig über das Eigene hinaus zu sehen und zu fühlen. 
 
Wahr ist: Leid ist genauso groß, wie die Schultern auf denen es landet und die es tragen müssen. 
Was für den einen ertragbar ist, kann den anderen nach Unten drücken. Einem Menschen, der am Boden liegt helfen Vergleiche im Sinne von: „Es gibt viel Schlimmeres“ nichts. Im Gegenteil, solch ein Vergleich ist die Vernichtung seiner ganzen Person. Es führt zu noch mehr Leiden. 
 
Leid, das geäußert und nicht angenommen wird, Leid, dem nicht mitfühlend begegnet wird, macht den, der leidet. im Tiefsten allein. Und das schafft weiteres Leiden.
Wir sollten achtsam sein mit unseren Vergleichen, wenn wir einem anderen begegnen, der leidet, egal woran. Dieser Mensch möchte ernst genommen werden, er sehnt sich danach angenommen zu werden und zwar genau da, wo er gerade steht in seinem Leid, auch wenn wir das, woran er leidet, selbst ganz anders empfinden würden.
Wie sagte Buddha: „Solange Du dem Anderem sein Anderssein nicht verzeihen kannst, bist Du noch weit ab vom Wege der Weisheit."
 
Möget Ihr an diesem 2. Advent frei von Leid sein.
Namaste

1 Kommentar:

  1. Diese Vergleiche SELBST anzustellen, wenn die eigene Situation leidvoll erscheint, finde ich allerdings gelegentlich hilfreich. "Relativieren" öffnet in diesem Fall das Bewusstsein für die Wahrnehmung des Leids Anderer, die es schwerer getroffen hat und mindert gleichzeitig das eigene Leidempfinden, denn was mich gerade trifft, erscheint dann tatsächlich als "halb so wild".

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