Donnerstag, 26. November 2020

2020 oder, als ich auszog, mehr und mehr das Fürchten zu lernen.


 

                                                                 Foto: A. Wende
 
 
Ich lese gerade auf der Facebook Seite extremer Gesundheitsfanatiker den Satz: "Ich bin für einen harten Lockdown für alle, die nicht überlebensrelevant sind."
Ich lese noch einmal, weil ich es nicht fassen kann, dass das Wort "überlebensrelevant" da wirklich steht. Es steht da.
Welch ein fürchterliches Wort. Ein Wort zum Fürchten.
Ist es jetzt soweit?
Geht es jetzt nicht mehr nur um "nicht systemrelevant", was der Zerstörungswelle der Pandemie zum Opfer fällt?
Ist es jetzt in manchen Köpfen, die vor Angst um das eigene Leben nicht mehr klar denken können, soweit, dass es um Überlebensrelevanz geht?
Und wer soll dann diese Selektion machen?
Wer soll entscheiden, was in dieser Pandemie nicht überlebensrelevant ist und was über - leben darf?
Ist der kleine Laden meiner Freundin an der ihre Existenz hängt, für sie überlebensrelevant?
Ist das Yogastudio meiner Klientin, von der eine Menge Mitarbeiter und eine kleine Familie leben, für all diese Menschen lebensrelevant?
Ist meine Praxis überlebensrelevant?
Ist mein Lieblingscafé überlebensrelevant?
Na ja, nicht systemrelevant, das ging mir ja noch ins Hirn.
Aber nicht überlebensrelevant?
Wie, frage ich mich, kann ein Mensch solche Gedanken überhaupt denken und dann auch noch hinschreiben?
Was ist mit all den Leben, für die das, was nicht überlebensrelevant sein könnte, ihr Leben ist und war?
Die sind dann nicht überlebensrelevant?
Oder denke ich da gerade falsch, wenn ich das Ganze bis zum Ende durchdenke?
Ich spiele die Fürchterlichkeit des Wortes bis zur Absurdität weiter durch und lande da, wo ich mich frage: Du bist nicht mehr die Jüngste und du gehörst zur Risikogruppe?
Bist du überlebensrelevant?
Ich mag mich nicht weiter fürchten. Ich sage STOPP und lenke meine Aufmerksamkeit etwas Heilsamem zu.
Aber solche Worte sollten hellhörig machen und uns allen zu denken geben, insbesondere auch den Menschen, die sie aussprechen. Ich fürchte nur, dass Menschen, die so reden, ihre Menschlichkeit irgendwo auf dem Weg ins satte Leben verloren haben und Menschlichkeit für sie keine Überlebensrelevanz hat.

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